Januar 2025 |
||||||
Mo |
Di |
Mi |
Do |
Fr |
Sa |
So |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
||
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
16 |
17 |
18 |
19 |
20 |
21 |
22 |
23 |
24 |
25 |
26 |
27 |
28 |
29 |
30 |
31 |
||
Ein Grieche, ein Portugiese und ein Spanier gehen ins Bordell. Wer zahlt? Der Deutsche.
Timur Vermes Er ist wieder da ist Kalauer à la longue und abgefeimter Rhetorikkampf. Der künstlerische Trick, den ausgerechnet Hans Mentz von der Titanic entgegen sonstigem Gespür für das Komische nicht durchschaut (Was soll das?), besteht darin, die Eigenheiten unserer spätdemokratischen, neurotischen Zeit von einem längst untergegangen geglaubtem Medium (eben Ihm) wahrnehmen und aus dessen ungefilteter 1945er Perspektive kommentieren zu lassen. Das ist oft verstörend, meistens witzig. Zum Beispiel die leitmotivischen Spekulationen des Wiederkehrers über die Motive all der Parkwanderer, Exkremente von Hunden aufzuklauben. Die antizivilisatorische Perspektive des GröFaZ führt die Absurdität zwanghafter Anpassungen wie dieser in ihrer kompletten Lächerlichkeit vor Augen.
Das Lachen im Halse stecken bleibt mir, wenn die CSU erst als nationalsozialistische Nachfolgepartei gelobt, dann aber bloß ob ihrer hanebüchenen Tölpelei verspottet wird. Die vernichtende Kritik kommt von ganz weit rechts, von links kann das ja jeder, man hat es so oft gehört! Der Bayern-Bund aus Hitlers Sicht aber wird nicht wegen seines reaktionären Weltbildes attackiert, sondern, weil der offenkundig national-rassische Impetus nicht konsequent entwickelt wird. Wenn aber gar der Gottseibuns selbst urteilt: Nazis? Ja sicher, aber Amateure!, dann ist da wohl nicht mehr viel zu retten. Gegen eine solche Expertise helfen die routinierten Abwehrreflexe auf die alltäglichen Beschüsse der Konkurrenz in Sachen Deutungshoheit über die res republica jedenfalls nicht mehr. Wer solche Freunde hat, braucht eben keine Feinde.
Oder die BILD: Ein erstklassiges Hetzblatt befindet der Experte in Sachen erstklassige Hetzblätter, der dann auch gleich aus dem Stehgreif entwickelt, was andere Experten, Stürmer und Goebbels, hier zu lernen gehabt hätten. Die nämlich wären weitaus weniger subtil vorgegangen, hätten den BILD- Bordell-Witz etwa mit didaktischen Bildchen versehen, auf denen visuell untermalt gewesen wäre, wie der ehrliche, deutsche, schuftende Arbeiter für den verschwitzten, unrasierten, geifernden Südländer knechtet. Hätten diese erstklassige Pointe zu verstärken gesucht, anstatt sie, wie eben die BILD, geschickt platziert und präsentiert still ihre zersetzende Wirkung tun zu lassen. So nämlich sei das weitaus wirkungsvoller. In der Tat! Danach die seit jeher beste erhältliche Beschwichtigungsberichterstattung - der Sport. Insgesamt eine vollendete Symphonie von Neid, Missgunst und Niedertracht- kurzum: die perfekte Zeitung. Gegen solches Lob aus berufenem Mund ist wahrlich kein Kraut mehr gewachsen- die ultimative Abrechnung.
Ganz begeistert zeigt der radikale Medienkritiker sich auch von der RTL- Idee, die gemeinsten, plattesten Ausländerklischees abendfüllend als Witz zu präsentieren und zwar von wem? Von unverdächtigen... Ausländern. Ja, ja, die Propaganda!
Die Epoche findet aber auch sonst überraschend häufig des Kritikers Gefallen (Kritiker: Das ist Hitlers Rolle im Buch. Und die der Witzfigur natürlich. Die des größenwahnsinnigen Egomanen. Des Weltverbesserers. Alles so wie immer, also). Ganz ausgezeichnet dünkt ihm, dass große Teile der Schulabgänger über den Wortschatz und damit den Intellekt von 6-Jährigen verfügen, denn der deutsche Landser muss nicht denken oder reden, er muss marschieren und gehorchen. Und das deutsche Mädel? Nun, man weiß es ja... Die zugedachten Kernkompetenzen basieren sicherlich nicht auf Geist, Wort und Sinn. Dass da, trotz Bertelsmann-Stiftung und sonstiger Verschwörungs-Verdächtigter, (vielleicht? wahrscheinlich?) kein ausgeklügelter Plan zugrunde liegt... Um es mit Christoph Waltz zu sagen: Wer weiß, was noch passiert!
Nicht weit weg von hier (in Saarbrücken, oder so) las ich kürzlich die beeindruckende Klage, die Menschen seien doch in der Mehrzahl mit erheblichen Mängeln behaftet; emotional schwach, abstrus, eitel usw. Der Kläger selbst sei zumeist froh, vor ihnen rasch entfleuchen zu können. Da auch ich unter einigem Egozentrismus leide, habe ich all das gleich mal auf mich bezogen und zwar unter zwei Aspekten: 1. Bin ich so? Ja, bin ich. Oft genug. 2. Teile ich die Ansicht des der Menschen überdrüssigen Nachbarn über die Spezies ganz im Allgemeinen? Ja, sicherlich. Der Kontakt zu ihnen ist mühsam, sie wollen, denken, meinen anders als ich. Mal zeigen sie kein Interesse, dann fehlt ihnen Herz, Witz, Verstand, Empfindung. Sie lähmen und langweilen, wenn sie, gefangen in frostigen Konventionen und beherrscht von einer oft genug fatalen Individualgeschichte ihren krankhaften Zwängen fröhnen. Töricht und tiefelos- ohne Schwingung, wie man so sagt.
Trost, auch darin stimme ich mit dem Nachbarn überein, hält vielleicht die Kunst bereit oder, möchte ich ergänzen, ihre Surrogate aus Film, Musik und Literatur. Das ist der Grund dafür, dass hierzulande so großer Wert auf eine gemütliche Heimstatt gelegt wird. Nicht nach innen geht der geheimnisvolle Weg, wie Goethe sagt, sondern in die Abgeschiedenheit, jedenfalls heutzutage nach zwei Weltkriegen und allgemeiner Depression sowie dem hieraus erwachsenen Drang, immer und überall am geilsten sein zu wollen. Und da gibt es auch keine großen Geheimnisse. Bei sich sein; das ist vor allem nicht bei anderen sein. Mir scheint das ein typisches Merkmal deutscher Wesensart. Die Melancholie: Hier treibt sie schönste Blüten.
Der Nachbar will all das (und alles andere) nicht kommentiert wissen. Damit bin ich ebenfalls sehr einverstanden, denn was soll das Zerreden und Wenden all dessen, das ja doch unabänderlich ist, empfunden und erlitten in Jahren. Und dennoch scheint mir all das noch nicht zuende empfunden, denn die Schwachheit: sie beschränkt doch wohl auch den, der so ohne Liebe und Verständnis ist, dem es an Einfühlung und Verständnis fehlt für all die Schwachheiten und der sich verschanzen mag vor der Welt- und komme sie auch noch so banal daher. Das Ich bezähmen! Vom Standpunkt absehen! Jedenfalls ab und an.
Der Plot des preisberegneten Blumenberg von Sibylle Lewitscharoff geht durchaus: Ein Löwe taucht aus dem Nichts im Arbeitszimmer des Philosophen auf und bindet jegliche Aufmerksamkeit, existentiell: die Blumenbergs und die des Lesers. Doch schon nach wenigen Seiten ermüdet auch der wohlwollende Leser, ermattet von tödlich dröger Prosa: Der Löwe ist zu mir gekommen, weil ich der letzte Philosoph bin, der ihn zu würdigen versteht, dachte Blumenberg. Deutsch-verkopfte Konzeptschreibe in Reinkultur ist das! Da wird gewürdigt, verstanden, gedacht und so geht das seitenlang weiter. Bekenntnishaft schrauben sich allerorten schwächste Verben teutonisch-protestantischer Innerlichkeit durcheinander anstatt es krachen zu lassen und der Situation Leben abzugewinnen. Gestelztes Perfekt, egozentrische Selbstverliebtheit, umständliche Verschachtelung, Texttext. Ein Roman wie ein Tatort vom Bodensee. Satzzeichen?
Satzzeichen fehlen. Natürlich, stelle ich fest. Natürlich fehlen die Satzzeichen, denn die Moderne modernisiert nun mal und das Gefällige, Konventionelle fällt da der Kastration anheim mit einer Radikalität, mit der sonst nur ARD-Politmagazine beschnitten werden.
Derart matt klänge das alles sicherlich auch, wenn ich es zu schreiben gehabt hätte und deshalb lasse ich das mit dem Schreiben auch künftig. Ich führe stattdessen hier meine verdrehten, garantiert preislosen Selbstgespräche, wenn auch so halbwegs öffentlich. Frau Lewitscharoff aber hat wohl kein Internet.
Seit jeher empfinde ich es als kapriziös, peinlich, geradezu indiskret von Lieblingsbüchern zu sprechen. Ganz offensichtlich ist dieser Affekt dem spießigen Vergnügen an der pubertären Kategorisierung von Empfindungen geschuldet. Wenn ich nachdenke oder spreche über wichtige Bücher fällt das Resümee daher immer relativierend aus: In den letzten Monaten hat mich Rafael Yglesias Glückliche Ehe berührt, Oskar Roehlers Herkunft aufgewühlt, Siddhartha Mukherjees Der König aller Krankheiten fasziniert (eine recht morbide Auswahl, wie mir da auffällt!) - aber ein Lieblingsbuch? Da wiegele ich ab: Mal so, dann so- heute jenes und morgen dieses. Wer liest einen Roman schon zweimal?! Das wäre vielleicht ein Kriterium. Henry Miller seine Books in my life (selbst ein Buch übrigens, dem ich weit vor der Amazon/Internet- Ära bis nach London gefolgt bin!) ja angeblich gar einige dutzend Male... vor allem seine Dostojewskis.
Immer aber fällt mir in solchen Zusammenhängen (und die gibt es ja) T.C.Boyle´s Drop City ein; einem wahrhaften Naturereignis, einem fulminanten Anti- Lewitscharoff, das sich zum Blumenberg verhält wie der Bodensee-Tatort zum Paten oder der FC Köln zu Bayern München: Sicher, es gibt da eine innere Verwandtschaft. Man tut dasselbe, irgendwie. Aber dann doch wieder etwas ganz, ganz anderes.
Drop City; das ist glänzend geschriebenes Pathos. All die Verkorkstheit, der Glaube, die Hoffnung, die Verzweiflung in einer Metapher- in einem Satz: Er war unterwegs nach Hause, er stand auf den Schlittenkufen und atmete ganz ruhig, ein Mann im warmen Pelz, vor sich ein Hundegespann, in einer rauen, wilden Gegend, und er war unterwegs nach Hause zu seiner Frau. Danach kann nichts mehr kommen und daher kommt danach... nichts mehr! Take breath, baby!
auf seinem neusten Friedhof richtet Umberto Eco, Simon Simonini, oder wie immer der Identitätengräber beliebt, sich zu nennen, mal wieder einigen Schaden an. Grandios raunt die Presse dennoch reflexhaft, wie immer, wenn il professore sich regt. Mich hingegen langweilt´s, wenn auch nicht auf völlig indiskutablem Niveau. Autistisch selbstverliebte Reflexionen lasse ich nicht als Literatur gelten- schon gar nicht als anregende. Viel zu selten greift er mal dorthin, wo das Leben pulst und wo es interessant (Goethe) zu werden verspricht.
Die Deutschen, das habe ich mir aber -zutiefst beleidigt- sehr wohl gemerkt, rühmten sich angeberisch einer gedanklich-spirituell-melancholischen Tiefe, die sie doch bloß verwechselten mit der Unfähigkeit, in ihrem platten, vagen Kauderwelsch überhaupt irgendetwas Treffendes sagen zu können. Dieses Defizit nun wieder, so der Turiner Zeichenpapst (na ja, sein Protagonist), empfänden sie, also die Deutschen, als Ausweis dafür, dass immer noch etwas mitschwänge, da sei. Dass es also neben, in oder hinter dem Gesagten eine tiefere Schicht und Substanz gäbe oder gebe und auch geben würde!
Wer weiß, was der Herr so rezipiert und mit wem er spricht. Vielleicht liest er meine Zeilen. Vielleicht aber auch den Kölner-Stadt-Anzeiger. Den dort fabulierenden, hier schon mehrfach geehrten Markus Schwering etwa oder auch diese wirren Beobachtungen aus dem Sportteil: Wolfgang Overath besitzt die Gabe, unheimlich emotional werden zu können. Unter solchen Eindrücken ist geschockte Sprachkritik sicherlich am Platze. Andererseits gibt es sie doch durchaus auch; deutsche, schöne, tiefe Tiefe- sogar in durchaus doppeldeutigem Wortsinne. Man muss, wie es sich für einen Literaturiotiker an und für sich ziemte, nur einmal genauer umsehen, um dann ganz, ganz schnell auf Megaseller Charlotte Roche und ihre erstklassigen Bedeutungsspielereien zu stoßen: Wenn ich mit jemandem ficke, trage ich doch mit Stolz sein Sperma in allen Körperritzen, an den Schenkeln, am Bauch oder wo der mich sonst noch vollgespritzt hat. Nein, Signore Eco, Oce oder Ceo- seien Sie nicht gar zu streng mit dem Deutschen und seinen Sprechern: da ist gehöriges Potential an Klarheit, Bedeutung und Wohlgestalt.
Ich war nie so recht ein Freund des Martin Walser. Mir kommen seine Prosa-Predigten immer arg gestelzt daher, konventionell im Erzählstil und dröge im Plot. Ich sympathisiere mit der Einschätzung Reich-Ranickis, das sei eigentlich gar keine Literatur, was der Bäckerssohn da verzapfe. Eher konzeptionelle Reflektionen über dies und das, gerne ja auch einmal mit Anleihen in naturwissenschaftlicher Sphäre.
Umso anregender für mich nun ein Interview, welches der Bodensee-Priester anlässlich des herbstlichen, mehr und mehr seltsamen Literaturtreibens in Frankfurt dem lokalen Werbe-Blättchen (Top Medium im Bereich regional print) gewährte. Walser bezeichnet sich selbst dort als Muttersohn. Das sei seine treffliche Charakterisierung. Er verwahrt sich gegen Muttersöhnchen und konstatiert, dass es nur Deutschen einfalle, die enge Bindung an die Mutter mit hämisch-höhnischer Verniedlichung zu belegen. Mir gefällt der Gedanke, dass ein Wortsetzer tagelang über solch semantische Details sinniert.
In seinem nächsten Buch, so erfährt der devote Fragenmensch, wird Gott gesucht und... nicht gefunden- was sonst! Würde er gefunden... ja, das wäre mal was. Ich sehe ein: das brächte so einen Autor natürlich in schier unüberwindliche dramaturgische Schwierigkeiten. Trotzdem, ich bleibe dabei: Man läse solches einmal gerne: Wir standen nebeneinander an der Sandwich-Theke und ich erklärte IHM umständlich, wie ein Sub bestellt wird. Entgeistert besah ER sich die schmierige Zutaten und bröseligen Brotfragmente. So in der Art.
Nach Lektüre Karl Barths und Augustinus´ fühlt jedenfalls M.W. sich inspiriert zu einem theologischen Stoff, weil deren Theologie der Hoffnungslosigkeit geeignet sei, Trost zu spenden und spirituelle Bedürfnisse aufgeklärter Menschen zu befriedigen. An Gott glauben, aber jede Hoffnung fahren lassen: Das klingt vielversprechend. Vielleicht doch noch mal Zeit, sich predigen zu lassen.
Ein paar Wochen ist es her (FAS vom 15.08.2011), dass Frank Schirrmacher die perversen Geldmarkt- Kapriolen der globalisierten Finanzgeier als wirkungsmächtiges Resoziali-sierungsprogramm für die Linke bezeichnete. Haben die Linken doch Recht gehabt? stellte er damals sein sicherlich mühevoll erkämpftes und lange Zeit gegen alle möglichen Anfechtungen verteidigtes Weltbild infrage und mit ihm zugleich die in Generationen gewachsene bürgerliche Ideologie. Suggerierte Antwort: Ja, haben sie. Erstaunlich genug für das Resümee eines FAZ-Herausgebers.
Erst recht bemerkenswert an Schirrmachers Injurien ist, dass er bei den Klagen über die ungezügelte Gier einer hemmungslosen Abzocker-Kaste mitsamt dienstfertiger Polit- Akteure nicht stehen bleibt. Er konstatiert vielmehr einen einhergehenden Verfall bürgerlich- sittlicher Grundwerte: Der Banker als ungebildeter, unmanierlicher, roher Geselle, der zum Selbstzweck erst das Gemeinwesen in seinen Grundfesten erschüttert und dann, wenn er scheitert und der Rettung bedarf, nicht einmal den Anstand (als klassischer Bürgertugend schlechthin) aufbringt, sich zu entschuldigen, Demut zu zeigen- von Dank ganz zu schweigen. Dann die Politikerin (gemeint ist in erster Linie die Kanzlerin), die weder Kraft noch Willen zeigt, moralische Verantwortung einzufordern- vielleicht sogar als notwendige Vorbedingung für jedwede Hilfe. Die also auch die psychologischen Befindlichkeiten ihrer Wählerklientel kaum kennt, kaum einschätzen kann- offenbar: Kein Wort, nichts, niemand!
Gerade diese gewissermaßen ästhetische Dimension hatte ich in der Tat in all den Kommentaren und Talks zum Thema seltsam unberücksichtigt gefunden, auch wenn ich zu eben jener angesprochenen Klientel nicht unbedingt zähle.
Ein fulminanter Text ist das jedenfalls, eine Sternstunde für die Zunft politischer Korrespondenten. Klug und ehrlich in der Analyse, Mitleid erregend im durchschimmernden Leid am Zustand einer großen Idee (meinetwegen einer Ideologie), der der Autor jahrzehntelang leidenschaftlich anhing und der die FAZ gewissermaßen ihre Existenz verdankt. Mich hat´s damals beinahe von der Sonnenliege gekegelt...
Im Schwesterblatt (FAZ am 29.09.2011; Archivartikel Die sanfte Steuerung der Bildung leider kostenpflichtig) nun aktuell eine vergleichbare linke Systemkritik und zwar in Form einer unumstößlichen, radikalen Analyse der Bedingungen, unter denen die sogenannten Reformen des Bildungswesens in den vergangenen 11 Jahren vorgenommen wurden. Jochen Krautz, Fachhochschullehrer am Fachbereich Bildungswesen der Alanus-Hochschule/Bonn, legt dar, wie unter Federführung der Bertelsmann-Stiftung Verbände und Politik die diversen Schulleistungsstudien für ihre Zwecke deuten und aus diesen Interpretationen einen utilitaristischen, auf ökonomische Verwertbarkeit gerichteten Bildungsbegriff ableiten, den sie dann mithilfe professioneller Lobbyarbeit in Politik und Verwaltung verankern. So wird, anstatt sich kritisch und konstruktiv mit den Ergebnissen der Studien zu befassen und ggf. geeignete Konsequenzen zu entwickeln, eine "neue" Wirklichkeit geschaffen, ein neues Paradigma der Bildung- umrissen mit den Begriffen Kompetenz und Flexibilität. Eine demokratische Legitimation oder auch "nur" pädagogische Notwendigkeit dafür besteht nicht.
Das geht soweit, dass Arbeitsgruppen der Stiftung Kommunikationsstrategien für den Umgang mit sogenannten Veto-Playern, also potentiellen Protestlern, ersinnen. Die Spaltung der Opposition wird zu diesem Zwecke strategisch betrieben, indem hier diffamiert und dort umschmeichelt wird. Propaganda at it´s best! Anpassung, insbesondere der Universitäten, an arbeitgeberfreundliche Bildungsstandards ist das höchste Ziel.
Die Konsequenzen eines solchen Paradigmenwechsels in der Bildung liegen offen zutage- die PISA- Reformen an den Schulen fruchten nicht, weil bloßer Kompetenzerwerb fehlendes Wissen nicht ersetzt und Verwaltung keine Pädagogik. Die Bologna-Reformen an den Universitäten können nach nur ein paar Jahren getrost als gescheitert gelten; nicht nur die Ingenieure wenden sich mit Grausen ab und verlangen ihr Prädikat "Dipl-Ing" zurück. Auch Lehrer und Juristen wehren sich gegen ein Schmalspurstudium, in dem reine Gedächtnisakrobatik betrieben wird und kein Platz mehr bleibt für argumentative Entfaltung, Dissenz und Rhetorik.
Veto-Player also allerorten. Ganz so tot wie oftmals behauptet scheint die Kulturkämpfergeneration der 60er- und 70er- Geister noch nicht zu sein. Dass ihr Zentralorgan die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist; das ist allerdings neu!
Layout by ichichich.