September 2011 |
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Wer, sagen wir einmal, Romanistik studiert hat, vergleichende Kulturanthropologie oder Philosophie, schiebt nicht unbedingt sofort den Taxischein hinterher! Zuerst versucht man es als Redaktionsgehilfe im Diesterweg-Verlag, im Eine-Welt-Laden oder als Assistent der Geschäftsleitung bei Gala. Schließlich ist man jung, nicht ganz ungebildet und glaubt an den Artikel eins des GG. Es muss doch da irgendwo ein Leben geben zwischen dem 8. Praktikum und der Diagnose: Rente? So lautete jedenfalls einmal die Abmachung!
Rasch realisiert die 1,0- Absolventin dann aber, dass es merkwürdigerweise Händevoll anderer geisteswissenschaftlicher 1,0- Absolventen in dieselben Warteschlangen drängt, an denen dann dieselbe Anzahl weiterer Geisteswissenschaftler, nämlich all die 3,25- Juristen und Volkswirte fröhlich winkend vorbeidefiliert (versuchen Sie mal einen 2,0- Juristen zu finden oder eine Theater- Film- und Fernsehwissenschaftlerin schlechter als 1,3!). Auf der Abiturfeier lächelte man doch noch gönnerhaft über die frühvergreisten, pickeligen Technik-Nerds, Latein-Versteher und Mathematik-LK-Langeweiler. Was ist da falsch gelaufen? Hochfahrend trat man an, für die Tradierung kultureller Werte einzustehen und sie vielleicht gar selbst ein wenig zu bereichern im Geiste Afrikas, Südeuropas, Taboris- was auch immer. Vielleicht auch spürte der ein oder andere leise, dass diese Richtungsentscheidung nicht wenig zu tun hatte mit der Notwendigkeit, eine tiefe, schmerzlich empfundene Orientierungslosigkeit zu sublimieren?
Wie auch immer: Optimistisch und idealistisch ist es vor dem Hintergrund, dass Wert und Schuldigkeit des vergeistigten Tuns immerhin die letzten 2600 Jahre überdauerten, nicht abwegig zu glauben, dass dieses auch in 5 noch so sein könnte. Dem ist, wie man sieht und weiß, nicht mehr so.
Die geistige Sphäre nämlich, und erst recht die wissenschaftlich-geistige, fristet heute eine traurige Nischenexistenz. Ihre ökonomische Relevanz hat sie nie so recht nachweisen können und musste sich jahrelang auch nicht weiter um sie scheren. Irgendwie, irgendwo gab es immer Cross-Finanzierungen, Lehrstühle, Quereinstieg, Bedarf an Generalisten. Dies ist vorbei.
Es ist keine Zeit mehr da für die emotionalen, spirituellen, kulturellen Aspekte des Seins und schon gar nicht für das Sprechen oder Forschen über sie. Stattdessen heißt es nach radikal vollzogenem Paradigmenwechsel bei Top-Twitterin und Trash- Lady Sybille Berg im 140- Zeichen- Rhythmus: "Bleibe ungefickt." Das geht dann als Tabubruch durch, signifikantes Merkmal des heutzutage akzeptierten Kulturverständnisses.
Das Diktum des FAZ- Schirrmachers, nach dem entschlüsselte Gen-Sequenzen des Menschen in ihrer endlosen c - a - g - t- Schleife relevanter für seine Zeitung seien als der aktuelle Grass- Roman, legt weiteres Zeugnis ab. Und auch sonst verschiebt sich rasendschnell schleichend die Relevanzgrenze, fernab der "Richtigkeit" all der sozial-ökonomisch-politischen Entscheidungen dieser Tage, über die kein Mensch mehr vernünftig sprechen kann: Wichtig ist, was reich macht: Eine Bank retten oder einen Staat oder ein System. Clowns toben sich bei Twitter aus, promovieren oder stellen sich, wenn sie partout nichts anderes können, eben gleich in die Warteschlange. Im Kern war das vielleicht immer schon so; heute aber in einer radikalen Ausschließlichkeit, die keine Nuancen mehr zulässt. Das Subjekt, sofern es weniger (oder mehr) ist als chemisch- materielles DNA- Forschungsfeld, stört. Wozu also noch kulturelles Sinnen? Dies spricht doch vom Menschen, meint ihn doch?
Mein klägliches Gutmenschen-Gejammere ist inspiriert von Bertolt Brechts Dreigroschenroman, in dem es um eben dasselbe geht; Werte- und Moralverlust vor dem Hintergrund des demokratisch nicht legitimierten Primats der Ökonomie. 1933 von Brecht verfasst als Bestandsaufnahme der Zeit; wahrscheinlich spürend, wohin das hinausläuft- ich nehme es jedenfalls an.
Doch zurück in die Warteschlange. Die Chance für all die bewegungslosen Über- und Fehlqualifizierten auf einen 2.200,-€- Job, so hört man immer wieder, heißt bestenfalls noch Schlüsselkompetenz. Die fragen alle nach- vom Bäckermeister bis zum Chemie-Konzern. Wer flexibel und freundlich ist, andere begeistern und motivieren kann, sich schnell und effizient einarbeitet, der findet vielleicht sogar trotz Top-Sonderpädagogik-Examens ein bescheidenes Arbeitsstellchen.
Selbst 2-Millionen-Jobs wie der Roland Kochs werden aber mittlerweile auch in allererster Linie auf der Grundlage der benannten Fähigkeiten vergeben und setzen auf gar keinen Fall zum Beispiel voraus, früher einmal einen Flughafenausbau politisch vorbereitet zu haben, den der neue Arbeitgeber nun gewinnträchtig durchführen darf. Als Vorstandschef beim Baumulti ist etwas ganz anderes gefragt: "Entscheidungsfreude, Führungsstärke..." Tja, die Misere erfasst eben so langsam auch unsere Eliten.
Layout by ichichich.