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Verehrter Herr Kardinal Meißner,
Sie merken es an meiner unbeholfenen Ansprache sicherlich gleich: Ich habe Schwierigkeiten, mich der Kirche und ihren Würdenträgern zu nähern (diese verschissene Gender-Eierei von wegen Würdenträgerinnen entfällt ja wenigstens mal definitiv. Das halte ich für ganz ausgezeichnet und ausgesprochen weitsichtig, Herr Meißner).
Ist verehrter angemessen? Kardinal? Müsste nicht eher tituliert werden mit Erzbischof? Ist es schicklich, vor Ihnen auf dem Boden zu knien und Ihren Ring zu küssen? Sie überhaupt zu fragen? Kommentare mögen Sie ja bekanntermaßen schon mal nicht und auch nicht, wenn andere Antworten haben. Einen kleinen Hinweis möchte ich aber doch mal kurz geben und zwar zu Ihrem kürzlich an die Kanzlerin herangetragenen Anliegen, den Frauen müsste man aber auch mal klar sagen, dass sie zuhause bleiben und drei oder vier Lämmchen zur Welt bringen sollen. Ich glaube, das täten die in der Tat ganz gerne. Zumindest manche oder viele. Die Kanzlerin würde das, so glaube ich des Weiteren, auch ganz gerne in Ihrem Sinne weitersagen. Sie wird sich aber vor den Rückfragen fürchten. Zum Beispiel vor der, wie denn das zu finanzieren sei? Mal davon ausgegangen, der Menne bleibt auch schön josephsmäßig am Stall und geht wacker anschaffen. An die Caritas darf er da schon nicht geraten. Oder haben Sie sich jetzt doch entschlossen, menschenwürdig zu bezahlen und die Drückermethoden aufzukündigen? Vielleicht aber fragt die Mama in spe die in diesen Fragen ja ganz naive Frau Merkel auch danach, ob denn der Kindergarten in kirchlicher Trägerschaft um´s Eck nun endlich die letzten Missbrauchsfälle aufgearbeitet hat? Ob die Kündigung gegen die Leiterin wegen Scheidung zurückgenommen wurde? Oder ob... ach so- ich verstehe so gaaanz langs... Darum geht es ja gerade? Dass das alles ganz überflüssig wird? Dass ja alle zuhause bleiben? Ähem, mein Bester- Sie brauchen wirklich keine Tipps! Jedenfalls nicht von mir.
Entschuldigen Sie bitte die Belästigung. Einfach copy all und dann delete- Ihr J.
Mathematiker haben es leicht bei der Beantwortung der sie interessierenden Fragen. Sie müssen sich um moralische, ökonomische, soziale oder philosophische Aspekte von Verteilungen keinen Stress machen- dem Distributionsgesetz sei Dank bzw. seiner zentralen Regel: Jeder Onkel tanzt mit jeder Tante. Ob sie sich mögen, oder nicht.
Doch wie sieht es aus, wenn ein knappes Gut unters Volk gebracht werden soll wie ein neuer iPod, Eintrittskarten für das Shakespeare-Festival in Neuss, die BvB-Bayern-Schlacht am Samstag oder eine Microsoft-Stammaktie? Wenn es nichts zu rechnen aber trotzdem etwas zu verteilen gibt? Welche Kriterien gelten für die Vergabe einer Ware, wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot? Im Einzelfall ist das eine schwierig zu beantwortende Frage, die das NSU-Gericht München dennoch eindeutig beantwortet wissen wollte: Es zähle nämlich grundsätzlich und ganz einfach das Prinzip Windhund.
Doch ganz so einfach ist das offenbar nicht, sonst hätte es in dieser Angelegenheit keinen europaweiten Sturm der Entrüstung gegeben und auch kein BGH-Urteil. Vielleicht hätten die Herrschaften vom Landgericht Michael Sandel lesen sollen: Was man für Geld nicht kaufen kann.
Aus einigermaßen auf der Hand liegenden Gründen würde Sandel dem Gericht beipflichten, den Eintritt zu den begehrten Plätzen nicht über das Prinzip Warteschlange zu regeln und schon gar nicht über Eintrittspreise. Obgleich: In den USA wird das so gemacht, wenn der Kongress über Gesetzesvorlagen berät. Lobbyisten beauftragen gerne Studenten, Arbeitslose, Hausfrauen, die sich einreihen und kurz vor dem Einlass die Auftraggeber informieren, die dann herbeieilen, um den Platz einzunehmen. Mit Rederecht ausgestattet versuchen sie dann die Gesetze in ihrem Sinne zu beeinflussen, die Schlangenplatzhalter bekommen 10 $ pro Stunde und gedient ist allen. Allen? Wohl nicht- die Demokratie leidet ja wohl bei solchen Verfahren. Darauf will ich jetzt aber nicht weiter eingehen, denn mir geht es um die Frage, wie begehrte Güter verwaltet und verteilt werden, nicht zu welchem Zweck.
Sandel plädiert jedenfalls in Fällen, in denen es um Zuweisung eines demokratisch-moralisch-rechtlich relevanten Gutes geht, und Teilhabe an parlamentarischer oder verfassungsrechtlicher Entscheidungsfindung zählt hierzu, für ein ganz anderes Verfahren: Das Kontingent. Eine moralisch möglichst unantastbare Instanz, unbestechlich und autark, vergibt Teilhabe und Recht.
Doch leben wir mittlerweile in einem Gemeinwesen, das ideologisch zerfressen ist von einer Ideologie der Selbstverantwortung, in der Forderungen nach Relevanz, nach Fairness, nach Gerechtigkeit im Mindesten als verdächtig gelten, jedenfalls als naiv, sozialdemokratisch und die Freiheit des einzelnen bedrohend. Versteckt wird diese brutale Entfremdung, das Herausschälen des Individuums aus beschützender, verantwortlicher Gemeinschaft hinter immer derselben Vokabeln: liberal!
Verwunderlich, dass Sandel in diesem Klima einen Nobelpreis bekommen konnte, wahrscheinlich war das vor Erscheinen des besagten Buchs.
Das Kontingent ermöglicht Vernunft. Ökonomische Vernunft, soziale Vernunft, moralische und politische. Ein vernünftiges Gremium, meinetwegen bestehend aus Richtern und Verwaltungsfachleuten, vergibt den Zugang zum Gerichtssaal nach übergeordneten, differenzierenden Gesichtspunkten. Nach Gesichtspunkten jedenfalls, die die Prinzipien Windhund, Warteschlange, Preis vollständig negieren. Zum Beispiel die Frage, ob es ein legitimes Informationsbedürfnis nach dem Umgang der deutschen Justiz mit der Täterin in Ostanatolien, der Heimat einiger der Opfer, in der Landessprache gibt. Oder wie dieses Bedürfnis im Vergleich mit den Marketinginteressen des Dudelfunks zu bewerten ist. Letztendlich geht es aber um tiefer liegende Fragen, nämlich, ob eine rein ökonomisch-kommerzielle Betrachtungsweise dieser und natürlich ähnlicher Angelegenheiten nicht völlig ausreicht? Es ist wichtig, den Bejahern, den Ausverkäufen ein deutliches Nein entgegenzuschleudern!
Aufstehen um 20 vor 10. In der Zeitung steht, Heiner Viertmann schlägt nach 40 Jahren den letzten Akkord. Viertmann ist Musikalienhändler und Gitarrenbauer: "Nichts mit Steckern drin." Kaffee und Brötchen. Endlich mal ein anständiger Artikel in der Zeitung. Viertmann repariert auch Gitarren. Wenn einer mit einer Wanderklampfe vorspricht, also allem unter 250,-€, kauft er das Teil für 20,-€ und zertrampelt es. Kundschaft dann entsetzt.
Heiner Viertmann besitzt zwei Gitarren aus der Werkstatt des weltberühmten Barceloner Maestros Ignacio Fleta. Wer bei Fleta bestellt, wartet derzeit 22 Jahre. Wer die Gitarren bei Fleta baut, weiß der Himmel. Er selbst jedenfalls nicht. Er lebt nicht mehr. Tot ist er deshalb noch längst nicht. Viertmann, wie gesagt, verwahrt zwei Fletas im Tresor. Es gibt Interessenten.
Viertmanns eigenen Instrumente kosten auch schon mal bis 30.000,-€. Natürlich kauft so etwas nur die Prominenz. Autogrammkarten und Fotos von Andrés Segovia zieren das Geschäft. Andrés wer? iTunes kennt Segovia.
Ich ab heute, halb 11 auch. Ein begnadeter Flamenco-Gitarrist, ein Wizzard. Recuerdos de la Alhambra und Capricho árabe laufen den ganzen Tag nun schon, sind die Essenz dessen, was ich täglich suche und vielleicht ein- oder zweimal im Jahr finde, wenn überhaupt.
Heute ist ein guter Tag. Denn Segovia, ich danke mal wieder iTunes, ist verknüpft mit einem anderen Genius: Mit Milos Karadaglic. Ob der eine Viertmann spielt? Oder eine Fleta? Sein Por una Cabeza erstürmt, bedrängt, ergreift mich mit Wucht. Und dabei ein so vertrautes Thema: Mozart. Ich lasse mich auf weitere Bezüge ein, huldige dem Köchelverzeichnis 373, recherchiere eine Klischee gewordene Flamenco-Sänger-Biographie, nämlich die Carlos Gardels und finde mich Hals über Kopf verliebt in Buenos Aires wieder.
Und bei der ewig jungen Frage, ob Holocaust-Filme sich der melancholisch-romantischen Stimmung Por una Cabezas bedienen dürfen. Nein, dürfen Sie nicht. Finde ich. Die Verknüpfung des Sujets mit jeglichem Unterhaltungselement erscheint mir zumindest geschmacklos. Trash-Jazz ist das Äußerste, was ich als statthaft durchgehen lassen möchte. Auch einem Schindler, auch einem Spielberg. Es ist Zeit für eine Flasche Rotwein. Für eine ganze? Ja, für eine ganze.
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