Mu: Die Inseln der Leere
Kiesgarten im Kloster Ryoanji in Kyoto
Im sogenannten Gasometer in Oberhausen zeigt eine aktuelle Ausstellung "magische Orte". Magisch sind Orte wie die kalifornischen Riesenbaumwälder, in denen 750-Jahres- Giganten mit 6m Durchmesser von den ehrgeizigen Plänen der Natur künden. Es sind aber auch menschengemachte. Die europäischen Sakralkolosse gehören zu ihnen, das pharaonische Tal der Könige oder auch die Reste einer Hiroshima-Brücke, auf deren Asphalt gespenstisch der Schattenabdruck eines kleinen Mädchens nach ihrem Verglühen für ewige Zeiten eingebrannt bleibt. Die Ausstellung zeigt ihre Armbanduhr; alles, was von ihr übrig blieb.
Der Gasometer selbst ist an sich auch solch ein magischer Ort. Das Zylindermonster zeugt von der durch und durch erstaunlichen Neuerfindung des Ruhrgebiets. Event- und Kultur-Schauplatz will es sein und mehr und mehr wird es das auch. Sicherlich hat das zu tun mit der banalen Tatsache, dass ehemalige Kohlewäschereien, Industrie- und Zechenanlagen aus tausenden Kubikmetern "unkaputtbarem" Stahlbeton zusammengegossen wurden und all dieser umbaute Raum nun einer neuen Bestimmung zugeführt werden muss. Und warum nicht einer irgendwie... kulturellen? Das bietet sich doch an? Um Bauwerke für die Ewigkeit jedenfalls handelt es sich, die nichts und niemand nach ihrer endgültigen Abwicklung (und der der ehemals in ihnen Beschäftigten, natürlich) atomisert; jedenfalls nicht, ohne gleich die nähere und weitere Umgebung mit in Schutt und Asche zu legen.
Im westfälischen Hamm stehen aus genau diesem Grunde über das gesamte "Stadt"-gebiet verteilt (die "", weil trotz gegenteiliger Behauptung der hiesigen Lokalpatrioten von einer "Stadt" nun wirklich nicht die Rede sein kann; eher von einem Konglomorat eingemeindeter Schützenbrüderschaften) noch heute Luftschutzbunker aus WK II, die, seltsam genug, in maßloser Überschätzung der Qualität der eigenen Baukunst und maßloser Unterschätzung der Durchschlagskraft der gegnerischen Artillerie, überirdisch schützen sollten. Vielleicht wähnte man sich aber auch sicher, denn wer schießt schon mit Kanonen auf Spatzen.
Man geht mit diesen geerbten Monströsitäten in der gesamten Region aber durchaus kreativ um und setzt, um mal ein hübsches Beispiel zu benennen, schon mal flugs einen
gläsernen Elefanten auf solch ein Bauwerk und erklärt das ganze Ensemble dann kurzerhand zum "Wahrzeichen" der Metropolenregion.
Solches zeigt immerhin: Hamm ist durchaus nicht "nichts". Für mich war es sogar einmal viel mehr als das (wenn es das gibt! Siehe unten)- vielleicht gar einmal (mehr als einmal) ein magischer Ort. Der Liebe, der Freundschaft, des Abenteuers, des Leids, der Trauer. Aber das ist lange her und nun wirklich eine ganz andere Geschichte.
Das "Nichts" weilt also nicht im Westfälischen, jedenfalls nicht so ohne weiteres, aber, man weiß es, im Zentrum buddhistischer Weltanschauung. Oben gezeigtes Photo (freigegeben unbedingt und zu jedweder Verwendung; auch nichtiger!) zeigt den Kiesgarten eines japanischen Klosters. Seit Jahrhunderten sieht´s so aus an diesem magischen Ort. Die paar dutzend Steininseln symbolisieren die Gedanken, Gefühle, Ängste und sonstigen mentalen Verrenkungen der jämmerlichen sapiens-Existenz und zwar inmitten des umgebenen, gewaltigen
Mu: Des nichts. Ein frappierender, wahrhaft magischer Gedanke, dem ich aus Feig- und Faulheit erstmal nicht weiter nachgehe. Vielleicht aber (sorry, aber so viel Abrechnung muss doch noch sein) war meine sprunghafte Assoziation und virtuelle Reise in Deutschlands (nach München und Köln) drittgrößtes Dorf doch irgendwie geheimnisvoll... inspiriert?
jagothello am 26. Juni 11
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fight ´em back
slangelte Linton Kwesi Johnson 1982 und auch wenn es NRW-FDP- und CDU damals schon gab; er wird nicht an sie gedacht haben.
Im sogenannten "Schulkrieg", der seit 1969 tobt, als die ersten Gesamtschulen in NRW ans Netz gingen, legen die Klassenkämpfer nun nach: Die SPD ruft mit dem Koalitionspartner eine neue Schulform ins Leben, die "Gemeinschaftsschule". Die Linke wehrt sich nicht und auf die CDU-Reflexe ist immer Verlass: "Niemals Kommunismus mit uns"; die FDP gibt sich publikumsnah und verweist auf immerhin pädagogische Konflikte, die man zu befürchten vorgibt.
Im Kern geht es seit 40 Jahren aber um immer dieselbe Frage: Akzeptieren wir, dass eine bürgerliche Mittelklasse mit eigenen, akademikeraffinen Bildungszielen und Lehrmethoden unter sich bleibt und kräftig auf die südwärts liegenden Schichten stampft, damit der proletarische Mob im finsteren Reiche der selbst verschuldeten Unmündigkeit verbleibt? Dass jener privilegierte Nachwuchs möglichst ungestörten Zugang findet zu den Komfortnischen der Gesellschaft? Dass es also ein gegliedertes Schulsystem gibt, dessen größter Feind die Durchlässigkeit ist?
Auch Angst vor den entfesselten Horden: Will Smith im
Horrorfilm: I´m legend.
Exakt hier setzt die Idee der Gemeinschaftsschule wieder einmal an, denn im Grunde genommen ist sie nichts anderes als die Verkörperung der reinen Lehre von der chancengleichen Gesamtschule. Eine Gesamtschule ist sie, bereinigt von all dem korrumpierenden Ballast wie "Profilbildung", "Musikklassen" und "bilingualem Zweig"; Mechanismen, die der Elitenbildung dienen und letztendlich darauf zielen, aus der Gesamtschule eine freundlichere Variante des gegliederten Systems zu machen.
Eingedroschen wird auf diese Idee seit Jahrzehnten mit immer demselben Totschläger: Gleichmacherei! Sozialismus!
Aber mal abgesehen davon, dass doch das gegliederte System ca. 50% eines Jahrgangs "gleichmacht", indem es die Kinder auf dem Gymnasium denselben Lehrplänen unterwirft, denselben Methoden, Zielen und Riten: Gleich gemacht wird innerhalb der integrativen Systeme gerade nicht. Im Gegenteil! Kernkompetenz einer Gesamtschule ist die Individualisierung; ist ein binnendifferenzierender Unterricht nach der Maßgabe spezifischer Stärken und Schwächen des einzelnen Kindes. Sog. "Fachpolitiker" haben dies schlichtweg nicht verstanden, sitzen aber auf Pressekonferenzen und in Fernsehstudios herum und ideologisieren was das Zeug hält.
Oder (und viel schlimmer): Sie haben es verstanden. Wissen, dass es exakt diese Schulformen sind, die es mit den eingeforderten Post-PISA- Reformen ernst nehmen. Kennen die vielfältigen, typischen Individualisierungsmaßnahmen fernab des bequemen Frontalunterrichts gymnasialer Provenienz. In diesem Falle gilt das "fight ´em back" natürlich erst recht.
Von Doofmannwörtern und Adidas-Jäckchen
Die Buddenbrooks- Gäste freuen sich nicht auf´s Essen, sondern "verbleiben eines nahrhaften Bissens gewärtig." Thomas Manns Joseph "liebt" nicht, sondern "nähert sich einer Sphäre verliebter Wollust". Dergleiche artifizielle Wendungen wirken sicherlich einigermaßen verschroben. Doch ist ihnen eigen auch ein enorm ironisches Potential, welches sich einer analytischen Beschreibung weitgehend entzieht, jedenfalls mir. Man ist, um es wahrzunehmen, auf Intuition und Empfindung angewiesen, vielleicht auf Genussfähigkeit. Ästhetische Qualitäten sind das, die kaum zu greifen, nicht zu lehren sind. Und so ist das generell mit der Textkunst: Durch ihre
gemalten Fensterscheiben blickend empfinde ich Leuchten und Klingen; doch was da leuchtet und klingt? Und warum eigentlich? Ich weiß es nicht so genau.
Ich weiß aber, dass sie treu und zuverlässig sind- diese leuchtenden und klingenden Empfindungen. Meine Intuitionen stimmen, die mit ihnen verknüpften Urteile auch, jedenfalls oft... Und das gilt für eigentlich alle ästhetischen Phänomene: Ein hübscher Junge dekoriert sich mit der lässig übergestreiften roten, grünen oder schwarzen Drei-Streifen-Jacke auf das Allervorteilhafteste. Tauscht er sie ein gegen die zugehörige Hose- schon sieht´s prollig aus, irgendwie scheiße. Warum ist das so?
Genauso rätselhaft verhält es sich mit Sprache, diesem vielleicht spektakulärsten Aspekt menschlicher Evolution. Über den Sonderfall der Amerikanisierung des Deutschen ist ja
hier und
dort einiges gesagt worden. Indem das denglische Geschwafel Anlass gibt zu humoristischen Betrachtungen und beißendem Spott ist es mir natürlich absolut willkommen.
Solchen verdient haben aber natürlich auch ganz andere Verbal- Erscheinungen, zum Beispiel die Doofmannwörter, vor allem die Doofmannwörter. Was sind Doofmannwörter? Doofmannwörter sind Wörter, die Doofe sagen, weil sie doof sind. Sie sind doof, weil sie Doofmannwörter sagen; indem sie Doofmannwörter sagen. Leute sind das, wie der Kölner "Kulturredakteur" Markus Schwering, dessen
hanebüchne Geschwätzigkeit ich stilistisch irgendwo zwischen den Formalismen der Unteren Landschaftsbehörde und dem Jargon der stylishen Kultur- Lebensart- Schickeria verorte.
"Verorten"; das ist so ein Schweringsches Doofmannwort. "Sottise" ist auch eins. "Freilich" erst recht. Der "Gutmensch" gehört dazu, die "Evaluation", das "fürderhin", die "Lehrkraft", das "aufputzen", "Aspekthafte" und "Nämliche"; "selbstredend".
Wörter, die ich hingegen gerne mal öfter läse (neben all den hübschen Erscheinungsformen des Konjunktivs I), sind "vorsprechen", "anheischig machen", "Pampelmuse" (überhaupt alles mit "muse" oder "Muse"), "höchlich", "unken", "spähen", "löblich", "obwalten" und 126 weitere. Was sie unterscheidet von den Wörtern der Doofmänner- und frauen? Wie gesagt: Ich habe keine Ahnung.
jagothello am 18. Juni 11
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