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Kategorien : gerade gewesen
Geographische Parallele, mentale Kreuzung
Den diesjährigen Holocaust-Gedenktag verbrachte ich in Buchenwald oder besser: In Weimar. Beziehungsweise an beiden Orten, die an sich einer sind. Geographische Parallele, mentale Kreuzung.
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Ungeeigneter Slogan für Kaffee und Benzin
Gleich neben dem Lagertor symbolisiert der ehemalige, heute noch sehr gut erhaltene Bunkertrakt den grausamen Terror, den Himmlers Sadistische Schergen hier acht Jahre lang verbreiteten.
Martin Sommer tat sich besonders hervor. Auf seinen Ruf, die gefürchtetste, meist gehasste Person des ganzen Lagers zu sein, hielt sich der Höllen- Hausherr einiges zugute. Hannah Arendts Diktum von der Banalität des Bösen gewinnt angesichts der geradezu unfassbaren Alltäglichkeit dieses Allerweltnamens eines einfachen Bauernsohnes weitere Bestätigung. Den erstklassigen Rang Sommers als Sadist dokumentieren Niederschriften von Augenzeugenberichten aber auch diverse Beurteilungen seiner Vorgesetzten, die im Ausstellungsbereich der Gedenkstätte, der ehemaligen Effektenkammer, in dem bis zur Befreiung des Lagers der durch Bruno Apitz´Nackt unter Wölfen zu Ruhm gekommene polnische Junge versteckt gehalten wurde, zu lesen sind. Kleinste Regelverstöße reizten Sommer zu grausamer Folter; legendär die Misshandlungen des Theologen Paul Schneider, der sich an Hitlers Geburtstag weigerte, die Mütze vom Kopf, quasi zum Gebet, zu nehmen.
Regelmäßig kommen Überlebende und Angehörige nach Buchenwald, um sich zu erinnern, zu trauern, um zu mahnen. Immer geschieht das am Holocaust-Gedenktag, also dem 27. Januar. Dieses Jahr reihte sich die thüringische Landtagspräsidentin ein in die Gemeinde sowie der italienische Senatspräsident Renato Schifani. Letzterer zeigte eine ganz ungewöhnliche, echte Betroffenheit, die ich von einem Berlusconi- Spaßfraktionär sicher nicht erwartet hätte. Schifani musste aber gar gestützt werden beim zeremoniellen Begucken des vorab von Lakaien drapierten Kranzes, bevor er dann zum ehemaligen Krematorium wankte, um sich auch das zu geben: Den Anblick der industriellen Verabfallungsmaschinerie, geschaffen, um die Leichen tausender Ermordeter zu entsorgen. Ein wahrhaft schockierender Schreckensort, auch 70 Jahre später. Übrigens liegt dieses suggestive Zentrum der gesamten Anlage gleich vis á vis des ehemaligen Lagerzoos, getrennt bloß durch einen meterhohen, allerdings unüberwindbaren Stacheldraht. Die hiesigen Bären hatten einen Tagesetat in Höhe von 3,- RM; die Gefangenen von unter 1,80 RM- insofern eine angemessene, verständliche Körperreaktion Schifanis.
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Renato Schifani in Buchenwald
Die Insassen kamen, zumindest in den ersten Jahren, die 8 km vom Weimarer Bahnhof heraufgelaufen auf den Ettersberg. Die letzten Meter, gleichsam ein Initiationsritual, war ein Spießrutenlauf zu absolvieren auf dem sogenannten Karachoweg; vorbei an Häme geifernden SSlern, getrieben und geschunden von scharfen Schäferhunden.
Der Bahnhof, zynisch kalkulierte Ironie der (ganzen) Geschichte, träumt auch heute noch gerade mal 1000 m entfernt von den Hochstätten der Weimarer Klassik vor sich hin: Frauenplan, Anna Amalia-Bibliothek, Stadtschloss, Schillers Bürgerhaus... Gerade im Winterschnee eine hochgradig malerische Welt. Um die Ecke das Elephant, vor dem Hitler sich feiern ließ und in dem Thomas Mann seine Lotte in Weimar Hof halten ließ. Orte von erstklassigem literarhistorischen Rang, die ihren ganz besonderen Charme im deckenden Winterschnee entfalten.
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Ein Bild, das es nicht geben dürfte: Goethes
Privatbibliothek
Die peinlich gepflegten Reliquien der Hochkultur beziehen einen ganz einzigartigen Reiz aber auch aus dem Kontrast mit dem benachbarten Unort. Es ist längst nicht ihr einziger Reiz, sicherlich nicht, aber doch ein ganz wesentlicher. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob es legitim ist, diese Spannung touristisch auszuschlachten, also gewissermaßen ökonomischen Gewinn zu erwirtschaften mit dem Schrecken der NS- Herrschaft. Weimar hat ja Buße getan und ein kulthafter Reisebus- Remmidemmi wie am Hitlerschen Berghof in Berchtesgaden hat hier nicht statt. Buchenwald ist schließlich eine eher akademisch-abstrakte Gedenkstätte, entkernt, die sich für derlei Mätzchen nicht so recht eignet. Sogar Wohnungen gibt es ja wieder gleich nebenan auf dem Berg. Und doch: ob im Rokokosaal der Anna-Amalia, im Gewölbetheater oder in der Fürstengruft: Die Gespenster bleiben und durchwehen Stadt und Stimmung.
jagothello am 01. Februar 12
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Dirndl & Penisschmuck
Ein spektakuläres Doppelmuseum ziert seit gut einem Jahr die Kölner Innenstadt. Das Rautenstrauch-Joest-Museum ist aus der Südstadt herübergezogen. Angegliedert wurde ein Erweiterungsbau des Museums Schnütgen, das endlich Raum hinzugewann, zahlreiche mittelalterliche Artefakte aus den Archiven in einem würdigen Rahmen zu zeigen.
Sammlungen und Architektur gereichten auch der europäischen Ersten Städte-Liga zur Ehre. Ein Haus, das sicherlich auch in Hamburg oder Paris ein interessiertes, dankbares Publikum fände. Wir aber wären nicht in Köln, wenn es zunächst mal keine Parkplätze gäbe. Nun ja, das Museum liegt wirklich im pulsierenden Herzen der aus allen Nähten platzenden, viel zu klein gewordenen Stadt, gleich am Neumarkt. Man fragt sich als ortskundiger Besucher, der, eben weil er ortskundig ist, mit der Bahn anlangt, aber dennoch, warum das fußläufige Passieren der Straße davor geschlagene fünf Minuten dauern muss: Fahrbahn Richtung Rudolfplatz! Straßenbahn Richtung Heumarkt! Straßenbahn Gegenrichtung! Fahrbahn Gegenrichtung! Fragen aber sind das, die müßig sind in einer Stadt, in der wirklich jedes Gässchen und jedes Werkstor über eigene Ampelanlagen verfügen, die en passant den Verkehrsfluss der größten Ein- und Ausfallstraßen lahm legen.
Entnervt also erklimmt man dann die Treppen (zu Justizia und der Kunst geht es ja immer hinauf, nie hinab) ins Foyer und wird, das muss ich sagen, entschädigt: Entreé in ein prachtvolles Heiligtum der postkatholischen Ära, gleich nebenan, im Hause Schnütgen, Höhepunkte mittelalterlicher Sakralkunst. Das hat schon was!
Indonesischer Reisspeicher im Foyer des Rautenstrauch-Joest-
Museums, Köln
Die Etagen dann zeigen nicht bloß, sie sind; z.B. realitätsnah nachgebildeter Lebensraum der südafrikanischen Xhosa. Die Abteilung kulturelle Identitäten schlägt Brücken zwischen niederbayerischer Trachtenkleidung und südpazifischen Penishaltern. Derart interkulturelle Bezüge sorgen für Spannung und Aktualität. Sie helfen, den Blick zu schärfen und Klischees als Klischees zu erkennen. Ein Beispiel: Festgemeißelte, westliche Vorstellungen amazonischer Riten, Mythen und Lebensweisen (Das sind doch die, die mit Lendenschurz beschürzt Froschgiftpfeile abschießen) kontrastieren mit pazifischen Vorstellungen Deutschlands. Deutsch: Das ist für dortige häufig die Imago biersaufender Dirndl- und Lederhosenträger, rotköpfig und blond. Es dämmert die Begrenztheit solcher Bilder, es wächst das Bedürfnis, einmal selbst nachzugucken und vielleicht gar ein anderes Beispiel abzugeben. Die trennende Kluft ist möglicherweise gar nicht so tief. Ganz nebenbei keimt die Frage, warum sich deutsche Identität, so sie sich in der Lebensart deutscher Menschen zeigt (und das tut sie ja), in der Außenwahrnehmung derart stark über ein einzelnes, bevölkerungsschwaches Bundesland definiert.
Man guckt also in diesem Hause, man staunt, man denkt! Was will man mehr erwarten von einem Besuch im Museum?
jagothello am 23. Dezember 11
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Die Grundlage ist das Fundament der Basis (Le Corbusier)
Zu Beginn des Vortrags von Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, stand die hübsche Sentenz Karl Valentins: Wir brauchen unsere Kinder nicht zu erziehen. Sie machen uns sowieso alles nach. Hilgers Eintreten für die Rechte von Kindern orientiert sich dann tatsächlich wenig an erfahrungswissenschaftlichen Ideen aus der Kognitions- oder Bildungsforschung. Ihn interessiert vielmehr, warum Pipi Langstrumpf als lernschwaches Kind aus sozial prekären Verhältnissen keine Drogen nimmt, ein authentischer, glücklicher Mensch ist- mithin, die Resilienzforschung. Dem schönen Phänomen der seelischen Unangreifbarkeit habe ich mich hier auch schon einmal zugewendet- selbstverständlich streng feuilletonistisch. Hilgers greift das auf, zumindest im Kern. Resilient sind Menschen, die gebunden sind. Bindung fällt nicht vom Himmel, sondern wird erzeugt.
Hilgers war jahrelang Politiker in Spitzenpositionen und das merkt man deutlich. Er nimmt Politik und Zivilgesellschaft in die Pflicht, Rahmenbedingungen zwecks solchen Erzeugens zu schaffen, in denen im Sinne kooperierender Bildungspatenschaften, bestehend aus Familie, institutioneller Erziehung, Verbänden, Kirchen usw., ein Umfeld geschaffen wird, in dem Kinder sich sicher, geborgen und respektiert fühlen. Auf diesen Boden dann sprössen (welch herrlicher Konjunktiv!) die schulischen Bildungsbemühungen auf das Schönste.
Das klingt ein wenig nach Sonntagsrede- sicher. Hilgers leitet dann aber konkrete Forderungen bildungspolitischer Natur ab, die sich nicht auf "mehr Geld für alle" beschränken. In ihrem Kern steht die integrative Gesamtschule. Ihre Grundlage ist das Fundament dieser Basis: Längeres gemeinsames Lernen- gegen Segregation und Ausgrenzung. Sie schafft als Ganztagesschule Raum für weiterführende pädagogische oder auch friedenspolitische Aktivitäten.
Nun ja- das alles war vor allem Schulministerin Sylvia Löhrmann ins Stammbuch geschrieben, die, beileibe keine Gesamtschulgegnerin, sich in ihrem Vortrag gar zu stolz erzeigte auf den interfraktionell ausgehandelten NRW- Schulkompromiss. Am anachronistischen mehrgliedrigen System rüttelt der nun in der Tat nicht. Die im Dutzend anwesenden schulfachlichen Gymnasialdezernenten der Bezirksregierung Düsseldorf quittierten es mit feinem Lächeln. Aber immerhin: Es gibt starke, überzeugende Stimmen.
Karl Valentins Sentenz hätte wohl auch als Leitmotto getaugt für den gerade zuende gegangenen Philosophenkongress in München, jedenfalls, wenn man, so wie ich, auf die abstracts der SZ angewiesen ist, um sich eine Kurzzusammenfassung des Disputs zwischen dem britischen Evolutionsbiologen Michael Tomasello und des berühmten "Starphilosophen" aus Pittsburgh, Robert Brandom, geben zu lassen. Gattungsgeschichtlich, so Tomasello, ist menschliche Kommunikation ausschließlich aus tätiger Kooperation zu erklären. Diese Grundlage ist das Fundament der Basis. Konventionalisierung, Sprache, Kultur: Letztenendes gespeist und begründet aus Gestik, Zusammenarbeit und Nachahmung der Vormenschen. Erziehung? War da nicht!
jagothello am 18. September 11
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Hurra, ich lebe noch!
Akt 1: Frau Doktor verabreicht ihre bitteren Pillen: 1.- eine unerfreuliche, dringend zu behandelnde Epithelschädigung liegt vor. 2.- die operative Prozedur mittels Lasertechnik ist schmerzhaft aber alternativlos. 3.- die Krankenkasse zahlt nicht. Die Krankenkasse zahlt nicht? Wie bitte? Wozu bin ich Mitglied einer Krankenkasse, wenn sie wichtige Operationen nicht bezahlt? Das weiß Frau Doktor nicht. Frau Doktor weiß nur: Die Krankenkasse zahlt nicht. Besagte Leistung ist nicht enthalten im Katalog meiner speziellen Kasse. Sie ist sehr wohl enthalten im Katalog anderer Kassen, aber nicht in dem der meinen. IGEL ist somit angesagt. IGEL bedeutet "Individualisierte Gesundheitsleistung", ist also nichts weiter als ein stacheliger Euphemismus für "Krankenkasse zahlt nicht- mach´s doch selbst!". Unterschreiben Sie hier, bitte. Übrigens: Haben Sie schon 10,-€ Maut entrichtet?
Akt 2: Hören Sie, das kostet 312,-€. Ich bezahle als freiwillig Versicherter bei Ihnen 600,-€ jeden Monat- und zwar seit Jahren. Warum sollte ich das länger tun, wenn ich dann im Ernstfalle doch alles alleine übernehmen muss? Man wird nun technisch, umlullt den verärgerten Kunden mit pseudomedizinischem Gequatsche: Die Leistung ist bei uns nicht im Leistungskatalog enthalten, weil das zu entfernende Gewebe mittels Laser zerstört wird und einer histologischen Nachuntersuchung nicht mehr zur Verfügung steht. Warum arbeitet Frau Doktor nicht mit dem Skalpell? Ich begleite das Fräulein von der Talkline auf dieses rutschige Eis. Schließlich bin ich gutwillig, kooperationsbereit. Und motiviert! Wenn zwei keine Ahnung vom selben Gesprächsgegenstand haben, kann schließlich doch noch etwas dabei herauskommen. Also tief Luft geholt: Es drohen in der sensiblen Gesichtsregion kosmetische Komplikationen, wenn da mit Messern gefuhrwerkt wird. Und: Eine Gewebeprobe ist bereits entnommen, ja, sogar bereits analysiert! Und: Die von Ihnen vorgeschlagene Methode ist TEURER als die Laser- Operation. Und schließlich: Frau Doktor verweigert sich ihrer! Resignation bei so geballter Renitenz: Ich verbinde mit meinem Chef. Der Chef braucht jeden Depp, der ohne nennenswerte Gegenleistung freiwillig aufkommt für das Riesenheer der zuspruchbedürftigen Viertel- Halb- und Dreiviertelkranken, das sich jeden Morgen und jeden Nachmittag tummelt in den muffigen Praxiszimmern (was machen all diese Leute eigentlich mittwochs?), kurzum: er zeigt sich kompromissbereit für den Fall, dass Frau Doktor ihre medizinischen Argumente kurz aufschreibt. Gerade noch mal die Kurve bekommen, mein Freund- die DKV- Gangster residieren schließlich gleich nebenan. Die können privat noch besser! Alles wird gut. Alles wird gut?
Akt 3: Ich darf Ihnen das nicht aufschreiben. Das würde bedeuten, dass ich aus einer IGEL durch die Hintertür eine Kassenleistung konstruiere. Das ist durch Vertrag mit der ... Nein, nein, liebe Frau Doktor: IGEL ist perfekt! Ich zahle bar. Für meine private Kassenabrechnung wäre es aber hilfreich, wenn Sie kurz niederschrieben, warum in diesem besonderen Fall eine Laserbehandlung das Mittel der Wahl ist. Nein, ich schreibe das nicht auf. Sie können privat mit der Krankenkasse abrechnen. Ja, genau, darum geht es ja. Ich ... Das Schaltergirlie kommt maulend zuhilfe (aber nicht mir): Ihre Krankenkasse zahlt nicht! Vielleicht zu früh, aber ich gebe auf. Frau Doktor, bitte lasern Sie. Später dann (sediert von selbst verordneten Schmerzmitteln, selbstverständlich selbst bezahlt!): Ich formuliere mir die Seele aus dem Leib für die Granden des medizinischen Dienstes. Es sind ja Ferien und ich bin mittlerweile- nun ja, medizinisch durchaus vorgebildet!
Intermezzo: Ohrenentzündung. Ganz, ganz seltene Sache bei mir. Zuletzt so vor 34 Jahren. Das App schickt mich gleich ums Eck zum Ohrenspezialisten (Seltsame Lebensentscheidung: "Nun, werde ich doch mal Fachmann für die Hörkanäle der Leute..."). Auch hier denkt man durch und durch pragmatisch, das Elend der zahlenden Kundschaft bleibt zu allererst einmal... Nebensache: 10,-€ Praxisgebühr, bitte sehr. Ja, die habe ich aber schon bei Frau Doktor entrichtet. Einmal im Quartal reicht doch? Ich lege die Quittung vor. Das reicht NICHT. Da brauchen Sie (nicht etwa "wir") eine Überweisung. 10,-€, bitte.
Akt 4: Ich darf Ihnen die Salbe nicht geben, weil Frau Doktor per Rezept auf Reimport dieses speziellen Firmenproduktes besteht. Hier, sehen Sie? Dieses Kreuz auf dem Rezept bedeutet: Nur von dieser Firma. Wann die aber liefert? Das weiß kein Mensch. Die produziert im Ausland. Ja, und jetzt muss ich sterben, oder wie? HiHiHi- ich ruf da mal an. 20 Minuten später: Also, die Praxis sagt, sie schickt ein neues Rezept. Mit dem kommen Sie dann wieder, ja? Ja!
Akt 5: Also, ich hab Frau Doktor noch einmal gefragt. Ich darf Ihnen kein neues Rezept ausstellen. Die Apotheke kann Ihnen aber einfach das Medikament vom Originalhersteller geben. Sie bezahlen dann einfach die Differenz. Nun, die Apotheke besteht aber darauf, mir die Originalsalbe nicht verkaufen zu dürfen, weil das von Ihnen auf dem Rezept vermerkte Kreuzchen die Wirkung hat, dass sie sich andernfalls strafbar mache. Drucken Sie es doch einfach ohne dieses vermaledeite Kreuz aus und alle sind glücklich. Sehen Sie, das ist genau andersherum...
Sonst selten gegebene Akte 6 & 7 folgen auch noch und zwar spätestens dann, wenn eine belastbare Entscheidung der Krankenkasse vorliegt und ein zweiter Arzt wegen medikamentöser Unterversorgung der Wundstelle den Behandlungserfolg bedroht sieht. Aber es hat ja auch niemand behauptet, dass es sich um ein normales Drama handelt!
Mu: Die Inseln der Leere
Kiesgarten im Kloster Ryoanji in Kyoto
Im sogenannten Gasometer in Oberhausen zeigt eine aktuelle Ausstellung "magische Orte". Magisch sind Orte wie die kalifornischen Riesenbaumwälder, in denen 750-Jahres- Giganten mit 6m Durchmesser von den ehrgeizigen Plänen der Natur künden. Es sind aber auch menschengemachte. Die europäischen Sakralkolosse gehören zu ihnen, das pharaonische Tal der Könige oder auch die Reste einer Hiroshima-Brücke, auf deren Asphalt gespenstisch der Schattenabdruck eines kleinen Mädchens nach ihrem Verglühen für ewige Zeiten eingebrannt bleibt. Die Ausstellung zeigt ihre Armbanduhr; alles, was von ihr übrig blieb.
Der Gasometer selbst ist an sich auch solch ein magischer Ort. Das Zylindermonster zeugt von der durch und durch erstaunlichen Neuerfindung des Ruhrgebiets. Event- und Kultur-Schauplatz will es sein und mehr und mehr wird es das auch. Sicherlich hat das zu tun mit der banalen Tatsache, dass ehemalige Kohlewäschereien, Industrie- und Zechenanlagen aus tausenden Kubikmetern "unkaputtbarem" Stahlbeton zusammengegossen wurden und all dieser umbaute Raum nun einer neuen Bestimmung zugeführt werden muss. Und warum nicht einer irgendwie... kulturellen? Das bietet sich doch an? Um Bauwerke für die Ewigkeit jedenfalls handelt es sich, die nichts und niemand nach ihrer endgültigen Abwicklung (und der der ehemals in ihnen Beschäftigten, natürlich) atomisert; jedenfalls nicht, ohne gleich die nähere und weitere Umgebung mit in Schutt und Asche zu legen.
Im westfälischen Hamm stehen aus genau diesem Grunde über das gesamte "Stadt"-gebiet verteilt (die "", weil trotz gegenteiliger Behauptung der hiesigen Lokalpatrioten von einer "Stadt" nun wirklich nicht die Rede sein kann; eher von einem Konglomorat eingemeindeter Schützenbrüderschaften) noch heute Luftschutzbunker aus WK II, die, seltsam genug, in maßloser Überschätzung der Qualität der eigenen Baukunst und maßloser Unterschätzung der Durchschlagskraft der gegnerischen Artillerie, überirdisch schützen sollten. Vielleicht wähnte man sich aber auch sicher, denn wer schießt schon mit Kanonen auf Spatzen.
Man geht mit diesen geerbten Monströsitäten in der gesamten Region aber durchaus kreativ um und setzt, um mal ein hübsches Beispiel zu benennen, schon mal flugs einen
gläsernen Elefanten auf solch ein Bauwerk und erklärt das ganze Ensemble dann kurzerhand zum "Wahrzeichen" der Metropolenregion.
Solches zeigt immerhin: Hamm ist durchaus nicht "nichts". Für mich war es sogar einmal viel mehr als das (wenn es das gibt! Siehe unten)- vielleicht gar einmal (mehr als einmal) ein magischer Ort. Der Liebe, der Freundschaft, des Abenteuers, des Leids, der Trauer. Aber das ist lange her und nun wirklich eine ganz andere Geschichte.
Das "Nichts" weilt also nicht im Westfälischen, jedenfalls nicht so ohne weiteres, aber, man weiß es, im Zentrum buddhistischer Weltanschauung. Oben gezeigtes Photo (freigegeben unbedingt und zu jedweder Verwendung; auch nichtiger!) zeigt den Kiesgarten eines japanischen Klosters. Seit Jahrhunderten sieht´s so aus an diesem magischen Ort. Die paar dutzend Steininseln symbolisieren die Gedanken, Gefühle, Ängste und sonstigen mentalen Verrenkungen der jämmerlichen sapiens-Existenz und zwar inmitten des umgebenen, gewaltigen
Mu: Des nichts. Ein frappierender, wahrhaft magischer Gedanke, dem ich aus Feig- und Faulheit erstmal nicht weiter nachgehe. Vielleicht aber (sorry, aber so viel Abrechnung muss doch noch sein) war meine sprunghafte Assoziation und virtuelle Reise in Deutschlands (nach München und Köln) drittgrößtes Dorf doch irgendwie geheimnisvoll... inspiriert?
jagothello am 26. Juni 11
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Fahr doch öfter mal mit dem Auto!
Von Köln Nord nach Düsseldorf sind es nur wenige S-Bahnstationen. Trotzdem fahre ich selten nach Düsseldorf; warum sollte ich auch- dörflich ist es hier genug. Nun aber war es doch mal wieder so weit und ich pilgerte zum Bahnhof des kleinen Vorortes, in dem ich lebe, um ein Ticket zu ziehen und mich auf die Reise in die Diaspora zu machen.
Durch das Fahrschein- Automatenmenü konnte ich mich dank in Jahren erlangter Bildschirmkompetenz innerhalb von nur 6 Minuten durchfummeln. Zu zahlen, so vermeldete der Schlussbildschirm, sollten sein: 10,-€. 10,-€! Ich fragte mich natürlich sogleich: Warum nicht 20,-€? Oder 30,-€? 10,-€ zahlt niemand für ein paar Kilometer S-Bahn-Fahrt, außer er muss sie eben aus kurzfristig eintretenden Gründen machen, kennt sich nicht weiter mit den Tarifen aus (will sich wohl auch gar nicht auskennen) und sagt sich: Komm, ist egal. Das nächste Mal wieder in 3 Jahren. Solche Leute aber zahlen auch 20,-€ oder 30,-€. Die nächste Überlegung war: Du hast dich irgendwo vertippt. Da gibt es ein zweites Dorf an einer anderen Düssel; irgendwo in Rheinland-Pfalz. Also: Neustart. Ergebnis aber: Dasselbe.
Die S-Bahn dann war leer. Kaum jemand fuhr (und fährt) freiwillig von Köln nach Düsseldorf, jedenfalls nicht abends am Wochenende. Selbst die tausende Song-Contest-Gäste D´dorfs pendeln zwecks Freizeitgestaltung abends gerne andersherum, wie man hört, aber 1. ist das ein Klischee und 2. hat´s mich gefreut, denn eine stille Bahnfahrt ist 1000-mal schöner als eine hektische im Stehen.
Selten fahre ich also Bahn aber wenn, fällt mir auf (und auch diesmal wieder): Die offenbar regelmäßiger als ich auf den VRS angewiesenen Menschen verhalten sich zu geschätzt 89% irgendwie unangemessen, sozial auffällig (jedenfalls nach meinen-wahrscheinlich spießigen- Vorstellungen) und teils offen delinquent. Das reicht von einem zwanglosen Ausstrecken der beschuhten Gräten über die Sitze, rücksichtsloses Quäken in mobile Telefone ("hab doch gesach bin um 6 da."), unappetitliches Döner-Verschlingen, Konsum alkoholischer Getränke, lautes Abspielen von MP-3- Krawalllärm, Lesen im Stehen auf dem Bahnsteig, ohne auf Passanten zu achten, ungezügeltes, gieriges Anglotzen von Frauen sowie Betteln und Leergutsammeln unter dem Sitz, auf dem ich mich meines Ausblicks auf dieses Panoptikum erfreue, bis hin zum Wildpinkeln auf dem Bahnsteig, Zertrümmern der Fahrscheinautomaten und Verwüsten sowie Beschmieren anderer Bahnanlagen- von Schlimmeren wird man ja Gott sei Dank nicht täglich Zeuge. Ob die gesammelte Kundschaft schön artig die 10,-€ entrichtet hat?
Die Probleme sind aber auch hausgemacht, wie dieses Bild beweist, das ich bei Neuss geknipst habe. Die Sonne taucht um 20 nach 6 die Szenerie in gleißendes Feuer, doch die Hochleistungsbeleuchtung auf dem Bahnsteig verrichtet schon ihren stromfressenden Dienst für... ja, für wen eigentlich? Würde man das Licht tagsüber ausmachen, könnte man mein Ticket vielleicht schon um 2,-€ verbilligen.
Ich gebe zu: Nach 25 Minuten, also kurz vor meiner Ankunft, war meine Sozialisation in diesem Umfeld schon ganz gut angepasst: Unbemerkt von mir selbst sackte ich auf dem Sitz zusammen, gelangte in eine lümmelnde Haltung und setzte einen Fuß auf´s Polster.
Wieder halbwegs bei Sinnen zahlte ich im Bahnhof Düsseldorf 1,-€ für das Klo. Ein ausnehmend freundlicher Mensch dort hielt die Anlage in Schuss- das nennt man wohl Privatisierung. Auf dem Rückweg bin ich schwarz gefahren.
jagothello am 08. Mai 11
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Gebirge
heute hatte ich wieder einmal Lust, ins Gebirge zu
gehen. Und da gibt es im Rheinland nur eine Adresse...
So geht´s ja nicht!
"He, Sie da, in 60.012- Korb drehen, aber rasch!"
Impression aus einem herrlichen Land- genauer: aus Sellin/Rügen
jagothello am 08. April 11
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Armselige Kleisterei
Ein schmuckes Haus, das Grillo-Theater zu Essen. Da lohnt sich schon einmal eine Verlegung der Abendgestaltung in diese mir sonst so fremden Gefilde. "Prinz Heinrich von Homburg" gab es in diesem ansprechenden Ambiente. Für die Bühne sicherlich nicht einfach umzusetzen, gibt es doch in diesem sonst klassisch strukturiertem Stück durchaus einige Szenen- und Ortswechsel. Das hat man ganz gut gelöst in Essen; mittels elektronisch gesteuerter, mobiler Wände und einiger Licht- und Schatten-Effekte wurden recht elegant Räume geschaffen.
Doch sonst war das Sprechtheater der ganz antiquierten Sorte. Szenisch gesprochener Text, kaum Bewegung, wenig Überraschendes im Hinblick auf die Figurenzeichnung- und konstellation. Gerade mal ein, zwei hübsche Regieeinfälle.
Ganz nett vielleicht der hinzuerdachte Prinzenmonolog, in dem dieser über das traurig-tragische (Un)-Wesen des Todes meditierte, so a lá Woody Allen: "Der Tod? Mit dem bin ich ganz und gar nicht einverstanden."
Nun etwas ganz anderes. Breite Bühne, zwei Menschen betreten den Bühnensaum, stehen da und gucken ins Publikum. So lange, bis sich Unmut breit macht im Auditorium, doch das sitzt man aus. Marie und Woyzeck sind stärker. Und plötzlich zückt er ein Messer, um sie zu attackieren. Sie fällt. Die späte Szene hier an den Anfang gesetzt.
Der Vorhang hebt sich, ein Hamsterrad, der Woyzeck rennt und rennt und rennt. Techno-Beats, spektakuläre Visualisierung. "Er sieht immer so verhetzt aus." Ja, das tut er. Plötzlich fällt er. "Er hat keine Tugend." Sportlich ist er jedenfalls nicht. Er fällt und ruft ins gebannte 500-Leute-Völkchen: "Ich muss abbrechen." 10 sek. später: Die Performance ist vorüber, Paul Steinbach improvisiert nicht spontan, sondern muss passen, schwer verletzt. Schlussapplaus nach 7 Minuten. Andres: "Dieser Platz ist verflucht." Potential hat er auf jeden Fall!
jagothello am 02. Februar 11
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Zum hier oder zum mit?
Habe mich neulich herablassend geäußert zur Lebensform MacDonalds. Da es aber höhere Gewalt gibt (drängende Kinder können sehr charmant sein!), kommt es hier und da zu einem kaum aufzulösenden Widerspruch zwischen Theorie und Wirklichkeit, Wollen und Tun. Gut, dass es solche Nöte gibt, denn sonst wäre ich um diese Gesprächsperle ärmer:
Ich: Guten Tag.
Sie: Ihre Bestellung, bitte.
Ich: Ein Menü Royal TS, ein Kindermenü, ein Wrap.
Sie: Kinder mit Chicken oder Burger.
Sohn: Chicken McNuggets.
Sie: Soße?
Ich: Ja!
Sie: Süß-sauer? Scharf? Ketchup?
Sohn: Süß-sauer.
Sie: Spielzeug Junge?
Ich: Bitte?
Sie: Spielzeug für den Jungen?
Ich: Ähhmm. ja, warum nicht?
Sohn: Den Hubschrauber!
Sie: Wrapper crossed classic, crispy chicken?
Ich: Huhn ist gut.
Sie: crossed or crispy?
Ich: Geste der Hilflosigkeit.
Sie: Machen wir crossed?!
Ich: Ja, ja- gut.
Sie: Menü Coke, Fanta, Sprite?
Sohn: Ich will ne Cola!
Tochter: Ich auch.
Sie: Zum hier oder zum mit?
Ich: Zum hier, auf jeden Fall!
Sie: Macht dann 14,90€.
PS Der Wrapper ist gut!
jagothello am 04. November 10
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