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Die Vermessung der Welt wird nicht rückgängig gemacht werden. Im Gegenteil. Die sozialwissenschaftlichen Instrumente werden weiter geschärft werden, auf dass postmoderne Lebensbereiche wie Pflege, Bildung, Ökonomie nach den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft bewertbar werden oder bleiben. Das ist nicht umkehrbar. Die auf diesen Feldern Arbeitenden sperren sich, denn oftmals sind sie in prärationaler Zeit sozialisiert, als solches ungedacht blieb, absurd erschienen wäre. Ob im Krankenhaus jemand gesund wurde? Das hatte vor allem mit Schicksal zu tun, vielleicht noch mit einem unentwirrbaren Netz aus Dispositionen, Zuständigkeiten, den mannigfachen Zufälligkeiten des Einzelfalls und natürlich auch mit Eigenverantwortung. Heute nur noch mit performance. Wohl und Wehe hängt von Kompetenz und Tun ab. Beide bilden sich ab im Output. Output ist das, was als Gesundheit oder Bildung gemessen, klassifiziert, verglichen werden kann. In der PISA- Dogmatik geht man längst den letzten, konsequenten Schritt: Bildung ist gleich nur noch das, was operationalisierbar ist. Ein Bildungsbegriff, der befreit wird von allem Ungewissen, von Erfahrung, dem Numinosen unserer Existenz. Gebildet nicht der, der die Goethe-Ballade auf sich wirken lässt, ergriffen auf die Herztöne des Kindes in den Armen des Erlkönigs lauscht, visuelle Kulissen der waldesdunklen Nacht vor seinem inneren Auge entwirft, Szenerien pädophiler Bedrohung- und mit all dem gerüstet Empathie entfaltet für die Bedrohten, Schutzsuchenden, Traurigen, Schwachen. Der eine Haltung entwickelt. Nein! Gebildet derjenige, der auskotzt, was gewogen werden kann: Metrum, Kadenz, Rezeption, Kohärenz.
Es ist, im Gesamten, natürlich subtiler. Sicher. Aber im Prinzip sind wir scheinbar bereit, unsere Begriffe neu auszurichten und anzupassen an die Mechanismen ökonomischer Verwertbarkeit. Folgerichtig besteht die wichtigste schulische Kompetenz im Transfer. Wie einem Fetisch huldigen die sogenannten kompetenzorientierten Lehrpläne dieser Königsfähigkeit. Ihr ist jeglicher Fachgehalt untergeordnet. Die Arbeit mit Kurzgeschichten Wolfgang Borcherts legitimiert sich, wenn sie allerlei rhetorisch-analytische Fingerfertigkeiten andressiert, mit denen dann ein paar Jahre später die Gegenstände der Arbeitswelt abgearbeitet werden können wie Schriftsätze, Anträge, Sachverhalte jeder Art.
Tief greifende, elementare Änderungen gesellschaftlicher Traditionen und Überzeugungen sind das. Schleichend und lautlos zelebriert, längst schon implementiert, wie das so schön heißt im Jargon der ministerialen Verwalter. Nirgends und nie aber öffentlich debattiert oder erklärt. Vordemokratisch...
und dennoch: Richtig! Die überkommende Art und Weise, die Dinge anzugehen, zu unterrichten, zu entscheiden, was gut, richtig, wahr oder falsch ist, methodische Wege zu beschreiten; all das hat auf der ganzen Linie versagt. Die planwirtschaftliche Dogmatik, die ungeheure Arroganz der Lehrerzimmer, in pädagogischer Eigenverantwortung entscheiden zu wollen, ist und war nie etwas anderes als Teamunfähigkeit, Beratungsresistenz, Faulheit, Borniertheit. Und die Schüler lernten eben auch nichts Substanzielleres, zum Beispiel zu sich selbst zu finden, indem sie schreiben, um zu lernen, was sie denken (und nicht bloß, um Lesen zu lernen!). Da kann man dann in der Tat gleich den homo oeconomicus produzieren- vielleicht klassisch noch weniger gebildet aber dafür mit verwertbaren Funktionen bestückt.
RWE schließt jetzt eine Zielabweichungsvereinbarung mit dem Land NRW. Auf diese Art und Weise wird der Unrechtstatbestand ausgeräumt, das größte je in NRW gebaute Kraftwerk 5km vom genehmigten Ort errichtet zu haben. Das Wesen einer Zielabweichungsvereinbarung ist es, wenn ich es recht verstehe, a posteriori, nach der Unrechtshandlung, die hinderliche Rechtsvorschrift zu tilgen, zu streichen. Wohlgemerkt: Die Rechtsvorschrift, nicht das inkriminierte Tun. Es geht gerade nicht um Buße, um Reue.
Wenn, wie üblich, die Gerichte künftig im Analogieschluss diese Rechtsprechung auf andere Tatbestände übertragen, sollte es in Kürze möglich sein, auch anderes, weniger gravierendes Unrecht im Zuge einer solchen Vereinbarung ungeschehen zu machen. Gestohlen? Betrogen? Alkoholisiert gefahren? Sonstwie kreativ abgewichen und eigene Wege gegangen? Kein Problem mehr, solange Einfluss und Macht bis in den Gerichtssaal reichen. Der nächste, konsequente Schritt wäre es da wohl folgerichtig, gleich ganz den Beschwerdeführer abzuschaffen, etwa im Zuge eines Zeugenentfernungsverfahrens oder einer Klägervermeidungsverfügung.
LOST: Man stelle sich vor, so etwas gäbe es auch mal in unserer spießigen Mottenkiste: Fernsehen, das nach Kino aussieht. Mehrdimensionale Charaktere, die sich dennoch stimmig entwickeln. Ein klares Bekenntnis zur Metaphorik jeglicher Fiktion und somit die Forderung nach intellektueller Rezeption. Beschwörung. Trauer! Spiel mit kultureller Überlieferung. Liebe! Hass! Atemlose Spannung. Und natürlich eine anspruchsvolle Erzählweise, die der Multiperspektivität eines jeden echten Dramas gerecht wird. Fernsehen mit Ereignischarakter ist das, auch wenn einiges vage bleibt. So ist das doch nun mal im Leben.
Die moderne amerikanische Qualitätsserie insgesamt ist ja bereits Mythos geworden, bevor hierzulande mal wenigstens ein Anfang gemacht werden konnte, das ein oder andere nachzuahmen. Die Produktionsverträge über all den seifigen, kleinbürgerlichen Traum-Brei laufen wohl noch zu lange.
LOST ist erst recht Mythos, oder besser: mythisch. Die Serie erzählt über 121 Folgen (jeweils ca. 42 Minuten lang) das Schicksal eines runden Dutzend im wahrsten Sinne des Wortes Gestrandeter. Gestrandet auf einer abgedrehten Insel nach einem Flugzeugabsturz. In Rück- und Seitblenden entfaltet sich die Tragik all dieser Verlorenen, Zukunftsprojektionen visualisieren ein Was hätte sein können; doch schnell wird klar: Die Insel ist eine Falle, aus der es kein physisches Entrinnen gibt, aber: Sie ist auch die Chance für einen Neuanfang- mental, spirituell, sozial.
Matthew Fox, der den Shephard verkörpert, behauptete im Interview, es sei bereits 2004 bei Drehbeginn klar gewesen, dass alles endet, wie es begann: Er verletzt, benommen im Bambuswald liegend. Alleine, verwirrt (verwirrt sein: Fox´ Lieblingsgestus). Die erste Einstellung von Folge 1 markiert den Beginn eines 6-jährigen Martyriums, die letzte ein bewusstes, vielleicht glückliches Sterben. Möglicherweise liegt zwischen beiden Szenen aber auch bloß eine beglückende Nahtoderfahrung, wer weiß. Die Produzenten selbst legen das durchaus nahe, wenn sie anderswo eine LOST in 8 Minuten- Fassung anbieten. Dieses Deutungsmuster hat zudem den Charme, all die empirisch unfassbare Irrationalität diverser Zeitsprünge oder der sich dann und wann bewegenden Insel plausibel werden zu lassen. Aber wie gesagt: Die Ereignisoberfläche, eine These der gesamten Produktion, ist eben nur das: Oberfläche. Und austauschbar. 3 Thesen zu LOST (und somit zum Leben):
1. Es braucht Mut. Mut und Geschmack. Mut, sich zu öffnen. Loszulassen. Sich zu befreien von dem, das unfrei macht und hindert, Selbstbestimmtheit und Mitgefühl zu leben. Geschmack, um ein Gefühl für das Geheimnis in uns zu entwickeln. Sinn und Geschmack für die Unendlichkeit, wie Schleiermacher im Hinblick auf echte Religion sagt. Jack entwickelt eine solche Religion. Er schafft als erfolgreicher, empirisch geschulter Chirurg eine Verbindung zu den spirituellen, diffusen Unwägbarkeiten seiner Existenz und gewinnt eine Perspektive für ein lebendiges Leben, fernab der Zwänge und Nöte der modernen Zivilisationsgesellschaft sowie deren komplizierter Sozialtransfers.
Bevor Jack das zweite Mal im Bambuswäldchen danieder sinkt, trinkt er auf Geheiß des bisherigen Inselwächters von dem Bach, der ins Herzen der Insel führt und dort sein geheimnisvolles Wunderwerk tut. Ein Bach wie der mythisch-antike Vergessensfluss Lethe. Vergessen ist Loslassen, Trennung. Loslassen das vielleicht zentrale Leitmotiv der Serie. Man bedenke mal...
2. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg; Tatsächlich ist die Vertiefung ins Ich für Jack und seine Leidensgenossen der Königsweg. Es geht um Erkenntnis und Erkundung; des Unglücks, all der Unzulänglichkeiten, des Versagens und ihrer Ursachen. Ozeanographie ist da zu betreiben, wie Freud sagt. Nur dann darf mit Einsicht und Erlösung gerechnet werden.
Tatsächlich immer wieder verwunderlich, wie schnell die LOST-Figuren es aufgeben, sachliche Statusinformationen zu erlangen. Nicht eine einzige Einschätzung zur ungeheuerlichen Situation wird abgegeben. Die existenziellen Seinsfragen, auf die die Figuren Folge um Folge geworfen werden, klären sich in unvoreingenommener Ich-Versenkung und führen zu Gutem. Schön das Beispiel Jins, der seiner Frau Sun, inspiriert von der Inselsituation, einen Seitensprung nicht nur vergibt, sondern zu reinigenden Einsichten seine Ehe betreffend geführt wird. Der kommunikative Austausch hingegen bleibt oft genug peripher, einsilbig.
3. Phantasie! Einbildungskraft und Vorstellungsvermögen. Jack entwickelt eine Was-wäre-wenn- Perspektive, die ihn aufrichtet und beglückt. Welche Chancen hätten sich ihm eröffnet, spirituell bereichert von der Insel, wäre er nicht abgestürzt, sondern sicher in Los Angeles gelandet!
Die Bereitschaft, sich führen und inspirieren zu lassen. Dazu ist Glaube nötig, dem Jack sich mehr und mehr öffnet. Sein Glaube ist aber keineswegs institutioneller Natur, nicht einmal tradierter! Vielmehr zeigt er sich in der Aufgabe verstockter Determinismusgewissheit, in der Bereitschaft, Unendlichkeit zu ahnen; auch hierin natürlich, und das ist sicherlich kein Zufall, durch und durch ein romantischer Held. Jack empfindet das Lebendige der ihm vermittelten Teilhabe am Geheimnis, das ihn umgibt. Und das belebt ihn(,) selbst(,) noch kurz vor seinem Tod.
121 Folgen, 6 Staffeln, je einige DVDs. Ich verleihe sie Ihnen gerne, nur zu!
Layout by ichichich.