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Qua Job bin ich mit Qualität befasst. Qualitätskontrolle, Leistungsbewertung, Evaluation. Was Qualität aber ist, weiß ich nicht. Oder nur unzureichend. Was tue ich also? Ich lese. Und schreibe, um zu verstehen. Siehe Beitrag Susan Sontag.
Natürlich ist das ein wenig kokett. Ich habe schon eine Vorstellung davon, wie ein Abituraufsatz oder ein Lesetagebuch im Jahrgang 6 zu bewerten sind. Es gibt Kriterien und an die halte ich mich. Ich stelle sie analog zu Zentralen Prüfungen auf und denke, damit bin ich auf der sicheren Seite. Aber was, wenn auch die Bürokratie-Autoritäten auf dem Holzweg sind? Wenn es keinen objektiv gültigen Maßstab gibt? Nicht geben kann, weil Qualität gar nicht IN den Dingen wohnt, sondern sie erst erschafft?
John Locke sagt, wir nehmen nicht die Dinge wahr, sondern die Eigenschaften der Dinge. Eine schick designte Weihnachtstasse erkenne ich, weil ich Vorerfahrungen einbringe: Mir ist Porzellan vertraut, das Designkonzept "Henkel", eine glatte Oberflächenstruktur usw. Ich adaptiere das neuartige Gebilde und gerade die Neuartigkeit bestimmt das Geschmacksurteil: Witzig, unbrauchbar usw. Aber jedenfalls verstehe ich die Summe der Teile als Trinkgefäß. Hier kommt der berühmte Amazonasanwohner vielleicht an Grenzen, die Verständigung über die Qualitäten der Tasse, zumal der Weihnachtstasse, wird ausgesprochen schwierig. Womit ein weiteres Problem angedeutet ist: die Doppelbedeutung des Begriffs. Qualität meint sowohl Eigenschaft, als auch, zumindest landläufig, Güte. Es ist da höchste Vorsicht geboten!
Widmen will ich mich hier der Güte. Was ist Güte? Ich glaube zu wissen, WIE sie entsteht: Sie entsteht durch Arbeit. Phaidros, der psychotische Philosophieprofessor in Pirsigs umwerfendem Zen, oder die Kunst ein Motorrad zu warten, unterscheidet klassische und romantische Charaktere. 95% der (westlichen) Menschen sind Romantiker. Der Romantiker liebt das Abenteuer on the road, den Fahrtwind, die Geschwindigkeit, die Ästhetik des Bikes, seinen satten Sound und all die hübschen Peter-Fonda-Assoziationen. Der Klassiker will abends auf dem Campingplatz wissen: Wie stelle ich sicher, dass das Teil auch morgen noch rollt? Wie erhöht sich durch die Windverhältnisse der Spritverbrauch? Ist alles geschmiert? Stimmt die Profiltiefe der Reifen noch? Hat die Antriebskette die korrekte Spannung? Der Klassiker ist, ganz im Gegensatz zum Romantiker, überzeugter Rationalist. Der Romantiker nur insoweit, als dass er seine Streckenführung so auswählt, einmal am Tag für den Notfall bei einem Mechaniker vorbeizukommen... wenn überhaupt. Der Klassiker ist jemand, der sich von Technik umgeben weiß und sie mit Naturwissenschaft zu bändigen sucht und zu bändigen versteht. Der Romantiker weiß ebenfalls, was er den Segnungen der Technik an Wohlstand und Lebensgefühl verdankt, aber er ist ihr durch und durch entfremdet. Sie interessiert ihn nur, insoweit sie ihm dient und seinen Sinnen zugänglich ist. Nebenbei: Dies tippe ich in einen iMac, ein hochgradig romantisches Produkt. Ein klassisches Beispiel für romantische Denkungsart, wenn man so will. Ein geschlossenes System, dessen technisch komplexes Innenleben niemanden etwas anzugehen scheint.
Phaidros beklagt diese Abspaltung vom Subjekt zum Objekt auf das Schärfste. Und ich auch. Ich koche. Ich hetze mich durch die Verrichtungen, denn in 45 Minuten soll gegessen werden, auf dass der lebenswerte Teil des Abends beginne. Das romantische Seelchen teilt sich auf in den nervösen, ungeduldigen Verrichter und den vitalen Genießer, was ein gehetztes Genießen und ein schlampiges Verrichten bedeutet. Ein wenig filigranes Expertentum täte gut, beherrschte Besonnenheit. Aber Studium und Liebe zum Detail kosten Mühe und Zeit. Der Klassiker ist da weiter, sicher. Ihm aber fehlen Spontaneität und Lebensfreude, um wahrhaft genießen zu können. Er versteht das Kochen, aber erst im Zuge eines quasi vorbewussten, vorrationalen Aktes der Intuition verstünde er, zu improvisieren. Etwa dann, wenn der Dill ausgegangen ist und Alternativen jenseits eines bloßen Weglassens gefunden werden sollen. Ich weiß nicht, ob das pädagogisch herstellbar ist, Phaidros... nein, er scheitert nicht..., das nicht. Er ist Lehrer und Vater und besticht durch Beispiel und Engagement. Aber es treibt ihn auch in den Wahnsinn. Und es scheint an Liebe zu fehlen. Aber dennoch, das ist es: Technische Virituosität gepaart mit Hingabe zum Gegenstand focussiert die Sinne auf den Prozess. Qualität liegt nicht einfach bloß in den Dingen, über die wir uns ohnehin schwer verständigen können. Sondern sie bewirkt die Dinge. Sie ist ein mentaler Akt, der auf die Herstellung von Produkten aller Art wirkt. Phaidros sagt, wie ich finde zurecht: Metaphysik ist in Ordnung, wenn sie den Alltag erleichtert. Meinen Alltag wird das nicht erleichtern, denn es ist immer einfacher, nur Produkte zu bewerten. Aber bereichern... das schon!
Mit dem Internet geht´s mir so ungefähr wie Hugo von Hoffmansthal vor 100 Jahren mit der Sprache: Es kotzt mich an. Es ekelt mich. Dieser heißkalte Wüstendieb, geboren aus dem Nichts. Hinter jedem meiner ungezählten Lesezeichen verbergen sich idiotischste Werbefallen, grauenhaft reaktionäres Geschwätz eifernder Gutmenschhasser, faschistoider Homophoben, Integrationsverweigerer, Sarrazzin-Gutfinder, "Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen"- Brabbler, Beste-Köpfe-Sucher, moralischer Analphabeten. Internet: Ein Arschloch bist du, sonst gar nichts.
Abermillionen von Deutschen sind entweder oder mehreres: fettleibig, Analphabet, Formel 1- Fan, Frauenverprügler, Veganer, Türke, AD(H)S- krank, Kunde einer Partnerschaftsseite, überschuldet, Nobelpreisträger, depressiv, geschieden, Pornografie-Konsument, Päderast, konvertiert, BILD- Leser, krebskrank, Legastheniker, nahtoderfahren, Alkoholiker, magersüchtig, arbeitslos, Nazi, debil, wohnungslos, Extremsportler, Weltreisender, amputiert, über 80, Kampfsportler, Waise, arm, reich, Zeuge Jehovas, knasterfahren, schwul, Dieb fremden, geistigen Eigentums, heroinsüchtig, lactoseintolerant, geistig oder körperlich behindert, betrogen, Telekom-Kunde, Hooligan, Esoteriker, Reptilienzüchter, Michael-Schumacher-Daumendrücker, alleinerziehend, autoaggressiv, Wetten-dass-Gucker, pervers, (frustrierter) Bahnreisender, Sodomist, Mario-Barth- oder Bon-Jovi- Fan, ohne jede Hoffnung, altersfehlsichtig, Stromheizer, gegen Nüsse allergisch, infektiös, kannibalistisch veranlagt, Skifahrer, hochbegabt, Nicht-Wähler, wetterfühlig. Und ich? Ich bin nichts davon. Nicht nur das: Ich kenne auch so gut wie niemanden, auf den das ein oder andere zuträfe, mit kleinen Einschränkungen vielleicht (ehemalige Telekomkunden zum Beispiel). Einen Kannibalen kenne ich natürlich schon gar nicht. Scheiß Statistiken!
Layout by ichichich.