Januar 2025 |
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Die Vermessung der Welt wird nicht rückgängig gemacht werden. Im Gegenteil. Die sozialwissenschaftlichen Instrumente werden weiter geschärft werden, auf dass postmoderne Lebensbereiche wie Pflege, Bildung, Ökonomie nach den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft bewertbar werden oder bleiben. Das ist nicht umkehrbar. Die auf diesen Feldern Arbeitenden sperren sich, denn oftmals sind sie in prärationaler Zeit sozialisiert, als solches ungedacht blieb, absurd erschienen wäre. Ob im Krankenhaus jemand gesund wurde? Das hatte vor allem mit Schicksal zu tun, vielleicht noch mit einem unentwirrbaren Netz aus Dispositionen, Zuständigkeiten, den mannigfachen Zufälligkeiten des Einzelfalls und natürlich auch mit Eigenverantwortung. Heute nur noch mit performance. Wohl und Wehe hängt von Kompetenz und Tun ab. Beide bilden sich ab im Output. Output ist das, was als Gesundheit oder Bildung gemessen, klassifiziert, verglichen werden kann. In der PISA- Dogmatik geht man längst den letzten, konsequenten Schritt: Bildung ist gleich nur noch das, was operationalisierbar ist. Ein Bildungsbegriff, der befreit wird von allem Ungewissen, von Erfahrung, dem Numinosen unserer Existenz. Gebildet nicht der, der die Goethe-Ballade auf sich wirken lässt, ergriffen auf die Herztöne des Kindes in den Armen des Erlkönigs lauscht, visuelle Kulissen der waldesdunklen Nacht vor seinem inneren Auge entwirft, Szenerien pädophiler Bedrohung- und mit all dem gerüstet Empathie entfaltet für die Bedrohten, Schutzsuchenden, Traurigen, Schwachen. Der eine Haltung entwickelt. Nein! Gebildet derjenige, der auskotzt, was gewogen werden kann: Metrum, Kadenz, Rezeption, Kohärenz.
Es ist, im Gesamten, natürlich subtiler. Sicher. Aber im Prinzip sind wir scheinbar bereit, unsere Begriffe neu auszurichten und anzupassen an die Mechanismen ökonomischer Verwertbarkeit. Folgerichtig besteht die wichtigste schulische Kompetenz im Transfer. Wie einem Fetisch huldigen die sogenannten kompetenzorientierten Lehrpläne dieser Königsfähigkeit. Ihr ist jeglicher Fachgehalt untergeordnet. Die Arbeit mit Kurzgeschichten Wolfgang Borcherts legitimiert sich, wenn sie allerlei rhetorisch-analytische Fingerfertigkeiten andressiert, mit denen dann ein paar Jahre später die Gegenstände der Arbeitswelt abgearbeitet werden können wie Schriftsätze, Anträge, Sachverhalte jeder Art.
Tief greifende, elementare Änderungen gesellschaftlicher Traditionen und Überzeugungen sind das. Schleichend und lautlos zelebriert, längst schon implementiert, wie das so schön heißt im Jargon der ministerialen Verwalter. Nirgends und nie aber öffentlich debattiert oder erklärt. Vordemokratisch...
und dennoch: Richtig! Die überkommende Art und Weise, die Dinge anzugehen, zu unterrichten, zu entscheiden, was gut, richtig, wahr oder falsch ist, methodische Wege zu beschreiten; all das hat auf der ganzen Linie versagt. Die planwirtschaftliche Dogmatik, die ungeheure Arroganz der Lehrerzimmer, in pädagogischer Eigenverantwortung entscheiden zu wollen, ist und war nie etwas anderes als Teamunfähigkeit, Beratungsresistenz, Faulheit, Borniertheit. Und die Schüler lernten eben auch nichts Substanzielleres, zum Beispiel zu sich selbst zu finden, indem sie schreiben, um zu lernen, was sie denken (und nicht bloß, um Lesen zu lernen!). Da kann man dann in der Tat gleich den homo oeconomicus produzieren- vielleicht klassisch noch weniger gebildet aber dafür mit verwertbaren Funktionen bestückt.
Wer sich zur Frage äußert, wie Schule am besten zu organisieren sei, mit wem in welcher Form, scheint zu implizieren, wie er politisch ganz generell steht; welches Menschenbild ihm lieb ist, woran er glaubt, wessen Geistes Kind er ist, ob Freund, ob Feind.
So wird das jedenfalls wahrgenommen und das ist wohl auch der Grund dafür, dass die sogenannte Bildungspolitik ein so heißes Eisen ist, immer noch- nach all den Jahren, in denen die Debatte hätte abkühlen sollen, in denen man zu einem kühleren Pragmatismus hätte finden können: Gucken wir mal, was so geht- eine Haltung, derer sich Köln sonst so gerne rühmt, dabei toben ideologische Saalschlachten schon um die Frage, ob Kinder im Kommunionsunterricht alleine oder mit ihren Eltern gemeinsam indoktriniert werden sollen oder ob es denn gottesfürchtig sei, einer Vergewaltigten die Pille danach zu verabreichen.
Liberal also nur da, wo es nicht weh tut, beim Karneval zum Beispiel. Dass es aber derart faschistoid auch in den Foren seriöser Zeitungen zugeht... das hat mich doch auf dem falschen Fuß erwischt. Und dabei habe ich nur meiner ehrlich-naiven Verwunderung Ausdruck geben wollen, dass die Gesamtschule ausgerechnet mit dem Argument, sie betreibe Gleichmacherei,
immer und immer wieder auf´s Neue attackiert wird! Die Gesamtschule, man mag ja sonst gegen sie einiges einwenden, tut eben das nun gar nicht! Und zwar als einzige der mir bekannten, weiterführenden Anstaltsarten. Sie sucht, will, fördert die Heterogenität. Am liebsten eine paritätische. Vor allem aber stellt sie sich dem Umstand, dass eben nicht alle gleich, sondern ungleich sind: Unterschiedlich begabt, interessiert, intelligent, gebildet. Das Zauberwort, gleichsam ihr Mantra lautet Binnendifferenzierung. Das ist die Kunde und die Lehre davon, wie man mit solch gewollter Heterogenität umgeht. Der Unterricht wird weitgehend individualisiert. Dazu wird eine entsprechende Lernumgebung geschaffen, absolute, am Klassendurchschnitt orientierte Noten entfallen, dafür gibt es Ziffernnoten, die den Lernfortschritt dokumentieren. Vielleicht sogar Lernerfolgskontrollen auf unterschiedlichem Niveau, sicherlich differenzierendes Arbeitsmaterial. Umgang mit Ungleichheit!
Alle anderen Schulformen - außer natürlich die Grundschule, die eine Gesamtschule in Reinkultur ist, sogar in Bayern - suggerieren, die Menschen, die sie 6,7 oder 8 Jahre besuchen werden, seien eine homogene, gleich träge, gleich dynamische Masse, starteten allesamt am selben virtuell-geistigen Ort und kämen mit identischen Mitteln zum selben Ziel. Das ist natürlich, wie sich zumindest zwischen den OPEC-PISA-Gewinnern herumgesprochen hat, hanebüchener Unfug. Also, warum dran festhalten? Macht doch sonst kein zivilisiertes Land! Österreich?!? Ja gut, ja Gott - Österreich. Aber sonst? Niemand!
Seriöse Zeitung. So nennt man die FAZ trotz alledem!. Und seriös, zumindest im Sinne von ernsthaft sind die Beschmutzungen durchaus, mit denen ich dort besudelt wurde. Ernst machte man in dem moderierten Blog dort auch, als man mir den Hahn abdrehte. Als ich zu einer sachlichen Replik ansetzte, schloss man den Thread- das letzte Wort sollte das vom Ungeziefer sein. Erst nach langen Verhandlungen konnte die Redaktion davon überzeugt werden, dass das nicht angeht- aus nahe liegenden Gründen.
Und vom Sitzenbleiben hatte ich bislang noch gar nicht gesprochen! Davon, dass das ein Relikt aus despotischer Kaiserzeit ist; davon, dass ein pädagogischer, gar ein lernpsychologisch wertvoller Zusammenhang nicht existiert. John Hattie weist auf empirischer Basis von hunderten Einzelstudien im Rahmen seiner beeindruckenden Metauntersuchung nach, dass das Sitzenbleiben, ganz wie Gesamtschulen es seit 40 Jahren predigen, gar einen negativen Effekt auf die weitere Lernbiographie des Betroffenen ausübt.
Eigentlich wollte ich hier einmal darüber nachdenken, wie es zu erklären ist, dass über 98% der Hochschulabsolventen in Biologie mit den Noten sehr gut oder gut reüssieren aber nur 7% der Juristen. Dann aber führten meine Gedanken, wie das häufig bei mir so geht, mich ganz woanders hin (ich wäre also wahrscheinlich auch ein ganz brauchbarer Experimental-Biologe geworden!) bzw. nicht ganz woanders hin, denn da, wo ich mental strandete, geht´s auch recht willkürlich zu. Mein Thema also mal wieder dies: Das deutsch-österreichische Gymnasium!
Grüne und SPD haben nicht lange gebraucht, um das von ihnen seit kurzem beherrschte Wut-Ländle auf den Bildungsrankings abwärts zu dirigieren. Der angestammte Platz 2 ist Geschichte, nach unten geht der Weg. Über die Gründe kann man vorerst nur spekulieren. Eine Rolle spielt sicherlich, dass andernorts aufgeholt wird. Die CDU aber hantiert quicker mit Erklärungen: Die Gemeinschaftsschule, die an sich eine viel zu junge Einrichtung ist, um schuldig an der fatalen Entwicklung zu sein, sei schuld. Jene Schulform, die zum einen die ungeliebten Haupt- und Realschulen ersetzen soll und ein längeres gemeinsames Lernen ungeachtet der Empfehlungen nach Klasse 4 anbietet. Die aber zum anderen auch durchaus gymnasiale Standards setzt und demzufolge ihr Heil in einer Differenzierung nach innen sucht. Binnendifferenzierung nennen die Didaktiker dies; ein pädagogisch wegen pragmatischer Hürden ausgesprochen umstrittenes Konzept, setzt es doch im Unterricht elastische Spagatkünste, sprich methodisch-didaktische Expertise voraus, um ganz unterschiedlichen Lernbedürfnissen einer durch und durch heterogenen Schülerschaft gerecht werden zu können. Es verknüpft sich hiermit so ganz nebenbei ein ganz anders gelagertes Berufsbild der Lehrerschaft (nämlich eines, welches den Pädagogen fordert, nicht den Fachexperten) und vor allem impliziert ein solches Konzept, dass es Auf- und Abstieg geben kann; kurzum: Es geht ans Eingemachte, denn nichts wühlt uns Deutschländer bekanntermaßen so sehr auf, wie das Infragestellen von lieb gewonnenen Überzeugungen. Zum Beispiel der, dass die soziale Klasse weitgehend mit der Geburt bestimmt zu sein hat.
PISA, demographischer Schwund, Fachkräftemangel, schlappe 25%- Abiturientenquote in Bayern: Alles halb so schlimm, so lange die Ideologie bezahlbar ist. Und noch ist sie das, offenbar.
Wütende Leserbriefe in FAZ bis Focus gegen jene Form des längeren gemeinsamen Lernens repräsentieren die Vorbehalte in erfrischender Klarheit: Wer das Gymnasium nicht schafft, soll fernbleiben. Leistung darf nicht dem linken Klassenkampf geopfert werden. Oder, wie es die Führerin der CDU- Opposition im BW-Landtag hübsch bündig formuliert: Es spielt ja auch nicht jeder Fußballer Championsleague.
Dies nun wiederum halte ich für eine Bemerkung, die schon aufgrund ihres intellektuellen Tiefenverzichts nicht geeignet ist, Vertrauen in die Positionen jener Dame zu gewinnen, denn ob Gemeinschaftsschule oder Bundesliga, darum geht es ja gerade: Im Wettbewerb, in der regelmäßigen Interaktion wachsen gemäß des eigenen Temperaments, der eigenen Wege, der eigenen Ressourcen. Nur wenige werden dann gegen Chelsea spielen, oder eine 1 vor dem Abiturschnitt haben (mal abgesehen davon, dass Gemeinschaftsschulen, anders als Gesamtschulen, gar keine gymnasialen Oberstufen betreiben). Die Chance aber bleibt gewahrt und vor allem gibt es keine a priori- Ausgrenzung via Selektion von 9-jährigen Pennälern, die in der Regel eben nicht leistungsstark oder leistungsschwach, sondern viel eher günstig oder eben ungünstig sozialisiert sind.
Die Wahl, oder besser: Die Zuweisung der Schulform ist typischerweise eine soziale Frage, denn Mittelschichtskinder haben eine fünfmal so hohe Chance auf einen Gymnasial- Besuch wie Arbeitersprösslinge. Und das dortige Niveau? Ist das Championsleague? Natürlich längst nicht. Es ist ja heute schon Realität: Das Gymnasium ersetzt in vielen Fällen die Gesamtschule, beschult eine leistungsheterogene Klientel, die homogen bestenfalls hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft zu nennen ist. Erstaunlich aber, wie es gerade diese Schulform im Windschatten der beharrenden Kräfte und Vertreter einer konservativ-bürgerlichen Mittelschicht es nach wie vor schafft, ihre mangelhaften Ergebnisse vor einer kritischen Evaluierung zu verbergen und wie es trotz modernisierter Lehrerausbildung im Sinne einer erprobten didaktischen Praxis immer noch gelingt, eine Unterrichtskultur von anno dazumal zu bewahren und so jegliche Verantwortung für Le(h)r(n)erfolg auf die schmalen Schultern der strampelnden Schülerschaft abzuwälzen. Das gelingt wirklich keiner Berufsgruppe! Auch den Lehrern an anderen Schulformen übrigens nicht.
Kein Mensch käme auf die Idee, die nicht ausgeleerte Mülltonne, das nicht entfernte Geschwür, das ins Meer gestürzte Flugzeug nicht auf Inkompetenz von Müllmann, Arzt oder Fluglotse zurückzuführen, sondern auf eigenes Versagen. Kann Lieschen Müller aber nach sechs Jahren Gymnasium immer noch nicht den Satz des Pythagoras oder den AcI; selbst schuld. Zu doof. Zu dumm! Nicht gymnasial; das besonders infame Verdikt nicht nur für Lieschen, sondern für ihr gesamtes soziales Umfeld, das die Bildungstauglichkeit via Genpool, Nachhilfe und Nachunterricht eben nicht hergestellt hat, auch, wenn es mal eine 1,8 Durchschnittsnote nach Klasse 4 sowie entsprechende Empfehlung gab. Skurriler kann ein Sozialsystem sich selbst nicht ad absurdum führen, nur zu merken scheint es keiner!
Und all das ist auch kein Wunder; immer noch sind Gymnasien Horte unprofessionellen Tuns, in denen Bildungserfolge abhängen von persönlicher Lust und Laune der Lehrkraft, in denen der Bildungsertrag in einem krassen Missverhältnis zu den aufgewendeten Ressourcen steht; anders als beispielsweise an Gesamtschulen gibt es außer einem heillos überforderten Schulleiter als Dienstvorgesetzten niemanden, der die Qualität von Unterricht, Leistungsbewertung und Beratungsarbeit einfordert und evaluiert. So bleibt alles weitgehend glücklicher Fügung überlassen. Eltern sind aufgrund häufig selbst durchlittener Traumatisierungen und mangelnder Vernetzung mit den vielen anderen Gefrusteten seelisch-moralisch-rational kaum in der Lage, aufzubegehren. Oder finden das alles ganz in Ordnung so, denn ich musste da ja auch durch.
Das Gymnasium wird von einem Kartell aus Bezirksregierungs-Dezernenten, Journalisten, Lehrern (natürlich) und bürgerlichen Politikern jedweder Coleur aus der Schusslinie genommen, wenn anderswo der überfällige, von den Leistungsstudien, der UN (Inklusion) oder schnöder Bevölkerungsstatistik sowie einem dramatischen Fachkräftemangel gesellschaftliche Umbau nahegelegt und eingefordert wird. Und exakt diese Kreise argumentieren dazu mit einem seltsam schiefen Muster:
Schief: Die Mär von der Einheitsschule
Links, kommunistisch und falsch sei es, die Menschen nicht nach Begabungen und Interessen zu sondern und in unterschiedliche Schulformen zu zwängen. Eine Denklinie, die zeigt, dass die Protagonisten der öffentlichen Debatte keinen Schimmer vom Funktionieren eines integrativen Schulsystems haben. Denn es ist gerade die Verschiedenheit der Schülerschaft, welche die äußere Struktur einer solchen Landschaft prägt. Die täglichen Dienstbesprechungen, Teamsitzungen, Konferenzen und Fortbildungsveranstaltungen. Die immer und immer wieder reflektiert wird, wenn es um binnendifferenzierende Maßnahmen geht, die so weit gehen können, dass in einer Lerngruppe Arbeiten auf drei Anspruchniveaus geschrieben werden, dass unterschiedliche Materialien eingesetzt und Aufgaben qualitativ und quantitativ stark variieren. Nein, nein, es ist der deutsche Sonderweg, der Versuch, Lerngruppen in Schubladen in homogene Päckchen einzusortieren, der die Schülerschaft über einen Kamm schert. Hier wird so getan, als gebe es nur einen IQ, nur einen Lerntyp (nämlich den auditiven), nur ein affektives Muster (ehrgeizig, willig). Und als gebe es neben all dem Wollen, Glauben, Meinen keine belastbare Wissenschaft von dem, was nützt und dem, was schadet. John Hattie, neuseeländischer Bildungsforscher, stellt nach 20 Jahren Meta-Meta-Analyse auf der Basis von tausenden Einzelstudien fest, dass homogenisierende Maßnahmen nicht helfen; jedenfalls dann nicht, wenn es um die Herstellung von Bildungs- und Lernerfolg auf Schülerseite geht.
Eine Championsleague also. Das ja. Aber viele Wege dorthin.
Wie Lance Armstrong habe ich noch nie eine Tour de france gewonnen. Mit FAZ-Lady Heike Schmoll teile ich das Schicksal, keinen einigermaßen zureichenden Zeitungsbericht über eine Schul- und Bildungsthematik, facettenreich wie der Nachthimmel, schreiben zu können. Weitere Gemeinsamkeiten mit ihr gibt es wohl nicht, denn schon bei solch einer simplen Selbsteinschätzung beginnen die Unterschiede!
a) Grundschulen in Bayern sind die besseren! Ich habe nichts gegen Klischees. Klischees ordnen die Welt und geben Orientierung. Ich gebe auch gerne zu, dass das Bundesland Bayern sich zu vermarkten weiß, obgleich man mit Pressesprechern Kummer gewohnt ist. Identitätsstiftend wirken nicht nur Natur, Getränke, Wohlstand, Kultur und Sprache- sondern eben auch Anspruch und Bewusstsein, besser zu sein. Bildungsstudien belegen das für schulische Bemühungen. Und zwar immer und immer wieder. Andererseits ist mit diesen Studien nicht belegt, dass die guten bayerischen Schulergebnisse auf institutionell angestoßene Schulentwicklungsmaßnahmen zurückzuführen sind. Vielmehr lehrt die PISA- Studie, dass in Deutschland generell der schulische Erfolg mit dem sozialen Umfeld unanständig hoch korreliert. In einer wirtschaftlich und damit sozial derart prosperierenden Region wie Bayern (für BW gilt das in ähnlicher Art und Weise) wären also andere Ergebnisse geradezu kurios. Wirtschaftspolitik ist Sozialpolitik, heißt es im konservativen Lager. Wirtschaftspolitik ist aber vor allem Bildungspolitik. Auch das gehört zur Debatte, damit der Blick auf die Ursachen des süddeutschen Bildungswunders nicht verstellt wird, Frau Schmoll.
Gymnasiallehrer beklagen eine schleichende Veränderung des Berufsbildes. Ach, Gottchen! Der Gymnasiallehrer: Kannste kein Griechisch, kannste gar nichts. Und Amtsbezeichnungen... Ich bin Gymnasiallehrerin geworden, weil ich keine Lust hatte, kleinen Gören die Nase zu putzen ist sich Frau Oberstudienrätin M aus S nicht blöd genug, Heike Schmoll ins iPhone zu quäken. Vielleicht ist sie aber auch deshalb Gymnasiallehrerin geworden, weil sie mental, fachlich und kognitiv nicht in der Lage war, Biochemikerin am Max-Planck-Institut zu werden oder Abteilungsleiterin beim Klett-Verlag. Wer weiß?! Gymnasiallehrerin ist M aus S aber ganz offenbar nicht geworden, weil sie pädagogisch arbeiten wollte. Heute kann sie es leider nicht mehr, denn die Turnübungen des Referendariats nimmt ja eine gestandene Kollegin nicht ernst und Fortbildungen...? Fortbildungen sind etwas für Leute, die nicht wissen, wo der Hase lang läuft und zu viel Zeit haben. Für Einsteiger und Weichmänner.
Frau Ms. Sache sind eher Anspruch und Dünkel, Dünkel und Anspruch. Bildungsbedarf haben immer die anderen.
Und auch sonst ein Opfer von Missverständnissen, denn Frau M aus S realisiert erst kurz vor der Pensionierung, dass sie keine Fachwissenschaftlerin ist, sondern Lehrerin, Pädagogin, welch garstig Einsicht! Da hilft nur noch die Klage bei der ollen Tante FAZ: Ablativus Absolutus? Vor Klasse 9 geht da doch heute gar nichts mehr!
Die Helden des pädagogischen Alltags aber, liebe M aus S, das sind ohnehin gar nicht Sie, das sind die Förderschullehrer/innen, die Kolleg/innen an den gigantischen Gesamtschulsystemen im Duisburger Norden, in Gelsenkirchen-Schalke, die die Folgen einer völlig verunglückten Integrationspolitik zu beseitigen haben, die pädagogisch nirgends gefilterten Ausflüsse einer jahrelangen CDU-Verhätschelung privater Schundmedien. Die unter einer unsäglichen Diffamierung des Berufsstandes zu leiden haben, sich alltäglich einer politisch billigend in Kauf genommenen sozialen und ökonomischen Verwahrlosung gegenübersehen. Und da ein Pflänzchen zu züchten, Frau M aus S. Da aktiv aus einer G-Kurs Mathematik 4- eine E-Kurs-Mathematik 4 herbeizupädagogisieren und so den Hauptschulabschluss zu ermöglichen, eine Lebensperspektive zu eröffnen. Dem 14-jährigen Mädchen nicht das verweinte Näschen zu putzen, das müssen Sie in der Tat nicht. Aber es zur Schwangeren-Konfliktberatung begleiten. Lebenshilfe zu geben, mitzufühlen. Das ist A14- Pädagogik. Nicht das, was Sie da machen. Das wird auch gebraucht. Ist aber nicht so schwierig, denn Sie zählen auf stabile Elternhäuser (auf Gentrifizierungsgewinnler, beispielsweise), präparierte Jugendliche, auf Eigeninitiative und generell eine Schülerschaft, die, wäre sie so gestrickt wie Sie sich das vorstellen, Ihrer Berufszunft überhaupt gar nicht bedürfte, denn sie wäre bereits motiviert, klug, intelligent- sie wäre erwachsen und akademisch. Und Ihnen, Heike Schmoll, Ihnen fehlt zu dem Gewäsch dieses Zerrbildes einer ethisch bewegten Lehrkraft Differenz, eine kritische Perspektive, Distanz, mal wieder.
Üben, üben, üben. Ja, natürlich hilft das. Es würde auch helfen, die Sommerferien abzuschaffen. Und es verträgt sich so gar nicht mit dem Bayernmantra, denn jenes betet ja vor, es seien die strukturell entwickelten Maßnahmen, die den Bildungsstandort so weit nach vorne brächten. Und um anderes kann es im Politikteil einer Zeitung auch gar nicht gehen. Ihre Interviewpartner müsste Heike Schmoll in diesem Zusammenhang nach ihrem eigenen Beitrag fragen; wo und wie entwickeln sie ihre Schulen vor dem Hintergrund einer sich verändernden Population? Wo sehen sie ihre eigene Verantwortung? Wie operationalisieren sie pädagogische Konzepte, Standards und Überzeugungen? Mit welchen Technologien erzeugen sie die Bereitschaft und die Fähigkeit, zu üben? Ist ihre Arbeit transparent? Schülernah? ... Professionell? Frau Schmoll?
ihr verdient also weniger als Hunde, häufig unter 20.000,-€ im Jahr, oft nur 5.000? Leidet darunter, dass es jährlich 200 neue Konkurrenten auf der heillos überlaufenen Spielwiese gibt, die Fernsehanstalten und Produzenten die Kosten minimieren und 95% eurer Zunft aus diesen Gründen darben? Hartz IV benötigt? Ja, hättet ihr halt etwas Anständiges gelernt. Zum Beispiel: Erotikmodel oder Fußball spielen. Da sind 20.000,-€ Tagesgage drin. Oftmals sogar für Gerade-so-Inhaber eines Hauptschulabschlusses und Wahrscheinlich- Absteiger wie Lukas Podolski. Also, liebe Mimen, nicht jammern: Umschulen!
Und wenn ihr schon über 22 seid: Streiken! Mal das Solinger Stadttheater bestreiken! Einfach mal die Helden des Wasserhahns ausfallen lassen. Soll das gedankenlose Volk doch mal sehen, wie es den Mittwochabend ohne euch rumkriegt.
So ein Integrationsrat ist eine feine Sache. Man geht ganz unverbindlich hin und bekommt von allerlei Honoratioren (Integration ist schließlich ein wichtiges Anliegen!) den Stand der res publicae mitgeteilt: Der Polizeichef (da geh ich selbst hin) legt die neuste Kriminal- und Gewaltstatistik vor. Die Bürgervertreter sind empört, das Jugendamt referiert Maßnahmen, die Stadtverwaltung erklärt, warum all das sehr, sehr bedeutsam ist, man aber dennoch nichts bezahle. Und der Moderator, offenbar ein Musterbeispiel gelungener Integration, lädt zum nächsten Fest ein, schüttelt lächelnd Hände und zeigt sich generell außerordentlich verbindlich. Die Lage ist nicht so toll aber sie könnte schlimmer sein!
Als anständiger Pädagoge mehr und mehr auch in eigener Sache frage ich mich, still und versunken lauschend: Was hat all das mit mir zu tun? Das ist gewissermaßen eine meiner sieben Berufskrankheiten, also: der neurotische Hang zum Transfer. Was hat das mit mir zu tun? Wie halte ich es denn mit der Integration?
Dabei meine ich nicht die läppische Perspektive auf die Bemühungen anderer. Ich weiß schon, so wird das diskutiert: Ist die, der, das integriert? Wie steht es mit den Bemühungen der Familie Haileab sich einzufügen in die Aufnahmegesellschaft? Welche feinen Stigmatisierungen können ihr weiter anheim gegeben werden, wenn Defizite auszumachen sind?
Dies ist aber keine liberale, keine bürgerlich- demokratische Haltung, auch wenn die klassischerweise von den Kommunal-, Landes- und Bundesdemagogen der sogenannten CDU immer so gerne beansprucht wird; einer CDU, die doch sonst immer in Begeisterungsstürme ausbricht, wenn jemand von Eigenverantwortlichkeit schwätzt.
Viel wichtiger ist mir jedenfalls die Frage: Bin ich integriert? Ich bin es nicht, um es gleich zu sagen. Ich bin viel zu wenig integriert- das steht fest.
Mit Migranten habe ich, wenn überhaupt, nur professionell zu tun, nie privat. Ich spreche seit 1993, also lange vor dem politischen Establishment, von Migration und nicht von Ausländern in unserer Gesellschaft oder, noch schlimmer, von Überfremdung und zwar nach der Lektüre der Aussichten auf den Bürgerkrieg von H.M. Enzensberger. Sprachliche Vorsicht, und sei sie auch verwandt mit intellektueller Pose, entschärft den Konflikt, beruhigt die Debatte. Doch integrierend wirkt sie wenig.
Ich bin also tatsächlich viel zu wenig integriert. Nicht mal für fremdländisches Essen interessiere ich mich ja, es sei denn, es handelt sich um eine domestizierte Variante des benachbarten Edel-Italieners oder irgendwas mit China & Kanton. Ein interkulturelles Deutschbuch habe ich mal geschrieben aber ohne Herzblut und eigentlich in allererster Linie nur, um die Schaffensbilanz zu steigern und viele kleine iPods und ihre großen Verwandten kaufen zu können. Und auch mit der Anbindung an die Herkunfts-community ist es nicht sonderlich gut bestellt. In Vereine gehe ich nicht, der Thekenmensch turnt mich ab, die Nachbarschaft langweilt mich und ganz generell bin ich ein Mensch, der sich gerne mal versenkt in allerlei Dies & Das. Es ist diese Melange aus Überdruss, Desinteresse, Egozentrik, an der ich leide. An der wir leiden.
U. geht mit mit seinen Anliegen immer gleich direkt zu Frau Ministerin. Das ist praktisch (Schreib mir das mal auf, ich weiß schon, wem ich das gebe...), keine Frage. Wer wandelt schon gern auf dem Dienstweg, der dann doch meistens irgendwo im Nichts versandet?
U. macht sich da frühere, frühe Kontakte zunutze aus einer Zeit, in der Frau Ministerin noch selbst die bildungspolitische Basis beackerte und froh über ihren Brotberuf war; so weit von einer Ministerin-Laufbahn entfernt wie die Klassenkämpfer der CDU von einem Ja zur Gesamtschule oder einem Nein zu AKW oder zur Hauptschule (ach ja, das WELTBILD). Ich gönne es U.; er ist ein feiner Kerl und nutzt seine Kontakte in allererster Linie für vielfältige friedenspädagogische Aktivitäten, die ihn schon bis in den Kreml geführt haben.
Ich aber, ich kenne keine Top-Entscheider in Politik und Verwaltung und war noch nie in Moskau. Ich irre nach wie vor nur durch die endlosen Gänge metaphorischer Schlösser, auf der Suche nach Orientierung und jemandem, der sich meiner Anliegen annimmt (nun, die Sekretärin hat eigentlich immer ein offenes Ohr, ich beschwere mich also über nichts!).
Ich habe allerdings auch generell ein unnatürliches Verhältnis zu stark exponierten Personen, sprich: zu Prominenten. Ich (wie ja die meisten hier) hatte mal zu tun mit Ex-Hubschrauber-Beiflieger Jauch, mit Cornelia Funke (na ja, das war vor Tintenherz, also zu einer Zeit, als von Ruhm noch wirklich keine Rede sein konnte!), Janosch, TV-Nachrichten-Service-Kräften; so diese Liga. Nichts besonderes, aber doch ein gelegentlicher Umgang, von dem ich einige Zeit lang hoffte, einmal profitieren zu können.
Da wurde dann mal gar nichts draus. Vielleicht lag das aber auch an meinem verklemmt- berechnendem Benehmen diesen Herrschaften gegenüber, das den Zelebritäten ganz bestimmt unangenehm war. Subalterne Figuren in den medialen Produktions- und Verwertungsfabriken, so wie damals ich, neigen ja zu unfreundlicher Beiläufigkeit, um nicht der Einschmeichelei verdächtig zu werden. Hieße ich Fritz Pleitgen; das würde mich auch genervt haben.
Aber all das nur nebenbei. Ich habe ja dann doch noch etwas gelernt, das mir ein erfreuliches Maß an Autonomie sichert. Nun allerdings bin ich an einem Punkte angekommen, an dem ich mich sehr freuen würde, wenn eine freundliche Fee- Ministerin behilflich wäre mit einem nonchalanten: Gib mal her.... Wenn ich meine Aufgabenbeschreibung nämlich lese, in der es seit neustem unter anderem heißt: ... sorgt für administrative und pädagogische Strukturen, in denen sich die Anzahl der Schüler mit sehr gutem und gutem Abitur deutlich erhöht. Oder: Entwickelt und implementiert geeignete Unterrichtsformen eines längeren, gemeinsamen Lernens. Er steuert den Prozess, in dem Kompetenzorientierung selbstverständliche didaktische Unterrichtspraxis wird! Inklusion, Lehrpläne, Schulprogramme, Konferenzen... sichert den Weltfrieden... hält den Einfluss der Bertelsmann-Stiftung aus der Schule heraus...- das fehlt, aber ich habe die letzte Sprosse auf meiner Leiter ja auch noch nicht erreicht. Da gibt es dann schon noch genug zu tun.
Glauben Sie mir- Sie haben vom alltäglichen Behördenwahnsinn in einer großen NRW- Schule keinen Schimmer. So wie ich keine Ministerin!
Mal ist das Parlament voller, mal leerer- aber immer voller Lehrer- das war hübsch gekalauert von Otto Graf Lambsdorff. Jeder halbwegs zur Selbstironie fähige Berufspädagoge nimmt solche Aperçus heiter ohne gleich seinem rasenden Herzen zum Spezialisten folgen zu müssen. Lehrer kündigen nun einmal gerne davon, wie Straßen auszusehen haben, Müll entsorgt werden soll, das Theater bespielt und so weiter. Sie haben gelernt, das Besserwissen zu integrieren in das, was Erik Erikson, Lothar Krappmann oder George Herbert Mead Identität nannten. Als grelles, markantes Selbstbild wird dieses dann mehr oder weniger selbstironisch (meist weniger!) prägend auch für all die sozialen Interaktionen; die alltäglichen großen und die kleinen, unscheinbaren. Oft genug zum Verdruss anderer- ich als Betroffener kenne mich da ganz gut aus.
Lambsdorff bediente natürlich auch das Klischee vom zeitlich unterforderten Beamten, von der Halbtageskraft am Pult, die vormittags recht und nachmittags frei hat. Diesen Typus gibt es, ich kenne ihn gut. Niemand nimmt ihn wohl so recht ernst; die Schüler nicht, auch viele Kollegen nicht. Solange die Anreize gesetzt sind wie aktuell, wird er in seinem bequemen Biotop hausen bleiben. Zwar keine großen Sprünge machen, aber eben doch existieren können. Bei beamteten Lehrkräften mit der Amtsbezeichnung Studienrat bedeutet das Unkündbarkeit, 12 Wochen unterrichtsfreie Zeit im Jahr, gesicherte Pensionsansprüche, weitgehende Arbeitsautonomie und ein A13- Gehalt, das je nach Altersstufe durchaus um 4.000,-€ vor Steuern liegt. Höhere Weihen werden ihm verbaut sein aber doch... so lässt es sich ganz gut leben. Und auch, wenn ein solcher Lehrkörper nicht auf exklusiver Laufbahn wandelt, wird er in der Regel doch mit A12 entlohnt. Insbesondere für viele Frauen bedeutet ein solches Vertragsverhältnis außerdem eine lebenslange Arbeitsplatz-Hängematte, auch bei noch so arbeitgeberfeindlicher Lebensplanung, also etwa drei Geburten in kurzer Folge und Inanspruchnahme von 9 Jahren Elternzeit. Die Stelle! Sie ist (ist sie erst einmal) und sie bleibt. In der Tat traumhaft illusionär für Ärzte, Ingenieure oder Rechtsanwälte, die nach solchen Auszeiten fachlich hoffnungslos abgehängt wären.
Und doch: Lehrer gehören zu der Berufsgruppe mit den höchsten Ausfall- und Depressionsquoten. Ausgebrannt ist der neudeutsche Euphemismus für tiefe Erschöpfung, gesundheitsschädigende Überforderung und nackte Angst davor, abermals eine Schule betreten zu müssen. Solche Fälle mehren sich und zwar ganz unabhängig von der scheinbar so komfortablen Versorgung (die selbstredend SO komfortabel gar nicht ist, wenn man bedenkt, welche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten Angehörigen anderer Berufsgruppen nach 2 Staatsexamen offen stehen).
Seit neustem bin ich qua Amt befasst mit Prävention, Schutz und Hilfe Betroffener, also des gesamten Kollegiums. Erste Gespräche und Überlegungen bringen mich auf diese Fährte: Unabhängig von einer ganzen Reihe möglicher Ursachen für die Nervenkrisen wirkt vielfach ein tradiertes, überholtes Lehrerbild belastend: Der Pädagoge als 30-facher Halter des Nürnberger Trichters, mit dessen Hilfe der Informations-Upload in die Schülerhirne versucht wird. Das sind aber völlig untaugliche Versuche und Mittel, wie Juristen sagen würden und so kommt es zu vielfachen Systemabstürzen in der Form von Unterrichtsstörungen, Renitenz und abgrundtiefes Angeödetsein. Solche Fehlermeldungen können (nach der vielzitierten Watzlawick-Doktrin) nicht ignoriert werden. Das Nicht-Ignorieren-Können bedeutet Reaktion, Gegenaktion, Diskussion, Stress, Frust. Wer in diesen Nahkampf geht, hat schon verloren. Vielleicht gelingt es sogar, sich hier zu einigen, doch geht das mit Sicherheit auf Kosten einer neuen Baustelle, die sich ganz schnell dort auftut, wo für einen Moment die Aufmerksamkeit entzogen wird. Dabei wissen Lehrer in der Regel sehr genau, dass ihre eigentliche Arbeit vor der Unterrichtsstunde stattfindet und dass erfolgreiche Schularbeit bedeutet, diese Vorarbeit so in das Stundengeschehen zu integrieren, dass sich die Lehrkraft zurückziehen kann während die Lernenden prozess- oder zielorientiert, jedenfalls geleitet reproduzieren, reorganisieren, werten. Wer seinen Unterricht konzeptionell anders anlegt, besteht in Deutschland kein Staatsexamen (mehr). Dennoch verfallen selbst Berufsanfänger nach hervorragender Ausbildung in besagtes Muster. Und wirklich: Anfänglich entlastet das, weil Vorbereitungszeit entfällt und Freizeit gewonnen wird. Der dozierende Frontalstil erfordert nämlich kaum Planung, kaum pädagogische Expertise. Dafür aber erzeugt er in aller Regel tiefe Unlust auch auf Schülerseite, denn der Zwang, still zu sitzen, auf Nahrung, Denken, und jegliche andere Form des Tuns sowie jeglichen ästhetischen Genuss stundenlang verzichten zu müssen, erzeugt auf Schülerseite von Leid bis ADS alles mögliche- sicherlich aber keinen Lernzuwachs. Die Reaktionen sind vorgezeichnet und... siehe oben!
Mir scheint dies ein Kernaspekt zu sein unseres vielbesungenen Bildungsdilemmas. Lehrer müssen tatsächlich lernen, die beschriebenen Mechanismen zu durchschauen und ihre Arbeit entsprechend umzudeuten. Das wäre wohl der Königsweg heraus aus der Krise des Berufsstandes und auch der des Heeres seelisch notleidender Berufspädagogen.
Ich stehe der Bertelsmann-Stiftung ausgesprochen kritisch gegenüber. Das heißt aber nicht, dass ich ihre jüngsten Abbildungen der hiesigen Bildungslandschaft, den sogenannten Lernatlas Deutschland, nicht als alarmierend empfände, als skandalös obendrein.
Zueigen gemacht hat man sich endlich einmal den Lernbegriff der UNESCO, welcher ein lebenslanges Konzept beschreibt und weitaus differenzierter daherkommt, als diese ewige PISA- Abfragerei 15-jähriger im Multiple-Choice-Verfahren.
Zu 2/3 werden nunmehr Qualität und Quantität von Schule einerseits und Universität & Fachhochschule andererseits gewichtet. Kalkuliert wird zudem mit Bedingungen für lebenslanges, bürgerlich-soziales Engagement sowie persönliches Lernen; gemeint sind damit die regionalen Möglichkeiten sowie die Bereitschaft der Bewohner, Bildungsangebote jedweder Art (auch das gute, alte Buch) zu nutzen.
Die Studie mag methodische Schwächen aufweisen. Problematisch ist insbesondere die Verwendung von PISA- Daten, die nur für die Gesamtrepublik vorliegen bzw. für die einzelnen Bundesländer. Diese (älteren) Daten werden nun im Länderkontext gemittelt: Ein Beispiel: Ludwigsburg schneidet bei PISA sehr gut ab; Heilbronn durchschnittlich. Der Mittelwert aller Kreise und Gemeinden sowie Städte Baden- Württembergs wird nun aber zugrunde gelegt für die Beurteilung der Bedingungen schulisches Lernen in Heilbronn und allen anderen Gebieten dieses Bundeslandes. Hierbei muss es zu Verzerrungen kommen.
Umso interessanter und aufschlussreicher aber dennoch der Tenor der Studie oder besser: die Tenöre, denn es gibt mehrere folgenschwere Ergebnisse:
1. Der Süden (gedachte Nordgrenze so ungefähr von Trier bis Dresden) bietet für jedwede geistig- intellektuelle (und auch sozial-moralische) Entwicklung die besseren Möglichkeiten. Hier gibt es weitaus höhere Vereinsfrequenzen, bessere Schulen zumindest in dem Sinne, dass sie höhere Fachkompetenzen vermitteln (PISA) und mehr sowie qualitativ überlegene Hochschullehre- und forschung. Ein klassisches Nord-Süd-Gefälle tut sich da auf, wie man es bislang vor allem aus Italien zu kennen glaubte oder aus Gesamteuropa. Aber nein: Die Grenze verfestigt sich mitten im Lande!
2. Weite Teile im Norden und Nordosten des Landes sind von Bildung offenbar weitgehend abgeschnitten. Interessanterweise schneiden die südlichen der ehemals neuen Bundeslandregionen weitaus besser ab.
3. Ausgerechnet das mit 18 Millionen Einwohnern größte Bundesland, NRW, verliert weiter den Anschluss und droht vor dem Hintergrund mangelhafter Lern- und Bildungsbemühungen über kurz oder lang auch seine wirtschaftliche Potenz weiter einzubüßen. Die sehr guten Ergebnisse einzelner ländlicher Kommunen wie Coesfeld, Bonn oder Münster, fernab von den Zentren der Strukturkrise, können darüber keineswegs hinwegtäuschen.
Der Kreis, in dem ich selbst mich um das geistig-sozial- moralische Fortkommen junger Menschen bemühe und in dessen Dienste ich auch strukturelle Arbeiten leiste (offenbar nicht sehr erfolgreich), in dem außerdem zwei meiner Kinder beschult werden, sticht NRW-weit ganz besonders heraus. Zum einen nämlich gibt es hier eine enorme wirtschaftliche Kraft und eine Arbeitslosenquote unterhalb des Bayern-Durchschnitts. Der materielle Wohlstand der Menschen an der Schnittstelle zwischen den Kraftzentren Düsseldorf und Köln ist groß. Andererseits schneidet der Kreis bei besagter Studie schlecht ab! Nein, miserabel! Die Stiftung sagt ihm düstere Zeiten voraus, materiellen Abschwung, ggf. Untergang.
Nicht nur ich wirke in dieser illustren Gegend, sondern auch Heinz Hilgers, Präsident des deutschen Kinderschutzbundes. In keiner öffentlichen Veranstaltung versäumt er es, auf die skandalösen Zustände hinzuweisen: Bildungsferne auch der Mittelschicht, kaum Angebote, Wohlstandsverwahrlosung. Westerwelle sprach einmal von spätrömischer Dekadenz. Hätte er sich selbst und seinen Großindustrie-Stromkostensparverein mit einbezogen, wäre das eine soziologisch realistische Analyse des Gemeinwesens gewesen. Hier jedenfalls trifft sie meiner Beobachtung nach zu, wenn auch das Dilemma damit nur ganz vordergründig beschrieben ist. Besser: Ein Ausfluss der Quelle des Übels skizziert ist.
Was können wir lernen vom Sieger der Erhebung, dem Main-Spessart-Kreis? Gucken die da weniger RTL? Daddeln die da nicht soviel auf der Playstation? Vielleicht. Sicher ist, dass es dort bei Vollbeschäftigung und weiteren positiven Sozialindikatoren keine Universitäten gibt, keine Museen und offenbar auch keine fortwährend sich selbst reformierenden Schulen aus dem Geiste angelsächsischer Bildungsstudien. Sicher ist aber auch, dass die Provinz einen traditionellen, offenbar höchst wirksamen Familiengedanken hochhält und mir persönlich scheint dies das Entscheidende zu sein. Kinder, ganz kleine zumal, werden wenig institutionell- konzeptionell, dafür authentisch und natürlich gefördert. Sie wachsen hinein in stabile Strukturen, die emotionale und soziale Sicherheit geben- eine Position, aus der sich Selbstbewusstheit bildet sowie im Idealfall ein Gefühl der eigenen Wirksamkeit einstellt: in der Summe dem, was ich frühkindliche Bildung nenne. Ein solcherart beschriebener Zusammenhang zwischen Lernerfolg und frühkindlicher Stabilitätserfahrung geht weit hinaus über die typischen Klischees vom Proll-Migranten, der in Köln-Kalk jede Statistik verhagelt. Schön wäre es ja- dann wäre das Problem tatsächlich einzudämmen mit integrativen Maßnahmen und schulpolitischen Anpassungen. Was es aber braucht, ist ein geläutertes Kinder- und Familienbild, einen pädagogischen Paradigmenwechsel, von der Politik nicht zu verordnen, sondern bestenfalls zu begleiten und als Leitbild einer zielorientierten Gedöns- ähhh- Familienpolitik ernst zu nehmen. Weniger müßige Ablenkung, mehr aktive Hinwendung. Weniger Spielerei, mehr Spiel. Weniger Staat, weniger Ersatzeltern im Fernsehen, mehr Mütter und mehr Väter. Weniger Reformpädagogik, mehr Rousseau.
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