Der Vater meines Bruders
Bin ich demnächst ein Mensch, dem seine heute noch so anhänglichen Kinder Giftpfeile hinterher schießen? Zielscheibe des Hasses, des Spotts, des Eifers? Gegenstand erbitterter Analyse, angestellt gemeinsam mit dem für ein Identifikationsthema dankbaren Lebenspartner, eifrig bestrebt, eigene kritische Perspektiven beizusteuern, um die Kluft zu vertiefen? Bin ich, der zu "Briefen an den Vater" inspiriert? Die Ursache psychischer Therapie, Quell von Lebensfrust- und unlust, Neurose, Pein und Misserfolg? Ist das mein trauriges Vaterschicksal? Oder geht´s banaler zu?
Johann König zeigt in seinem neusten Programm eine andere, nicht viel weniger ernüchternde Perspektive auf seinen Erzeuger: "Gestern sollte ich zu Verwandten. Wie erkläre ich das: Also, mein Bruder hat einen Vater. Und der hatte Geburtstag. Ja, und da sollte ich mit..." Und dann geht es nicht um Frust und Hass, sondern: Um Gleichgültigkeit. "Ach Gott, von der Couch hoch, zum Geburtstag des Vaters meines... ja, des Bruders. Na gut, wenn´s denn so sein muss."
Qua Amt, Ausbildung und Erfahrung sollte ich eigentlich wissen, wie es geht. Aber da kann natürlich mal wieder keine Rede von sein. Als Anhänger der These, dass das Schachspiel die mächtigste Metapher überhaupt ist, kenne ich aber die Gefahren des "Igelismus".
Schwarz: Ein schönes Igel-Beispiel
Das Feld kommt ohne meine schwarzen Steine aus. Bleibe ich
in domo, tummelten sich dort eben andere. Mein Haus steht unantastbar und bliebe es bis in alle Zeiten, müsste ich nicht ziehen, wenn ich das Spiel nicht verlieren will. Verweigerung geht also auf Dauer nicht und daher bequemt sich der a-Läufer mal ein wenig zwecks Warenaustausches mit dem weißen b-Springer. Ziehen aber heißt Bewegung und Bewegung Öffnung; Risiko. Öffnung!
jagothello am 10. Juli 11
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Eine Chiffre für das Leben
Bedrängnis - Lösung; Gefahr - Rettung; Stillstand - Öffnung; Angriff - Verteidigung; Beharren - Ungeduld; Chaos - Strategie; Angst - Freude; Idiotie - Intelligenz; Analyse - Unverständnis. Schach ist all das und fordert das Nämliche: die Strategie, den Plan, die Ordnung, das Verständnis, den Überblick, das Konzept, die Geduld, die Schläue.
Manchmal ist es aber auch einfach zu spät für all das und das im Brunnen liegende Kind kann nicht mehr gerettet werden, wie dieses Beispiel zeigt:
Der schwarze Springer migrierte zuletzt von D7 nach B6, um endlich etwas Raum und Luft zu schaffen für die seinen, um dem eisernen Griff zu entfliehen - ein verzweifelter Akt der Befreiung, geradezu rührend in seiner Naivität allerdings, droht doch nun endgültig das fragile Verteidigungsgerüst auf dem Gegenflügel zusammenzubrechen. Aber: wie sich anders verteidigen? Wie den Feind zurückdrängen? Wie überleben? Er schickt sich an, Stellung für Stellung zu nehmen, versteht dabei keinen Spaß und ist er einmal hinter die Ummauerung in das Palastinnere gelangt, folgt Ungemach auf Ungemach. Vielleicht gibt`s noch den ein oder anderen Funken der Hoffnung, doch Rettung? Keine mehr! Da bleibt eigentlich nur die Frage: Wer ist er eigentlich, dieser unerbittliche Feind?
Katastrophal für die weitere Lebensplanung des schwarzen Herrscherhauses nun jedenfalls sein lässiges Sf6+, wobei "+" schon äußerst Unerfreuliches bedeutet, nämlich: "Schach!" Bzw. in diesem Fall: "Gleich bist du erledigt. Ein wenig darfst du noch lamentieren (nämlich meinen Springer zurückschlagen, den ich auf f6 platziere, um dir jedes Friedensangebot auszuschlagen- den Damentausch also verweigere!) aber nur, um meiner Dominanz danach noch gnadenloser ausgeliefert zu sein!" "+" heißt natürlich auch: "Es ist Zahltag. Die Fehler sind gemacht. Du hast sie gemacht und nun kommt die Quittung. Keine Ausflüchte mehr." Gut, wer da weiß hat...
Kleiner Nachtrag 2 oder 3 Tage später: Schwarz ist untergegangen wie befürchtet. Ein grausiges Gemetzel war´s!
jagothello am 22. Oktober 10
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Von wegen
Habe heute ein Schachspiel verloren gegen jemanden, der 300 ELO-Punkte unter mir liegt. 200 ELO - Punkte Abstand bedeuten bereits, dass der Erwartungswert für den Gewinn einer Partie bei 0,75 liegt. D.h.: Von 4 Partien sollte der um 200 Punkte besser bewertete Spieler 3 gewinnen. So die Theorie, die mal wieder grau in grau daherkommt. Auch insoweit ist Schach eine Chiffre für das Leben. Man denkt, bestimmte Grenzen überschritten, bestimmte Fähigkeiten erreicht zu haben. Eines gewissen status quo wähnt man sich sicher. Um dann brutal aus dem Blütenstaubzimmer hinausgezerrt zu werden und vorne wieder anzufangen.
jagothello am 28. August 10
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Rösselsprung
Ein Schachbrett hat 64 Felder. Jedes Feld mit dem Springer genau einmal zu berühren, zu starten von einem beliebigen Feld; das ist eine nicht ganz einfache Aufgabe. Unsinn: Eine durchaus schwierige! Man will ermittelt haben, dass es über 11 Billionen Lösungen gibt. Ich suche noch, dennoch.
jagothello am 10. August 10
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Die Psychotricks...
... entfallen leider beim Online-Schach. Jedenfalls weitgehend. Denn jeder brütet im stillen Kämmerchen so vor sich hin. Was Watzlawick "analoges Kommunizieren" nennt, unterbleibt. Kein gelangweiltes Gähnen, keine
vorgetäuschte Herzattacke. (Link zu youtube) Schade, eigentlich!
jagothello am 16. Juli 10
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ELO 2140...
... macht mich fertig und zwar weil er virtuos mit den Bauern spielt. Springer, Läufer, Turm & Dame gar stehen unbeteiligt, lässig im Hintergrund und tun erstmal gar nichts, außer mit ihrer schieren Präsenz zu drohen.
jagothello am 20. Juni 10
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18 446 744 073 709 551 615
...Körner bekommt der Erfinder des Schachspiels aus der berühmten Legende, derzufolge ihm für jedes der 64 Schachfelder die doppelte Anzahl Weizen des Vorgängerfeldes, beginnend mit einem Korn auf dem ersten, zusteht. So viel wächst auf der Welt in einem Jahr nicht.
ELO 1720
Der ELO-Wert soll Auskunft geben über die Spielstärke eines Schachspielers. Es handelt sich dabei eigentlich um nichts anderes als einen Begriff aus der Stochastik, mit dem der Erwartungswert, das jeweils nächste Schachspiel zu gewinnen, angegeben wird. Der beste Spieler aller Zeiten, Garri Kasparov, hatte ELO 2830. Ich habe 1720! Das ist schon gar nicht so schlecht. Man sagt so, 1750 ist Vereinsniveau. Der ELO steigt signifikant, wenn man jemanden besiegt, der einen höheren Wert hat. Neulich hatte ich einen Gegner mit ELO 1950. Schon nach 15 Zügen schwammen die Felle davon und brechen da einmal die ersten Dämme, gibts schnell kein Halten mehr. 100 ELO - Punkte mehr heißt im Grunde: (Noch) nicht schlagbar. Es werden auf diesem Niveau Offensivzüge gespielt, die sich erst in 5,6 oder 7 weiteren Zügen auswirken. Unter igoogle, chess.com oder schach.de kann man ELO- gestützt Schach spielen.
jagothello am 11. Juni 10
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