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Aufstehen um 20 vor 10. In der Zeitung steht, Heiner Viertmann schlägt nach 40 Jahren den letzten Akkord. Viertmann ist Musikalienhändler und Gitarrenbauer: "Nichts mit Steckern drin." Kaffee und Brötchen. Endlich mal ein anständiger Artikel in der Zeitung. Viertmann repariert auch Gitarren. Wenn einer mit einer Wanderklampfe vorspricht, also allem unter 250,-€, kauft er das Teil für 20,-€ und zertrampelt es. Kundschaft dann entsetzt.
Heiner Viertmann besitzt zwei Gitarren aus der Werkstatt des weltberühmten Barceloner Maestros Ignacio Fleta. Wer bei Fleta bestellt, wartet derzeit 22 Jahre. Wer die Gitarren bei Fleta baut, weiß der Himmel. Er selbst jedenfalls nicht. Er lebt nicht mehr. Tot ist er deshalb noch längst nicht. Viertmann, wie gesagt, verwahrt zwei Fletas im Tresor. Es gibt Interessenten.
Viertmanns eigenen Instrumente kosten auch schon mal bis 30.000,-€. Natürlich kauft so etwas nur die Prominenz. Autogrammkarten und Fotos von Andrés Segovia zieren das Geschäft. Andrés wer? iTunes kennt Segovia.
Ich ab heute, halb 11 auch. Ein begnadeter Flamenco-Gitarrist, ein Wizzard. Recuerdos de la Alhambra und Capricho árabe laufen den ganzen Tag nun schon, sind die Essenz dessen, was ich täglich suche und vielleicht ein- oder zweimal im Jahr finde, wenn überhaupt.
Heute ist ein guter Tag. Denn Segovia, ich danke mal wieder iTunes, ist verknüpft mit einem anderen Genius: Mit Milos Karadaglic. Ob der eine Viertmann spielt? Oder eine Fleta? Sein Por una Cabeza erstürmt, bedrängt, ergreift mich mit Wucht. Und dabei ein so vertrautes Thema: Mozart. Ich lasse mich auf weitere Bezüge ein, huldige dem Köchelverzeichnis 373, recherchiere eine Klischee gewordene Flamenco-Sänger-Biographie, nämlich die Carlos Gardels und finde mich Hals über Kopf verliebt in Buenos Aires wieder.
Und bei der ewig jungen Frage, ob Holocaust-Filme sich der melancholisch-romantischen Stimmung Por una Cabezas bedienen dürfen. Nein, dürfen Sie nicht. Finde ich. Die Verknüpfung des Sujets mit jeglichem Unterhaltungselement erscheint mir zumindest geschmacklos. Trash-Jazz ist das Äußerste, was ich als statthaft durchgehen lassen möchte. Auch einem Schindler, auch einem Spielberg. Es ist Zeit für eine Flasche Rotwein. Für eine ganze? Ja, für eine ganze.
Ich erinnere mich genau an den Tag, an den Moment, als ich das erste Mal im vollen Bewusstsein der Sensation etwas von den Rolling Stones hörte. An das Jahr nicht exakt aber es dürfte 1976 gewesen sein. Ich war ein durch und durch aufgeschlossenes Kind und hatte schon damals die richtigen Freunde. Zum Beispiel einen, der im bürgerlichen Elternhause die ausgesprochen bequeme und hübsch ausgestattete Mansarde bewohnte. Aus kläglichem Geiz werden Kinderräume von den Familienvorständen ja gerne mit allerhand Zeugs, das sonst niemand will, verunziert- bei mir war das so. Da kamen dann schon mal auf der 3mm- Billigst-Auslegeware ausrangierte Lederimitat-Sitzmöbel in Dschungelgrün zu späten Ehren, nachdem für die elterliche Behaglichkeit kurzfristig der lokale Trösser geplündert worden war. Oder eine uralte, seltsam orange- silbrige Metallstehlampe mit ausgefranstem Kabelwerk, deren Eingeweide mich eines Tages beinahe dorthin gebracht hätten, wo es kein Licht mehr gibt.
Du hast es überlebt wurde dann gerne abgewiegelt und tatsächlich: Ich habe das überlebt. Anderes auch. Aber wie mein Freund vom Dach hätte ich es gerne netter gehabt. Dort gab es eine ideenreiche, zugewandte Mutter, die von Berlin träumte, belegte Schnittchen und Tee brachte sowie allerlei verlockende Einladungen aussprach. Zum Beispiel die, doch über Nacht zu bleiben. Digitales Spielgerät gab es natürlich nicht, auch keinen Fernseher aber es gab ein Schachbrett, es gab Bücher, ein Aquarium, und es gab diese fantastische Telefunken-Tonbandmaschine, die mir zu diesen frühjugendlichen Wochen und Sommermonaten einen derart suggestiven Soundtrack ins Hirn trieb, dass ich auch heute noch jederzeit mental auf ihn zugreifen kann und mich sogleich an alles erinnere, sobald ich das tue; zugreifen: An frühmorgendliche Rezitationswettbewerbe, den Fischgrill im Garten, Crocket, Doppelkopfregeln, Leben.
8 Stunden drehten sich die schweren, schwarzen Spulen, bespielt von kundigen Rezeptionisten der zeitgenössischen, schon damals aber langsam ins Klassische spielenden progressiven Musik: Ein wenig Chet Baker, Miles Davis´Sketches of Spain, erschütternd kompromisslose Creedance Clearwaters und vor allem und immer wieder: Magische Rolling Stones.
Ganz sicher hatten die Stones 1976 die künstlerisch besten Sachen längst geliefert, auch wenn es später noch Alben geben sollte wie Some girls; das wusste ich damals aber nicht und es interessierte mich auch nicht. Es gab nicht die Spur eines theoretischen, in irgendeiner Form reflektierenden Zugangs zur Welt, zur Kunst, die sich mir ausschließlich in der Form von Musik darbot. Immer gab und gibt es da akademische Lücken. Ich habe noch heute zuallererst einen unkritischen, archaischen Zugriff. Erst kürzlich schwante mir beispielsweise, dass Jumping Jack Flash, der wohl für die Bandbiographie wichtigste Song überhaupt, ein Stück, das ich sicherlich hunderte Male schon ausgrub (It´s allllll right now), dieses Echo aus herkömmlichem Rock´n Roll und einer sehr alten, sehr merkwürdigen Musik, von dem du nicht weißt, woher es kommt (Keith Richards), auf keiner LP veröffentlicht ist. Buchstäblich unklar mir Nicht-Kenner, woher dieser stampfende Solitär eigentlich in die Welt geboren wurde. Ich wusste es nicht, wie so vieles nicht über diesen Kosmos, der begann, mich ganz und gar zu überspannen.
Mir war damals erst Recht unbewusst, dass mich mit Lady Jane, Paint it black oder Who reads yesterday´s papers vergleichbar schwache, eindimensionale Stücke faszinierten, deren musikalische Qualität weit zurücksteht hinter der idiosynkratischen Stimmung, die diese Musik wachrief.
Meine persönliche Stones-Rezeption blieb nicht ewig derart naiv, aber ich war doch einerseits stets hinten dran, andererseits vorbehaltlos in der Bereitschaft, die Musik ihre impressionistische Wirkung auf mich entfalten zu lassen. 1976 erst interessierte mich wie gesagt das Frühwerk bis 1966. Ich verschlang es, legte aber erst zu Beginn der 80er Jahre mit Beggar´s Banquet, Aftermath, Let it Bleed sowie einigen Live-Alben und Kompilationen den Grundstock für eine Sammlung. Das Interesse an den Stones, wie noch öfter in späterer Zeit, erlahmte dann aber auch wieder. Ich wandte mich anderer Musik, anderen Menschen, anderen Stimmungen zu.
Und dann kam sie. Sie kam und brachte Tattoo you mit. Tattoo you beherrschte mich bald, ergriff Besitz, gab den Takt vor, in dem sie und ich unsere Tage und-natürlich- Nächte organisierten, was nicht immer kompatibel, wie man heute so schön sagt, war. Es kam vor, dass ich wichtige Termine -ich stand kurz vor dem Abitur- versäumte, weil der Falsett-Gesang Jaggers auf Worried about you oder Heaven oder der herzsynchrone Rhythmus von No use in Crying mich immer und immer wieder an den eigens angeschafften Dual zwangen. Insbesondere die B-Seite lief stunden- tage- monatelang, es musste irgendwann ein zweites Exemplar angeschafft werden.
I´m not waiting on a lady, I´m just waiting on a friend; die glimmer twins inszenierten auf Tattoo you eine unverbrüchliche Freundschaft und auch das traf einen Nerv auf das Empfindlichste, denn genau in diese Zeit fiel eine schleichende aber doch unumkehrbare Tendenz der Abkopplung von all dem Jungs- und Cliquenwesen; ich spüre die Auswirkungen noch heute. Dirigenten: Jagger/Richards.
Spätestens Tattoo you markiert von meinen persönlichen Befindlichkeiten einmal abgesehen aber auch den Wandel hin zu einem weitgehend apolitischen, ja geradezu reaktionären Machotum; zu einer gnadenlosen Vermarktung eines unfassbar banalen, hedonistischen Sex- und Macker-Images (All the girls in New York City ...). Seine Nr. 1, Start me up, war rasch auserkoren zum hymnischen Intro hunderter Live-Acts, mit denen der Globus seither überzogen wird. Der kreative Output tendiert seit drei Jahrzehnten gegen null aber dennoch habe ich v.a. auch diese Phase mit vollzogen, bin zum Hockenheimring gepilgert, um mit 100.000 anderen Jüngern dem Eros zu huldigen, auf Festwiesen und in Stadien, in Hamburg, London, Köln und Mannheim. Und begann, meine Lücken endgültig zu schließen, natürlich mit Exile on Mainstream, dieser sagenumwehten Cote de Azur- Session, produziert mit gestohlenem Strom der Französischen Eisenbahn im Privathaus Keith Richards´, mit dem die Stones endgültig das weltweite Feuilleton eroberten. Mit der funkig- virilen Jetset- Black and Blue, der genialen, überbordenen Sticky Fingers; mit sündhaft teuren Schwarzpressungen aus Venezuela, Japan und Las Vegas.
Es gibt da also, langer Rede Sinn, eine gewisse, fest verankerte Faszination, die neben jenem und diesem in allererster Linie in der Musik gründet, die zwischen 1964 und 1981 vor allem von Keith Richards geschaffen wurde. Da kommt etwas zum Klingen, eine unbestimmte, paradoxerweise zarte, umso heftigere Berührung. Seit jenen frühen Jugendtagen bin ich auf der Suche nach ihr, wühle mich durch den amerikanischen R&B-Sound, deutsche Barockmusik, Schlager, hawaiianischen Folk, Country, Heavy-Metal, die Spielarten des Jazz, Soul- und Funkmusik. Me, I´m waiting so patiently. Und finde sie auch immer wieder einmal oder besser; sie findet mich. Daher gibt es monate- manchmal jahrelange Phasen, in denen ich stehen bleibe bei Chopin, Dylan, Beethoven, Mozart, Jack Johnson, Eichendorff, Bowie, Bach, AC/DC, Konstantin Wecker, Ronny Jordan, Neil Young, Branford Marsalis. Sie alle und andere begleiten mich durch die Zeit. Reisen durch die Zeit trete ich nur an, wenn ich zurückkehre ans Beggar´s Banquet mit den ersten Akkorden des Street fighting man, Aftermath´s Think und all dem anderen wundervollen Zeug. Take it or leave it
Gehasst habe ich diese kommerziell orientierten, bequemen, geistlosen Greatest- Hits-Abgreifer; zu faul erschienen mir die, zu wenig ernsthaft, um sich mit dem gebührenden Respekt durch das Werk der Doors zu graben oder woanders über Gustav Mahler zu weinen als an Aschenbachs Venedig- Lido. Suspekt und verachtenswert wie Chemie-Versteher oder Discotheken-Gänger erschienen mir solche Banausen. Bis ich selber einer wurde und einen Teil meiner Selbstachtung verlor. Dem leistete iTunes Vorschub oder meinetwegen das Internet ganz generell. Das ökonomische Charakteristikum der neuen Zeit ist die Portionierung in Premium-Ware. Der Zusammenhang geht dabei völlig verloren. Offenbar auch mir.
Vor diesem Hintergrund kaufte ich nun in grimmiger Stimmung drei Hit-Musik-CDs; immerhin geschmacklich einigermaßen Unangreifbares: Eine Best-of der Who, eine Greatest-Hits der Creedence-Clearwater-Revivals und etwas von Dylan.
Die ersten CD-Käufe seit... na, jedenfalls seit Jahren. Und dabei war ich dereinst so eine Art Pionier des neuen Mediums; als studentischer Mitarbeiter eines recht bedeutenden Musikalienhandels räumte ich den schwarzen Vinyl ins Kellerlager und ersetzte ihn mit diesen kuriosen Silberscheibchen, damals kostbar wie Krügerrands. Ab 36,90 DM (was heute so in etwa einen Gegenwert von 70,-€ entsprechen dürfte!) war der progressive Kunde dabei. Einige Jahre lang existierte das LP- Angebot parallel, quasi zur Absicherung, falls die teure Neuerung sich nicht würde durchsetzen können. Das geschah ja nicht. Ich geriet dennoch kurze Zeit später in den Strudel der Rationalisierung und wurde ohne groß Federlesen zu machen vor die Tür gesetzt. Aber bis dahin sollten noch einige Monate vergehen und wer weiß; hätte es diese glückliche Fügung, und nichts anderes war es, nicht gegeben, wäre ich vielleicht store-manager (Substitut heißt das im Edeka) in diesem oder einem anderen CD- Laden geworden, mit viel Glück nach dem unvermeidlichen Ruin drei Jahre später Hilfsverkäufer im Saturn. Heute würde ich dann mit angegrautem Fusselbart und zu engem schwarzem Hemd Kunden im Flagship-Store abwimmeln, die wegen irgendwelcher Kabel oder Stecker für ihre Eiertechnik aus dem Bergischen Land einfallen. Liebe Elektronik-Fritzen: Ich kenne eure Geschichte!
Die CDs wurden damals jedenfalls nicht einfach in das Geschäft angeliefert. Dafür gab es in diesen frühen Tagen gar keine Infrastruktur. Wir selbst hatten uns um die Distribution zu kümmern, im Gütersloher Zentrallager die Hüllen mit diversen Labeln zu versehen, Bestände aus dubiosen Quellen umzuetikettieren, sie zu ordnen, zu packen und zu verfrachten. Transporte wurde im weißen Golf GTI meines Chefs durchgeführt. Mit beiden Händen klammerte ich mich während des Ritts über die A2 am Haltegriff über der Beifahrertür fest. Ich brauchte das Geld nicht mal. Ich wollte es.
Natürlich gehörte ich auch zu den sehr frühen Player- Betreibern. Ein Monatsgehalt erübrigte ich für einen bildhübschen Denon mit Goldoptikrand, der noch bis vor wenigen Monaten meine Wohnung ästhetisch bereicherte. Heute existiert er nicht mehr aber ich habe Ersatz geschaffen. Denn es gibt ein wiedererwachtes Bedürfnis, Musik in echter, in hoher Qualität zu hören und nicht bloß in simulierter, als Hintergrundeffekt für eigentlich ganz anderes Tun und Treiben am Computer.
Ich weiß schon, dass Mediatheken mittels simpler technischer Bauteile im ganzen Haus abgerufen werden können doch... funktioniert das ja alles nicht. Jedenfalls nicht verlässlich und nicht in der Praxis. Irgendeine Netzwerk- Verbindungs- Anfrage- Problematik liegt eigentlich immer vor, die dann erstmal behoben werden muss, meistens, indem umständlich hässliche Kabelbrücken gebaut werden müssen, von denen auf den Apple-Promotionen, so weit ich weiß, nie die Rede ist. Manchmal, so wie gestern, bricht das ganze fragile Gebilde aus Technik über drei Etagen, zusammengehalten einzig und allein durch ein wenig niederfrequente elektromagnetische Strahlung, rettungslos in sich zusammen. Der Anwender übt im Grunde kaum Kontrolle aus über dieses sich immer feiner spinnende Gewebe aus fluider Dateiexistenz seiner Musik und nur spärlich aufeinander abgestimmter Hardware, verteilt auf den Keller, das Wohnzimmer und Kalifornien. Ich prophezeie dem Gesamtkonzept den baldigen Niedergang!
Und der materiegestützten CD ein grandioses Erweckungserlebnis. Ich fungiere als sein Seismograph, erspüre es bereits deutlich. Und komme sie auch als Best-of-Kompilation daher.
Meine Herren Idole, liebe Veteranen; so geht es nicht! Die Idee einer ökumenischen Feier im Zeichen des Mythos gefällt ja durchaus. Die Leute scheinen solche quasireligiösen Messen zu lieben, wie zuletzt noch schön zu sehen anlässlich des Besuchs des Narrenfreundes Benediktus.
Durchaus zeitgemäß also das Vorhaben, sich gegenseitig zu ergänzen, zu befruchten- eine breite Zielgruppe anzusprechen, Synergieeffekte zu nutzen. Zumal es vielen grau und schmerbäuchig gewordenen Romantikern in C&A-Lederkluft mit Igelschnitt auf dem Kopp (oder auch gleich gar keiner Frisur) willkommene Gelegenheit bietet, doch noch einmal die Kirche oder wenigstens ein Surrogat ihrer zu besuchen und die seltsamerweise oft stylishen, jedenfalls weitaus gefälliger daher kommenden Gefährtinnen auszuführen. Und zunächst mal guckt und hört man dann tatsächlich ganz gerne hin, wenn Brüder in die Arme genommen werden beim melodiösen brothers in arms und im Anschluss herzerweichend geklagt wird: so far away. Das Elegisch- Suggestiv- Katholische des schottischen Nuschel- Gitarrenakrobaten stimmt ganz hübsch ein auf die erwartete professoral- protestantische Wortkunst des verhinderten Nobelpreisträgers, des jüdischen Zuchtmeisters und wütenden Bescheidsagers, auch wenn die keltischen Einschläge erstes Befremden zeitigen und die gepflegte Lethargie, in die der virtuose aber langweilige Auftritt stürzt, empfindlich stört.
Stopp! Bescheidsagers? Ich rechne mit erboster Replik, denn genau das ist es, was ER, der nun zügig das Zepter übernimmt, vehement von sich weist: den Antrieb, irgendjemandem Bescheid sagen, über irgendetwas belehren zu wollen. Und vielleicht stimmt das auch, was die lyrics (oder sagt man heute tweets?) angeht. Bestimmt sogar. Dylan textet häufig genug über Außenseiter, Glücksritter der Straße- traurige Figuren und untauglich, frohe oder auch nur allgemeine Botschaften zu transportieren. Die missionarische Form aber spricht nun einmal eine ganz andere Sprache. Sie suggeriert in der eklatanten Vorherrschaft des Poetischen vor dem Musikalischen den hermeneutischen Anspruch, Botschaften unter das Volk zu bringen. Binnenökumene, wenn man so will!
Das deutsche, sprich sentimentale Publikum, wie gesagt, liebt Korrespondenzen zwischen dem Gegensätzlichen im selben Geiste und zeigt diese Liebe im Strömen zu Tausenden in die Mehrzweckhalle. Kommerziellen Erfolg hat, wer attraktive Identifikationsangebote macht. Daran ändern die Zeiten nichts, auch wenn sie selbst sich wandeln, wie es messianisch, oft genug zitiert, heißt. Seitdem Steve Jobs nicht mehr lebt, weiß das niemand so gut wie die Protagonisten des Pop.
A hard rain is gonna fall; gleich zu Beginn seiner Messe behält der Meister dann aber doch recht, denn schwerer Regen setzt ein und sorgt für ein sich vertiefendes Befremden. Er fällt in Form von unverdaulichem Fidel-Gefiedel, Keyboardgestampfe, E- Gitarren-Terror und stakkatomäßig- asthmatischem Silbengekrächze. Das ist nicht charmant. Beschallt wird aus unerfindlichen Gründen nur die Bühne, nicht der Zuschauerraum. Fabrikbeleuchtung.
Das Publikum nimmt all das freundlich gestimmt hin, bis auf die 300, die fluchtartig die Demontagehalle verlassen. Es guckt Legende, ich gucke es. Das ist aufschlussreich, einerseits. Es setzt aber auch weitere Beklemmungen frei: Anderen beim Erinnern und Hoffen zugucken, wie sie da, wie brave Pennäler, andächtig ihren Empfindungen nachgeben. Oder -natürlich- mit dem Eiertopf herumeiern...
Auf der Bühne passiert aber nun mal nicht viel und sie und er und die Musik und das alles: gerade vor mir und ich mittendrin aber doch seltsam bindungslos.
Zur Stimmung passt die schon legendäre, auch diesmal geradezu zelebrierte Unverbindlichkeit; die Weigerung des seit Jahrzehnten rollenden Steines, sich irgendwem im Saale einmal freundlich oder sonst wie zuzuwenden. Yet ev´ry distance is not near; nicht jede Ferne ist nah- wohl wahr. Diese Ferne jedenfalls ist fern, sehr fern und bleibt es den ganzen Abend hindurch.
David Bowie lässt vor seinen Konzerten gerne vom Publikum via Internet bestimmen, welche Stücke zum Vortrage kommen. An sich ist das konsequent bei Eintrittspreisen von 100,-€ und mehr: Art goes jukebox- der Star als Dienstleister. Dylan fechten solche marktliberalen Fisimatenten nicht an. Er ist und bleibt Herr des Verfahrens, an der Setlist gibt es auch nichts zu beanstanden, ganz im Gegenteil. Was aber treibt ihn, das eigene Werk im harten, schweren Regen derart rigoros zu kannibalisieren, dass kaum noch etwas übrig bleibt von all dem Klassischen?
Vielleicht hängt es ihm ja selbst zum Halse heraus; manche dieser Kostbarkeiten gibt er auf der Bühne bald schon zum 2.000. Mal! Vielleicht handelt es sich aber auch um wütende, selbstzerstörerische Akte der Dekonstruktion gepaart mit aggressivem Widerwillen gegen die frühvergreiste, rückwärtsgewandte Fangemeinde, die das Lebenszeitidol am liebsten festtackern würde auf der 79er-Bühne at Budokan, es festlegen möchte auf das balladesk Hübsche der Desire-Phase. Bliebe der Künstler aber auf dieser Bühne stehen, gäbe es 32 Jahre musikalischer, gesanglicher Fortentwicklung nicht, mithin ein halbes Leben wäre unnütz verstrichen. Verweht im Wind, sozusagen!
Layout by ichichich.