Contemporary Sinn für das effortless
Ich wollte schon längst mal etwas Stylisches hosten zum zielgruppenorientierten Marketing-Sprech der globalisierten Medien- und Fashion-Community. Das liegt nahe, wenn du wirklich exactly zwischen Mediapark downtown cologne und Kö D´dorf wohnst. On focus hatte ich zuerst schon die schaurig-schöne Parallelwelt der smarten Magazine- writer, e.g. Klaus Dahm (nicht Carl Dahemme? Was ist da los?!), Chefredakteur der "Grazia". Was ist "Grazia"? Grazia ist eine Fashion-Weekly mit hohem People-Anteil. Es gibt da allerdings eine starke Konkurrenz-Performance, nämlich die "Gala", auch ein People-magazine, Gott sei Dank eher auf Style-Kompetenz gebased. Beide Weeklys heben sich contentmäßig deutlich ab von der monthly girl-IT-Bespaßung "In Touch" oder gar den monthly fashion-news in "Vogue". Sagt Klaus Dahm, und der wird´s wissen. Wenn ich es richtig verstehe: BUNTE geht gar nicht!
Dann aber wurde mir die Szene zu vulgär und ich wandte meine Recherchen unmittelbar in Richtung Modebranche, denn hier tut sich, inspired by Heidi, so rein sprachmäßig am meisten, actually. Ja, und da, was soll ich sagen, wurde ich auf das Allererfreulichste fündig gleich um die Ecke, nämlich bei Jean Stubenzweig. Der hat eigentlich schon
alles online gebracht hierzu, so dass ich mir jede lästige Metaebene nun erspare und stattdessen now und here mit ihm die großartige, highly creative Fashion-Performance-Lady Jil Sander zitiere:
Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die handtailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.
Bewusstseins-Nirgendwo
"Ich mag keine Russen. Ich mag keine Steuern. Ich mag keine Inflation." Ronald Reagan, dessen politische Leitthemen dieses Zitat wohl ganz gut zusammenfasst, wäre heute 100 geworden.
Ich habe ihn nicht gemocht. Er war aggressiv, chauvinistisch, verstockt, rückständig, ungebildet- unter anderem. Aus heutiger Sicht muss man aber wohl auch ergänzen: maßstabsbildend; ein viel kopiertes Original. Das enorme Staatsdefizit der USA bekämpfte seine Administration, indem sie die Steuern halbierte, um Investitionsräume zu schaffen; dies dämpfte zunächst einmal höchst wirkungsvoll die Arbeitslosigkeit und brachte andere günstige Effekte, wodurch wiederum das Steueraufkommen stieg. Flankiert wurde dies durch eine enorme Subventionierung des Rüstungssektors (man erinnere sich nur einmal an die Pläne des Hollywoodblenders für einen "Krieg der Sterne"), gewissermaßen eines staatlichen Konjunkturprogramms schwindelerregenden Ausmaßes für die gesamte heimische Wirtschaftsleistung. Das passte natürlich hervorragend zum Credo Teil 1!
Da Reagan zunächst also erfolgreich agierte und so ganz nebenbei die USA zu verschütt gegangenem Selbstbewusstsein zurückführte, avancierte er zügig zum Hohepriester der Konservativen weltweit. Sein ökonomisches Mantra beteten sie fortan alle, am lautesten vielleicht in London und Bonn. Sozialliberale, gar linksliberale Regierungen jedenfalls waren ab den frühen 80er-Jahren bis auf weiteres passé in den führenden Wirtschaftsräumen.
Wahrgenommen haben Reagan viele Menschen meiner Generation aber ganz anders, nämlich als Kriegstreiber. Ich persönlich verstand gar nicht, dass er ins Rennen ging, um eine Wirtschaftskrise zu lösen. Das war ein irgendwie vulgärer Aspekt politischen Treibens; Detailkram, nichts für uns Wohlstandsjünglinge, etwas für Freaks, kein Thema. Uns ging es schließlich um das Ganze, um den Weltfrieden, mindestens.
Was da in diesen Jahren aber in allererste Linie losgetreten wurde, verstand und verstehe ich erst Jahre später so einigermaßen: Ethisch, rechtlich und ökonomisch nicht zu vertretende Förderung der Reichen, Anhäufung von privater Kapitalmasse, die ohne jeden öffentlichen Auftrag und Nutzen die Finanzmärkte überschwemmte, Privatisierung aller relevanter Versorgungs- und Dienstleistungsbereiche wie Telekommunikation, Verkehr, Gesundheit und Energie bei selbstverständlich explodierenden Preisen und implodierenden Leistungen. An den Folgen arbeiten die Gebühren-Beitrags- und Steuerzahler sich ab, während die einst Entlasteten von Transfer- und weiteren Bonizahlungen profitieren. Wodurch das Teufelskreise zeichnende Rad wieder in Schwung kommt...
Es geht aber beileibe nicht nur um Perversitäten materieller Art wie globale Finanzcrashs oder die Abenteuerfahrten mit der DB, mir fällt krasser Mentalitätswechsel auf: Die Menschen mutieren zu Schnäppchenjägern, zu Sozialdarwinisten. Entsolidarisiert und "privatisiert" treiben und surfen sie so vor sich hin. Doch wohin? Vielleicht in ein Bewusstseins- Nirwana, das der verhinderte Jubilar selbst in seinen letzten 10 Jahren ja ausgiebig hat bereisen müssen? Welch großartige Metaphern doch das Leben schreibt!
jagothello am 06. Februar 11
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Bye bye, Truthahn
Der Truthahn, welcher nun schon seit 1000 Tagen wächst und gedeiht, erfreut sich seiner gott- und menschengegebenen Existenz. Jeden Tag Futter, ein schön gemachtes Nest und vielleicht auch mal einen Quickie mit der Nachbarhenne. Alles das von Menschen Gnaden. Keinerlei Anzeichen dafür, dass das nicht ewig so bleiben sollte. Er wiegt sich in Sicherheit, denn von archaischen Opfer- und Fressriten seiner Versorger hat er noch nie gehört. Am 1001. Tag jedoch wird das Federvieh gemeuchelt, ausgeweidet, gebraten und vertilgt. Was ist da schief gelaufen?
Verhindern hätte es die Katastrophe wohl nicht können; auch dann nicht, wenn es Einsicht in menschliche Absichten hätte erlangen können, vielleicht wäre es beizeiten auch weggeflattert oder hätte das wenigstens versucht. Darum soll es hier aber nicht gehen.
Was mich an dem Truthahn fasziniert ist sein rigoroses Festhalten an der Induktion! An einem Denkmodus, in dem er von seinen speziellen Gegebenheiten meint, auf das Allgemeine, das Gültige, die Regel zurück schließen zu können. Bertrand Russell wies im Hinblick auf die unglückliche Hühnerbiographie auf die Gefahren solchen Denkens hin und das offenbar zurecht!
Das gegenläufige didaktische Konzept ist die Deduktion. Ein Verfahren, welches den umgekehrten Weg geht. Eine Regel wird in möglichst allgemeiner Form verinnerlicht, um so Schlüsse für spezielle Einzelfälle zu ermöglichen. Unser Hähnchen hätte sich in diesem Sinne bemühen sollen, tradierte kulturelle Gewohnheiten seiner vermeintlichen Gönner kennenzulernen, zum Beispiel aus einem Buch oder einer Erzählung vielleicht der Nachbarhenne, die da vielleicht schon einmal etwas gehört hat... Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren.
Letzteres ist nicht immer attraktiv. Wir alle kennen das aus den verschiedenen Lernkontexten, zum Beispiel der Schule. Ein Sachverhalt bewegt sich, so jedenfalls die Theorie, quasi im Uploadverfahren von einer Quelle (Lehrerhirn, Buch) in das Zielverzeichnis, das eigene Köpfchen. Solch ein Verfahren hat seine Tücken, erschien mir auch immer schon erkenntnistheoretisch unsauber, da Lernen nun mal mit Erfahrung, mit Anschauung und Anwendung zu tun hat. Das wissen wir seit Piaget sicher und es entspricht auch der täglichen Erfahrung. Mit der Regel: "Eine lineare Funktion ordnet jedem Eingabewert exakt einen Ausgabewert zu" kann beispielsweise kein Mensch etwas anfangen. Dass Bildungsmedien auch im Jahre 2011 noch solches aussondern, ist nach wie vor Anlass für heftigen Verdruss, nebenbei.
Dabei geht es auch ganz anders. Wenn man Lernenden geeignetes Material gibt und intelligente Aufgabenstellungen wählt, können echte Bildungserlebnisse, in dem Sinne eben, dass ein suggestives "Bild gemacht" wird, in Gang gesetzt werden.
Ein Beispiel (über Beispiele lernen wir): Die unverfängliche Arbeitsanweisung, verschiedene Handytarife vergleichend zu visualisieren, wird unter Garantie zu einem linearen Schaubild führen und schon ist der Kern des Funktionsbegriffs gesichert; Begriffe, Konventionen und mathematische Konzepte kann man dann bequem "nachschießen"- die Lernenden gehen dem Gegenstand zunächst aber buchstäblich auf den Grund und genau das ist das Entscheidende beim Lernen.
"Induktion" also ist mein didaktisches Credo, keine Frage. Sie ist es, die uns hilft, Weltwissen aufzubauen und echtes Verständnis. Anders ist "Wahrheit" nicht zu haben.
Der arme Truthahn aber- erst totgegrillt und dann auch noch für schiefe Analogien missbraucht. Er hatte vor allem keine fähigen Lehrer! In seiner Versuchsanordnung gab es weder geeignetes Material noch eine erkenntnisleitende Aufgabenstellung- es gab nicht einmal eine Aufgabe. Nur das Vegetative. Und warum auch nicht? Er wird "seine" Welt schon gehabt haben, wenn auch nur für 1000 Tage.
jagothello am 31. Januar 11
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Geliebte Tochter
Ein mich ungemein packendes, berührendes Bild:
Gerhard Richters "Betty" Das 12-jährige Kind-Mädchen entzieht sich dem liebevollen, unendlich zärtlichen Blick und wendet sich ab, denn er überfordert sie. Zumindest nun und fortan immer öfter. Das ist keineswegs kindliche Scheu. Hier ist kein flüchtiger Augenblick eingefangen. Das ist eine fundamentale Distanz, die weiter wachsen wird, ein durch nichts und niemand zu überbrückendes, schmerzliches Fremdeln, gemalte Vater-Tochter- Anthropologie.
Von Tankern, Kardinälen und Würmern
Was eigentlich ist es wert, besprochen, berichtet, kommentiert zu werden? Eine heikle Frage scheint das zu sein; kein Konsens, nirgends. Überall scheint da Ratlosigkeit zu herrschen. Glücklicherweise hat sich immerhin schon einmal die Position durchgesetzt, dass die ewige, verkrampfte Suche nach headlines aus dem Segment "Politik" ebendies ist: verkrampft, unsexy, dröge. Doch was tritt an ihre Stelle? Welches Ressort stößt in die Lücke und nutzt die Identitätskrise des politischen Korrespondententums? Ein Flickenteppich natürlich, ein Kessel Buntes, die Panorama-Seite.
Die Printausgabe meiner Tageszeitung, nichts weniger als Leitmedium der heimatgebenden Millionenstadt, fand es heute am notwendigsten, über das Schicksal eines gekenterten Tankers auf dem Rhein aufzuklären und zwar inklusive großformatigem "Oh-Mann"- Foto, das natürlich bestenfalls illustrierende Funktion hatte, keineswegs informierende. Hier und da verstreut noch kleine Texthäppchen zum empathischen Barack O., einem an Schweinegrippe erkranktem FC-Profi und weiterem Zeugs dieser Sorte. Angenehm: Man hat das alles ruckzuck vertilgt und verdaut, so nach 4 Minuten.
Es handelt sich übrigens um eine Zeitung, deren journalistischer Anspruch noch 1990 nur im Rahmen einer dezidierten Sechsspaltigkeit umzusetzen war bei selbstredend weitaus kleinerer Typographie. Wie weiland die FAZ schwor man auf den kategorischen Verzicht eines irgendwie anrüchigen Einsatzes suggestiven Bildmaterials, zumindest auf der geheiligten Seite 1. Später gab es dann vielleicht einmal ein s/w-Bildchen von Kohl mit Gorbi am Teich, oder so. Unleserlich zwar das alles aber der "Content", wie das heute heißt, duldete keine Zugeständnisse an die billigen Komfortbedürfnisse der Leserschaft. Wem das nicht passte, empfahl man die BILD-Zeitung. Punkt.
Ja, so bemerkenswert, so exotisch, so absurd offenbar erscheint den Heutigen aber nun dieses Layout, dass man ein entsprechendes Exemplar im Kuriositätenkabinett des Hauses der deutschen Geschichte zu Bonn besichtigen kann. Richtig besichtigen. Hinter Glas in einer Vitrine, museal aufbereitet. Da staunt er, der Fachmann und der Laie wundert sich.
Dieselbe Zeitung kommt nun (wie beneide ich die Bayern für ihr universell einsetzbares "heuer", das ähnlich wie das frz. "voilá" eigentlich immer passt- aus ästhetischen Gründen muss ich aber verzichten und kann wieder nur "nun" schreiben. Ich meine aber "heuer") auf Seite 1 gerne auch mit Neuem aus der Diözese; heute: Der Ex-Papst wird heilig gesprochen. Vorgestern: Der Kardinal macht eine Audienz des aktuellen Dreigestirns (!) beim Jetzt-Papst klar. Heute außerdem in der online-Ausgabe: Eine rückwärts laufende Uhr, noch so und so lang bis Wieverfastelovend (!), sprich: karnevalistischem Brauchtums-Anstoß- neben Kirche, K(ölner)V(erkehrs)B(etriebe) und Kneipenkultur das vierte große K-Thema der hiesigen Presselandschaft.
Auch die Tagesschau tut mit beim Zelebrieren des Belanglosen. Barroso will mehr Geld, ein Bayern-Banker unterschlägt 50 Millionen, ein deutsches Madel gewinnt eine Medaille, weil sie am besten Skilaufen und dabei schießen kann, die Lottozahlen. Wozu gibt´s eigentlich Teletext und Internet? Schön auch die ZDF-Endlosschleife, was der Bürger, dies statistisch durchleuchtete Wesen, DENKT, wer gewinnt, verliert und es versuchen sollte. Also: Wie die ANDEREN wohl wählen? Ja, das wollen wir wohl wissen; was denken andere, wie wir denken!
Ich habe es da zugegebenermaßen leichter. Ich schreibe und rede einfach so vor mich hin und schere mich nicht um Relevanz und um einen Auftrag schon gar nicht. Den Auftrag allerdings, ja, mein Gott- den habe ich ja auch nicht! Und bezahlt, sagen wir mal mit 17,98 € im Monat von jedem, der einen Computer bedienen bzw. ihn besitzen KÖNNTE, werde ich schon gar nicht.
Als unbezahlter Laie fühle ich mich auch eh viel wohler- so bleib ich´s denn. Ich gebe aber aus meinem Glashaus gerne den frommen Laienratschlag, die RTLisierung des Pressewesens zu stoppen, umzukehren, sich zu besinnen. Diejenigen mit Hausverbot zu bestrafen, die die alte Thoma-Evangelium beten: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Die Menschen nämlich hassen Würmer, zumindest auf Dauer. Und bekömmlich sind sie auch nicht.
PS Und gerade heute morgen lese ich in eben jener Zeitung einen Jubiläumsartikel über Wikipedia. Dort tobt eine handfeste Auseinandersetzung um dieselbe Frage: Was ist relevant? Die "Deletionisten" sagen: Es gibt Standards: Relevanz liegt bei einem potenziellen, breiten, nicht nur lokal oder regional begrenzten Interesse vor. Was zu diesem Standard nicht passt, gehört gelöscht. Die "Inklusionisten" verweisen darauf, dass Wikipedia ohne die Begrenzungen des Mediums "Papier" funktioniere und insofern nichts gegen eine Relevanzentscheidung des einzelnen spräche.
Zeitungen funktionieren aber anders. Der Inklusionist gibt´s ja zu. Sie braucht eine kompetente, tagesaktuell arbeitende Redaktion und nicht nur die Abstimmung mit den Füßen.
Kampfkardinal Meisner
Da hat der Kampfterrier der Katholischen Kirche Deutschlands ja mal wieder tüchtig zugebissen: Die Präimplantationsdiagnostik ist also vergleichbar mit dem Kindsmord des Herodes. Mal abgesehen davon, dass der historische Herodes aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im Jahre 4 vor Christus starb und sein Anteil an diesem nach christlich-abendländischen Vorstellungen geradezu mythischen Verbrechen zumindest äußerst ungewiss ist, hinkt ja bekanntermaßen jeder Vergleich und dieser ganz besonders, auch wenn ich mich gerne einmal auf die schmucke Legende einlasse.
Darauf, dass es doch wohl etwas anderes ist, geborenes Kinderleben hinzumorden, als die Geburt von schwerkrankem Leben zu verhindern, will ich hier aber gar nicht weiter eingehen. Auch nicht darauf, dass ein diagnostisches Verfahren kein "gut" und "böse" kennt und eben nicht der Vernichtung von Leben dient, sondern seiner Erforschung.
Wohl aber darauf, dass sich zu dem besagten Kindsmord ein ganz anderer, viel näher liegender Vergleich geradezu aufdrängt; nämlich der zur Vergewaltigung und Verstümmelung dutzender, vielleicht hunderter Kinderseelen in kirchlichen Einrichtungen, zu verantworten vom geistlichen Personal. Dem sollte sich der würdige Herr mal derart aggressiv widmen.
Holy BimBam
"Holy BimBam" und "scheinheiliges X-mas": Das ist die Titelgebung einer kleinen Auswahl örtlicher Trash-Pop-events, die am Heiligen Abend um 23.00 Uhr starten; vorher muss ja noch bei der allseits verachteten Bescherung eingesackt und abgeräumt werden. Das feine Fisch- oder Bratenessen von Mutti sowie die gute Laune von Vati, der generös die vom Weihnachtsgeld prall gefüllte Brieftasche öffnet, nimmt man zum "Warmglühen" ja gerne noch mit ("Weckt mich morgen, wenn die Gans fertig ist"). Insofern: Alles so wie immer schon.
Ich behaupte aber: Die Veranstalter all dieser profan-hippen Partyprojekte treffen nicht auf ein authentisches Lebensgefühl der Partygemeinde, erzeugen es nicht einmal. Sie bieten bestenfalls einen Code an, dem man sich zwecks Distinktion gerne verschreibt und dem folgend man sich und andere unglaublich sexy fühlt- betreiben also Werbung. In Wirklichkeit aber, in tiefer Tiefe ihres So-Seins stehen all die Gute-Laune-Mädels- und Jungs (also die Unter- 40-jährigen) total auf die (pseudo-) heile, verschneite Kerzenwelt daheim. Sie schließlich ist es, von der in 20 Jahren gesprochen wird, wenn von "früher" die Rede sein wird. Ich sag ja: Alles so wie immer schon!
jagothello am 24. Dezember 10
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Guugu-Yimithirr
Deutsch ist eine komplexe Sprache. Man zähle nur einmal zusammen, für wie viele kleinste Farbnuancen es eigene Begriffe gibt, die ein kompetenter Sprecher allesamt kennt. Oder die ungezählten Konstruktionen mit "haben" und seiner 13 oder 14 Formen in den diversen Tempora, für welche dem Engländer ein einziges "had" reicht (womit nichts über die 1 Millionen Fallstricke des Englischen gesagt ist). Die aus dem Lateinischen entlehnten Modi der Verben, die überaus flexibel handhabbaren sytaktischen Regeln- von wegen Subjekt - Prädikat - Objekt.
Die US-amerikanischen Linguisten Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir ließen sich von dieser Komplexität zu der Behauptung inspirieren, die Muttersprache gebe vor, zu welchen Gedanken und Einsichten ein Mensch fähig sei. Erkenntnis abhängig von Sprache- dies war das Credo, welches ausdrücklich "Linguistische Relativität" genannt wurde- eine bewusste sprachliche Parallele zur "Allgemeinen Relativitätstheorie" und den Gegenständen, die diese behandelt.
Wie Guy Deutscher, isrealischer Sprachforscher aus Oxford in seiner Abhandlung "Im Spiegel der Sprache" nun darlegt, haben Sapir/Whorf aber weit über das Ziel hinaus geschossen mit dieser These und sich einigermaßen blamiert. Es gibt nämlich keinen Grund beispielsweise anzunehmen, dass der antike Dichter Homer die mannigfachen Azurtöne seiner mediterranen Umgebung nicht hat wahrnehmen können, obwohl seine "Odysse-Helden" allesamt keine spezifischen Farbwörter "blau" kennen (andere aber übrigens durchaus).
Vielmehr, so sagt es Deutscher, liege der Zusammenhang zwischen Denken, Erkennen, Fühlen und Sprache in den Zwängen, die die Muttersprache für uns bereithalte. Ein Beispiel ist das indigene Aborigine- Guugu-Yimithirr, das keine Richtungswörter kennt, die in Relation vom Sprecher gesagt werden, also etwa "vor mir", "geradeaus" oder "erst gehst du rechts und dann befindet sich zur Rechten der Fluss". Seine Sprecher arbeiten mit absoluten Richtungswörtern: "Nördlich von deinem Fuß krabbelt eine rote Ameise." Dies zwingt die Menschen dazu, einen inneren Kompass zu tragen, der ein jederzeitiges, spontanes Angeben von Orts- und Richtungsangaben ermöglicht und tatsächlich ist ein solches virtuelle Orientierungssystem für diese Menschen belegt.
Was aber ist der deutschen Sprache immanent? Welche Zwänge übt sie aus? Welche Erkenntnisbahnen legt sie an? Ich meine schon, dass ein differenziertes Verhältnis zur Welt erzwungen wird von dem, der z.B. all die neben- und unterordnenden Konjunktionen kennt, die das Deutsche entwickelt hat, um über die eindimensionalen Parataxen des Neuen Testaments hinwegzukommen. Man denke nur einmal an die vertrackten pragmatischen Signale, die das unscheinbare "dass" subtil aussendet von erfahrenen Sprechern (von den Schreibern mal ganz zu schweigen!).
Vielleicht liegt in den komplexen Möglichkeiten der europäischen Sprachen ja sogar der Schlüssel für die Uneinigkeit der Menschen, die ins Kleinste differenzieren müssen, um so jeden Gedanken anstößig werden zu lassen, gesättigt mit Facetten, von denen das Gegenüber nichts wissen will. "Frohe Weihnachten"! "Ja sicher, aber..."
jagothello am 23. Dezember 10
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Die letzte Reise des Schöngesichtigen
Gerade mal 18 war Tutenchamun, als er die Fahrt gen Westen auf den Gewässern der jenseitigen Unterwelt anzutreten hatte. Hervorragend gerüstet ("fully equiped", wie ein Freund immer sagt) begab er sich auf die lange Reise über den Himmelsozean.
Des Sonnenkönigs Mondbarke (Live-Aufnahmen von der Überquerung des Himmelsozeans noch nicht als you-tube-Video verfügbar!). Man beachte das Schattenspiel gen Westen...
Auch für das leibliche Wohl war natürlich bestens gesorgt; mehrere dutzend Kilogramm Speisen bereitete man ihm als Wegzehrung. Sogar seine ersten Spielsachen durfte er mitnehmen sowie Blumen seiner Schwester-Frau. Grausam-archaische Bräuche wie noch 1400 Jahre zuvor, als man Gott-Pharao seinen halben Hofstaat mit auf die Reise ins Jenseits gab und sie allesamt mit einmauerte im steinernen Grab, scheinen zu Tutenchamuns Zeiten bereits außer Mode gekommen zu sein, Amun sei Dank.
Der seinerseits verdankt dem berühmten Hübschling seine spektakuläre Wiederauferstehung, rebellierte Tutenchamun doch vehement gegen das monotheistische Erbe seines Vaters Echnaton, der nur noch den Sonnengott Aton in seiner täglichen Herrlichkeit über der Wüste Ober- und Unterägyptens (neben sich) dulden wollte.
Per Erlass rehabilitierte also Tutenchamun den Allmächtigen- oder war es doch eine finstere Priesterkaste, die den Jüngling geschickt zu manipulieren wusste? Durch den Bildersturm Echnatons jedenfalls dürfte der ein oder andere Pfarrer arbeitslos geworden sein. Und statt dem krokodilgesichtigen Gott Sobek einen Tempel weihen zu können, um ihm Opfergaben darzubieten und ein beträchtliches Spendenaufkommen zu generieren, musste da wohl der ein oder andere umschulen auf Knecht oder Reptilienfänger. Sei es wie es sei! Zweifel, ob Tutenchamun seine Reise glücklich geendet hat sind jedenfalls am Platze. Sein Gehirn nämlich wurde von Amuns Priestern achtlos fortgeworfen und nicht wie die vier unteren Organe den vier leibhaftigen Göttinnen zur Pflege in einem goldenen Schrein überantwortet. Mögen seine 3000 Jahre dennoch friedvoll sein bzw.: gewesen sein- denn sie sind längst um und was danach kommt, weiß keiner.
jagothello am 11. Dezember 10
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sexy 3x-mas
Der Bürger, der Konsument ist ein Ärgernis für das handeltreibende Gewerbe in seiner störrischen, auf Individualität beharrenden Eigensinnigkeit und so muss er denn glattgefaltet werden, angepasst an die Notwendigkeiten der modernen Marktwirtschaft (sozial ist sie ja nicht mehr). Das geschieht in kleinen, aufeinander abgestimmten Schritten. Aldi zum Beispiel hat es in relativ kurzer Zeit geschafft, das Schnäppchen-Volk fit zu machen für den relevanten Verhaltenskodex zwischen den drei 25m- Regalreihen. Wehe dem, der es wagt, seinen Einkaufswagen an der Kasse anders als der Norm entsprechend in die eigens designte Nische zu setzen! Es droht Zurecht- und Zurückweisung; soziale Stigmatisierung. Oder den California-Burlwood für 2,99€, wegen dem man nicht auf die Lagerhallen-Verkaufsstelle verzichten mag, auf das Band STELLT statt LEGT! Auch da kann die sonst lethargische Kassenkraft fuchtig werden.
Gut, dass ich erfolgreich sozialisierter, sprich angepasster, Discount- Profi-Käufer bin. So falle ich nicht gar so häufig unangenehm auf. Ich habe das einer gewissen Lernfähigkeit zu verdanken, die mir immer schon zueigen war. Die war auch hilfreich beim Überwinden eines durch und durch spießigen Befremdens, bei IKEA permanent geduzt zu werden. Heute macht mir das gar nichts mehr aus. Ich denke mir: So ist das eben mit der Globalisierung. Da werden Grenzen überschritten und zu lernen gibt es ja immer.
Aktuell erfreue ich mich des Glücksgefühls, mich meiner abendländisch- christlichen Vorstellungen von Weihnachten entlasten zu können. Moderiert wird dieser Prozess natürlich wieder von den kundenorientierten Geschäftsbetrieben der Region. Echte und wahre Dienstleister: Das Wiegenfest des Schöpfersohnes nämlich wurde vom örtlichen Handel (oder von dem, was das amerikanisch- kolonialistische Filial-Gewerbe von ihm übriggelassen hat) in einem Akt verzweifelten vorauseilenden Gehorsams kurzerhand umgetauft und zwar in: "sexy 3x-mas". Unter diesem Label bietet man mir nun lustige Mützen, hübsche Wäsche und großbusige Mädchen auf bunten Plakaten an. Ich begrüße das. All der anerzogene, reaktionäre Ballast, all die schwermütigen, winterlichen Assoziationen von Dunkelheit, Kinderarmut und Kreuzestod, der ganze spießige Kram hemmen doch letztendlich nur die Kauflaune, die Libido, die Lebensfreude. Und das Motiv des Gebärens bleibt ja durchaus erhalten, subtil gebrochen, natürlich.
In diesem Sinne all den Froschfilmern, untoten Ägyptern und Deutschland-von-hinten-Filmern: Befreit euch aus eurer öden, gedankenschweren Innerlichkeit und a happy sexy 3x-mas. Go for it!