Prokofjew und die Sex Pistole haben die Musik auf ihren ekstatischen Höhepunkt geführt. Mozart auf den der Schönheit. Gedichtet werden muss nach Shakespeare, Goethe und Eichendorff (und Ringelnatz!) nicht mehr. Freud und nun auch sein Enkel sind tot, tiefere Abstraktionen als die des Sam Francis stehen nicht zu erwarten. Die Kulturkritiken- und geschichten sind geschrieben, die ideologischen und materiellen Schlachten geschlagen, jeglicher ökonomische Zyklus durchlebt. Messis Barcelona wird auf ewig unerreicht bleiben, besseren Wein als den Roten aus Montepulciano wird niemand mehr keltern, eine schönere Stadt als Paris niemand mehr bauen, großartigere Romane als die zeitgenössischen Helden der amerikanischen Literaturszene niemand mehr schreiben.
Religionen wurden erfunden, verworfen, erneuert. Buße wurde geleistet, Rache genommen, gespalten, versöhnt und neu begonnen. Selbst der technische Fortschritt erreichte seinen Scheitelpunkt und zwar spätestens in dem Jahr, in dem nahezu jeder kreditfähige Bürger der westlichen Hemisphäre mit Rechenkraft in der Hosentasche herumläuft, die die der Raumfahrttechnologie der 70er Jahre bei weitem übertrifft, also in 2011. Presse, Rechtsprechung, Floristik, Psychotherapie, Logistik, Film, Verwaltung, Architektur, Didaktik, Design: Überall wurde der Zenit mehr oder weniger deutlich überschritten und wer den Funktionsgraphen einer Parabel zu untersuchen versteht, weiß, dass der Keim des Untergangs in ihm stets schon vorgezeichnet ist. Die Abwärtsbewegung setzt sich in Gang mit kalter Folgerichtigkeit, denn Stillstand ist in der Mathematik nicht vorgesehen! Die 0, soviel zur Erinnerung, ist nichts als ein Buchungstrick, eine Erfindung arabischer Kaufleute. Das Nichts gibt es nicht!
Untergang steht also an. Über kurz oder lang. Und der wird stets begleitet von spät- Westerwellscher Dekadenz. Man werfe nur einmal einen Blick auf die AIDA, ins Dschungelcamp, das Entwicklungshilfeministerium, ins Bellevue oder in die ARD.
PS Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes schreiben aber dann... es hängt ja doch alles irgendwie zusammen! Ich trug mich jedenfalls seit Stunden herum mit den Plänen für eine kleine Meditation über die Frage, was George Clooney in The american eigentlich so treibt, nachdem er durch allerlei Geflirre und Gefummle die atemberaubend attraktive Gespielin vollständig entflammt hat, dann aber plötzlich abtaucht unter die Decke, er also gar nicht mehr zu sehen ist? Dafür aber in Großaufnahme das Gesicht der Partnerin, welches nun mehr und mehr Artikulationen höchster Entrückung und Verzückung (geschlossene Augen, halb geöffneter Mund, wildes Umherwerfen der prachtvollen Mähne, spitze Schreie) zeigt. Ich wollte einmal darüber nachdenken, welche männlichen Instinkte da eigentlich bedient werden, wenn die Professionelle auf ihr Honorar verzichtet in der Dankbarkeit, es nach dem täglich-öden Gerammle nun endlich einmal so richtig besorgt bekommen zu haben. Vielleicht hätte ich gar etwas zuwege gebracht über das solcherart transportierte Frauenbild. Das wäre natürlich alles viel interessanter geworden als dieses ewige kulturpessimistische Gejammere. Ich bin mir darüber völlig im Klaren und gelobe Besserung. Die Frage aber nach dem Tun des Galans, die will ich wenigstens noch kurz beantworten: Er leckt Füßchen, was sonst?
im US-Kino? Das ist doch pornographisch. Ich empfinde Ihr kulturpessimistisches Gejammere ertragreicher.
mich denn erklären.
Das US-Kino ist — soweit mir überhaupt richtig bekannt (ich kucke nämlich meistens weg, vor allem, wenn alle Welt meint, ich müsse das unbedingt sehen müssen) aus meiner Rückblick-Perspektive Hollywood derart sittenrein, daß ich das Füßchenlecken darin als Pornographie bezeichne. Vermutlich ist das Ablecken anderer Leute Füße eher ein vorspielender Akt, der aus der erotischen Literatur, zum Beispiel bei Mirabeau, der alleine nachgewiesen hat, wie wenig sich sexueller Trieb und Intellektualität einander ausschließen müssen, übernommen und in die Tiefen des ins Banale verkehrten gestoßen wurde: etwa nach dem Prinzip der Erniedrigung oder auch des Devoten. Es wird zur Metapher für Anzüglichkeit auf unterem Niveau, die ich darin zu erkennen meine. Es kommt mir so vor wie das US-typische «Unsichtbarmachen» beispielsweise von Brustwarzen durch Aufkleben von Herzelein, man mag es insofern familienfreundlich nennen, als das übersetzt meint: Gefälligst sollen alle ins Kino rennen, auf daß der Dollar rolle, Moral hin, Moral her, ob calvinistische oder katholische oder sonstwie geartetete. Ach, ich lasse es, sonst schreibe ich Ihnen noch ein Buch über meine Sichtweise der Ästhetik des US-Kinos hier hinein. Denn ich käme am Ende des Verfassens meiner Gedanken während des Schreibens noch auf die Idee, den deutschen Film in dessen Nähe zu rücken. All das könnte nicht gut ausgehen, da ich auch beim letztgenannten nahezu aunahmslos wegschaue.
Das kulturpessimistische Gejammer hat so gesehen vielmehr seine Berechtigung. Sie tun's, ich tu's, viele tun's, wir werden schon wissen, weshalb das sogenannte Positive, hinter oder unter dem ich meist ein alles mögliche übertünchendes rosarotes Monster erblicke, häufig oder meistens ausbleibt. Alleine die Kritik bietet mir in der Regel einen Erkenntnisgewinn. Da kommt dann, zumindest bei mir, eher Lust auf. Jetzt zum Beispiel darauf, diese meine Sätze bei mir einzustellen, auf daß ich mich selber mal wieder erinnere, meinen alten (gestrigen?) Gedanken während des Schreibens neue hinzuzufügen; sie gänzlich zu erneuern, das kriege ich nicht mehr hin.
Ihnen muss ich sicherlich nicht erklären, dass vor allem mein Kursives nichts anderes repräsentiert als einen kritischen Blick auf die Film- Kultur unserer Tage, wenn auch vielleicht mit weniger jämmerlichen Mitteln. Ich möchte dieses und Ihres um einen Aspekt erweitern:
Das Fiktionale des Films wird so lange aufrecht erhalten, wird so lange behauptet, bis die Diva aus dem Bette steigt. In diesem Moment nämlich ist das illusionäre Spiel aus, sie wirft sich, buchstäblich, in Schale, und zwar nicht, um sich zu verhüllen vor dem Füßchenlecker (der ja bis gerade gar noch Füßchen lecken durfte und also wohl auch einmal einen Blick riskieren dürfte), sondern vor dem Zuschauer, dessen Existenz sie sich jederzeit voll und ganz bewusst ist. Die dramaturgische Schwäche liegt exakt in diesem Mechanismus: Engagierte Hereinnahme des Zuschauers zwecks Teilhabe am fiktionalen Geschehen inkl. Schlüssellochblick (bei gleichzeitigem Leugnen weiterer Anwesender im Schlafgemach- man ist ja authentisch) - radikaler Ausschluss des Zuschauers aber dann in dem Moment, in dem zwischen Figur und Darsteller nicht mehr unterschieden werden kann. Abbruch der Identifikation! Wäre ich Regisseur- ich würde solche starken Brüche vermeiden. Wie? Zuende spielen (Ferres geht nackt zum Kühlschrank) oder bleiben lassen (Ferres sagt am Morgen, ohne Bettgeflüster am Abend: Meine Füße kitzeln immer noch).
Offenbar wird in solchen Pseudosex-Szenen aber etwas noch Bedenklicheres, nämlich eine fragwürdige Perspektive auf das Publikum. Ihm wird ein, wenn auch zumeist dramaturgisch funktionsloses, lustvolles Angebot gemacht im fiktionalen Rahmen. Dieses Angebot wird aber zurückgenommen in dem Moment, in dem die vorab entwickelte Perspektive (meinetwegen des Füßchen-Leckers) ganz andere, nämlich intime Kameraeinstellungen verlangen würde, ginge es konsequent zu. Geht es aber nicht und so sind dies regelmäßig die Momente, in denen der Zuschauer den Spiegel vor das Gesicht bekommen hält. Was er sieht: Ist ein Voyeur.