April 2025 |
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für 50 Jahre Aufklärung und emanzipatorischen Kampf gegen Mangelernährung, Unterdrückung, Sexismus und ähnliche Schweinereien, mit denen all die Brüderles und ihre Brüder im Geiste unser friedliebendes Land seit Jahren der Degeneration anheim geben. Hab also Dank, standhafter Stern im Shitstorm und immer hübsch weiter so!
Die vornehmste deutsche Rechtsbestimmung ist sicherlich die, derzufolge die Würde des Menschen unantastbar sei. Das wird an prominenter Stelle, gleich in Artikel 1 des Grundgesetzes deklariert. Ich glaube gerne daran, dass sich da hehres Gedankengut verbirgt, dass das so sein sollte, obwohl mir das begrifflich doch immer ein wenig unscharf erschien. Was heißt denn eigentlich Würde, was heißt unantastbar?
Zu Beginn einer staatsrechtlichen Vorlesungsreihe lernt der naive Menschenfreund gleich, dass das eigentlich nicht so wörtlich gemeint beziehungsweise definiert ist. Denn tatsächlich tun sich auch Richter und Verfassungshüter schwer mit einer verbindlichen Bestimmung. Doch nicht nur das. Es ist noch schlimmer: Die Würde, so viel Aufhebens auch um sie gemacht wird, ist gar nicht einklagbar, kein konkretes Rechtsgut, höchstens ein abstraktes. Nicht einmal vor dem Amtsgericht würde eine Klage zugelassen, die auf einer Verletzung individueller Würde gründete. Sogleich würde wenigstens gefragt werden, wo denn bitte sehr ein Schaden gemäß § 823 BGB zu verorten wäre?
Und dennoch: Der Würde dieses unbedingten Schutzes meiner Würde umweht etwas charismatisches, das sich eher dem Empfinden, dem gefühlten Rechtsgespür mitteilt. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Ideologie, einen philosophisch-abstrakten Prolog. Ich scheitere, wenn ich versuche, ihn näher zu fassen. Das tue ich schon mal, wenn irgendein Großsprecher von verletzter Menschenwürde schwadroniert, ohne auch nur im mindesten durchscheinen zu lassen, was genau denn da eigentlich beschädigt worden sei.
Kürzlich bin ich in einem unscheinbaren Zeitungsinterview, ausgerechnet mit einem Bischof (einem offenbar wenig dogmatischen), auf einen ganz interessanten Aspekt gestoßen: Die Würde des Menschen, meint der Theologe, sei, was ihn zu einem Geheimnis macht. Was macht mich zu einem Geheimnis? Doch wohl das, was mein Tun, Denken, Fühlen unvorhersehbar werden lässt (was durchaus häufig vorkommt). Im Unterschied dazu erscheint mir mein Hund beispielsweise tatsächlich als simple Eingabe- Ausgabe-Maschine, deren Verhaltensrepertoire ähnlich zuverlässig prognostizierbar ist wie die Fehlermeldungen eines Windows-Computers beim Anschließen neuer Hardware. Gefällt mir ganz ausgezeichnet: Die Nummer 1 von ungefähr 423.556 weiteren Rechtsvorschriften ist reinster Mythos. Mythos von der irrationalen, dunklen deutschen Seele. Und damit natürlich gleich zu Beginn kluges Eingeständnis der Vergeblichkeit von allem.
Ich erinnere mich genau an den Tag, an den Moment, als ich das erste Mal im vollen Bewusstsein der Sensation etwas von den Rolling Stones hörte. An das Jahr nicht exakt aber es dürfte 1976 gewesen sein. Ich war ein durch und durch aufgeschlossenes Kind und hatte schon damals die richtigen Freunde. Zum Beispiel einen, der im bürgerlichen Elternhause die ausgesprochen bequeme und hübsch ausgestattete Mansarde bewohnte. Aus kläglichem Geiz werden Kinderräume von den Familienvorständen ja gerne mit allerhand Zeugs, das sonst niemand will, verunziert- bei mir war das so. Da kamen dann schon mal auf der 3mm- Billigst-Auslegeware ausrangierte Lederimitat-Sitzmöbel in Dschungelgrün zu späten Ehren, nachdem für die elterliche Behaglichkeit kurzfristig der lokale Trösser geplündert worden war. Oder eine uralte, seltsam orange- silbrige Metallstehlampe mit ausgefranstem Kabelwerk, deren Eingeweide mich eines Tages beinahe dorthin gebracht hätten, wo es kein Licht mehr gibt.
Du hast es überlebt wurde dann gerne abgewiegelt und tatsächlich: Ich habe das überlebt. Anderes auch. Aber wie mein Freund vom Dach hätte ich es gerne netter gehabt. Dort gab es eine ideenreiche, zugewandte Mutter, die von Berlin träumte, belegte Schnittchen und Tee brachte sowie allerlei verlockende Einladungen aussprach. Zum Beispiel die, doch über Nacht zu bleiben. Digitales Spielgerät gab es natürlich nicht, auch keinen Fernseher aber es gab ein Schachbrett, es gab Bücher, ein Aquarium, und es gab diese fantastische Telefunken-Tonbandmaschine, die mir zu diesen frühjugendlichen Wochen und Sommermonaten einen derart suggestiven Soundtrack ins Hirn trieb, dass ich auch heute noch jederzeit mental auf ihn zugreifen kann und mich sogleich an alles erinnere, sobald ich das tue; zugreifen: An frühmorgendliche Rezitationswettbewerbe, den Fischgrill im Garten, Crocket, Doppelkopfregeln, Leben.
8 Stunden drehten sich die schweren, schwarzen Spulen, bespielt von kundigen Rezeptionisten der zeitgenössischen, schon damals aber langsam ins Klassische spielenden progressiven Musik: Ein wenig Chet Baker, Miles Davis´Sketches of Spain, erschütternd kompromisslose Creedance Clearwaters und vor allem und immer wieder: Magische Rolling Stones.
Ganz sicher hatten die Stones 1976 die künstlerisch besten Sachen längst geliefert, auch wenn es später noch Alben geben sollte wie Some girls; das wusste ich damals aber nicht und es interessierte mich auch nicht. Es gab nicht die Spur eines theoretischen, in irgendeiner Form reflektierenden Zugangs zur Welt, zur Kunst, die sich mir ausschließlich in der Form von Musik darbot. Immer gab und gibt es da akademische Lücken. Ich habe noch heute zuallererst einen unkritischen, archaischen Zugriff. Erst kürzlich schwante mir beispielsweise, dass Jumping Jack Flash, der wohl für die Bandbiographie wichtigste Song überhaupt, ein Stück, das ich sicherlich hunderte Male schon ausgrub (It´s allllll right now), dieses Echo aus herkömmlichem Rock´n Roll und einer sehr alten, sehr merkwürdigen Musik, von dem du nicht weißt, woher es kommt (Keith Richards), auf keiner LP veröffentlicht ist. Buchstäblich unklar mir Nicht-Kenner, woher dieser stampfende Solitär eigentlich in die Welt geboren wurde. Ich wusste es nicht, wie so vieles nicht über diesen Kosmos, der begann, mich ganz und gar zu überspannen.
Mir war damals erst Recht unbewusst, dass mich mit Lady Jane, Paint it black oder Who reads yesterday´s papers vergleichbar schwache, eindimensionale Stücke faszinierten, deren musikalische Qualität weit zurücksteht hinter der idiosynkratischen Stimmung, die diese Musik wachrief.
Meine persönliche Stones-Rezeption blieb nicht ewig derart naiv, aber ich war doch einerseits stets hinten dran, andererseits vorbehaltlos in der Bereitschaft, die Musik ihre impressionistische Wirkung auf mich entfalten zu lassen. 1976 erst interessierte mich wie gesagt das Frühwerk bis 1966. Ich verschlang es, legte aber erst zu Beginn der 80er Jahre mit Beggar´s Banquet, Aftermath, Let it Bleed sowie einigen Live-Alben und Kompilationen den Grundstock für eine Sammlung. Das Interesse an den Stones, wie noch öfter in späterer Zeit, erlahmte dann aber auch wieder. Ich wandte mich anderer Musik, anderen Menschen, anderen Stimmungen zu.
Und dann kam sie. Sie kam und brachte Tattoo you mit. Tattoo you beherrschte mich bald, ergriff Besitz, gab den Takt vor, in dem sie und ich unsere Tage und-natürlich- Nächte organisierten, was nicht immer kompatibel, wie man heute so schön sagt, war. Es kam vor, dass ich wichtige Termine -ich stand kurz vor dem Abitur- versäumte, weil der Falsett-Gesang Jaggers auf Worried about you oder Heaven oder der herzsynchrone Rhythmus von No use in Crying mich immer und immer wieder an den eigens angeschafften Dual zwangen. Insbesondere die B-Seite lief stunden- tage- monatelang, es musste irgendwann ein zweites Exemplar angeschafft werden.
I´m not waiting on a lady, I´m just waiting on a friend; die glimmer twins inszenierten auf Tattoo you eine unverbrüchliche Freundschaft und auch das traf einen Nerv auf das Empfindlichste, denn genau in diese Zeit fiel eine schleichende aber doch unumkehrbare Tendenz der Abkopplung von all dem Jungs- und Cliquenwesen; ich spüre die Auswirkungen noch heute. Dirigenten: Jagger/Richards.
Spätestens Tattoo you markiert von meinen persönlichen Befindlichkeiten einmal abgesehen aber auch den Wandel hin zu einem weitgehend apolitischen, ja geradezu reaktionären Machotum; zu einer gnadenlosen Vermarktung eines unfassbar banalen, hedonistischen Sex- und Macker-Images (All the girls in New York City ...). Seine Nr. 1, Start me up, war rasch auserkoren zum hymnischen Intro hunderter Live-Acts, mit denen der Globus seither überzogen wird. Der kreative Output tendiert seit drei Jahrzehnten gegen null aber dennoch habe ich v.a. auch diese Phase mit vollzogen, bin zum Hockenheimring gepilgert, um mit 100.000 anderen Jüngern dem Eros zu huldigen, auf Festwiesen und in Stadien, in Hamburg, London, Köln und Mannheim. Und begann, meine Lücken endgültig zu schließen, natürlich mit Exile on Mainstream, dieser sagenumwehten Cote de Azur- Session, produziert mit gestohlenem Strom der Französischen Eisenbahn im Privathaus Keith Richards´, mit dem die Stones endgültig das weltweite Feuilleton eroberten. Mit der funkig- virilen Jetset- Black and Blue, der genialen, überbordenen Sticky Fingers; mit sündhaft teuren Schwarzpressungen aus Venezuela, Japan und Las Vegas.
Es gibt da also, langer Rede Sinn, eine gewisse, fest verankerte Faszination, die neben jenem und diesem in allererster Linie in der Musik gründet, die zwischen 1964 und 1981 vor allem von Keith Richards geschaffen wurde. Da kommt etwas zum Klingen, eine unbestimmte, paradoxerweise zarte, umso heftigere Berührung. Seit jenen frühen Jugendtagen bin ich auf der Suche nach ihr, wühle mich durch den amerikanischen R&B-Sound, deutsche Barockmusik, Schlager, hawaiianischen Folk, Country, Heavy-Metal, die Spielarten des Jazz, Soul- und Funkmusik. Me, I´m waiting so patiently. Und finde sie auch immer wieder einmal oder besser; sie findet mich. Daher gibt es monate- manchmal jahrelange Phasen, in denen ich stehen bleibe bei Chopin, Dylan, Beethoven, Mozart, Jack Johnson, Eichendorff, Bowie, Bach, AC/DC, Konstantin Wecker, Ronny Jordan, Neil Young, Branford Marsalis. Sie alle und andere begleiten mich durch die Zeit. Reisen durch die Zeit trete ich nur an, wenn ich zurückkehre ans Beggar´s Banquet mit den ersten Akkorden des Street fighting man, Aftermath´s Think und all dem anderen wundervollen Zeug. Take it or leave it
Layout by ichichich.