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London calling upon the zombies of death
Wie kürzlich an I´m legend fühle ich mich derzeit erinnert an einen filmischen Verwandten, nämlich an Danny Boyles 28 days later, wenn ich die vor Wut und Hass überschäumenden Menschen sehe, die marodierend durch Londons Vororte streifen, zu Gewalt und allem Weiteren bereit. Boyle entwarf seine finstere Utopie des auseinander brechenden common sense selbstverständlich mit den Mitteln des modernen Horror-Genres: er produzierte schließlich einen kommerziellen Kinofilm. Die metaphorische Filmsprache aber, die er fand, um den allgemeinen Verlust jeglicher Solidarität zwischen den Bewohnern ("Bürger" sind längst abgeschafft) sowie die uferlose Deklassierung Millionen von Menschen zu visualisieren, empfinde ich als ausgesprochen kraftvoll.

Alles zentriert


    28 days later: Der deklassierte Mob
    entert die streets of London
Boyle hätte sich 2002 wohl kaum ausgemalt, dass seine Visionen sich derart rasch an die sozialen Realitäten annähern. Aber so geht es häufiger zu, wenn weitsichtige, feinfühlende Autoren sich mit Zukunftsperspektiven befassen: Ihre Zeitgenossen wiegeln ab, verunglimpfen jegliche Projektion als "Spekulation", "Kaffeesatzleserei" oder schlicht als "Fiktion". Boyles Film ist Fiktion, sicher- was sonst? Fiktionen sind auch die Prognosen aus Brüssel zu Griechenland oder Assads Rosstäuschereien, mit denen er die Gewalt an seinem Volk legitimiert.
Und Fiktion war auch Orwells 1984; eine Zukunftsvision, die angesichts der realen Entwicklung heute geradezu altbacken wirkt; man denke nur an die Vorratsdatenspeicherung, die weitgehende Aufgabe der Privatsphäre oder auch an die Fetischisierung moderner Technik- diese Funktion übernahm bei Orwell in durchaus moderaterer Form noch die formatisierte Einheitsreligion.

Der ideelle Kern des Films jedenfalls nimmt offenbar auch außerhalb der kreativ (Jean Stubenzweig wird mir diese Sprachwurst sicherlich verzeihen) gestalteten Welt eine überaus konkrete Gestalt an- das kann man gar nicht anders sagen. Die Bilder ähneln sich bis ins Detail.
Bei Boyle verursacht ein Virus die Malaise. Das Virus diesmal springt nicht über vom Schimpansen auf den Tierschützer und von dem in Windeseile auf alle anderen. Wie im Film aber scheint es wenig greifbar zu sein. Sein genetischer Code ist nicht entschlüsselt. Diejenigen, die das leisten könnten, zeigen wenig Neigung; zu sehr profitieren sie von den herrschenden Zuständen. Und so ist es wie immer: Es wird spekuliert, manipuliert, agitiert.
Als Beispiel dieses Konglomerat eines verirrten Sportlehrers. Tausende Seiten, Blogs und Foren aus dem rechten Meinungsspektrum (meinen ist ja immer so einfach. Selbst Donald Duck hat Meinungen) sind hier versammelt, in dem die Londoner Anarchiebestrebungen wie quasi jedes andere sozial-ökonomische Problem auch mit islamischer Migration, grün-sozialistischem Integrationsfaschismus und Gutmenschentum (ach Gottchen!) der urbanen, natürlich linken Bohéme-Romantiker erklärt wird und mit sonst: genau- gar nichts!

Der geistlose Furor, mit dem hier völlig einseitig losgeprügelt wird, erschreckt jeden, der auf feinere Sitten und Differenzierung angewiesen ist. Aber ach: Das Ding ist in der Welt und wird millionenfach geklickt, nicht zuletzt der stern-medialen Aufmerksamkeit wegen, die man ihm in umfänglichen Artikeln und Kommentaren bietet. Na ja- so funktionieren unsere Qualitätsmedien nun mal. Das Infame an den Auftritten ist auch weniger die häufig gar fundierte, durch starke Stimmen wie die der Publizisten R. Giordano ("... so lange hat Sarrazin Recht!") oder H. Broder gestützte Sachposition. Wirklich skandalös ist es ja auch tatsächlich, dass RTL die Aussage des Vaters des von der Polizei Erschossenen "Die Ausschreitungen können wir nicht verurteilen" eindeutscht in "Die Ausschreitungen können wir nicht unterstützen" (wahrscheinlich spricht man bei RTL einfach außer Kölsch sonst wenig Fremdsprachen). Und sicherlich lügen ARD und ZDF, wenn sie gebetsmühlenartig von Ausschreitungen "Jugendlicher" schwadronieren; so, als ob unreifer Übermut und Lust auf Keilerei im Schwange wären und nicht gründlich motivierte, handfeste Massenproteste vorwiegend junger Männer, wie die dann gesendeten Bilder deutlich zeigen.
Nein, infam auf diesen lieblosen, humor- und geistfreien Seiten ist die Diffamierung der anderen Position, die Herabwürdigung des politischen Gegners, die Verweigerung jeglicher Dialektik und natürlich die stets virulente, wenn auch selten offen hervortretende Verächtlichmachung hunderttausender muslimischer Europäer. Es war ja schon immer so: Die Rechte fühlt sich heimisch, wo es triebhaft- sumpfig zugeht; helle ist man nicht so sehr.

Wohltuend da wie beinahe immer Albrecht Müller auf seinen Nachdenkseiten. Wohltuend, weil hier eine rational- historisch- soziologisch- politische und vor allem systemische Analyse der Londoner Verhältnisse aus dem Ungeiste des Thatcherismus angeboten wird.
Man muss auch das nicht im Detail mögen, sicherlich nicht. Man sollte es aber zur Kenntnis nehmen und verstehen. Die Vermutung, dass Privatisierung etlicher Lebensbereiche sowie radikale soziale Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile ursächlich sind für den aktuellen Zorn der Massen, erscheint tatsächlich nicht so abwegig in einer Stadt, die aufgrund lächerlich hoher Preise nur noch für Glücksritter jeglicher Coleur bewohnt und bezahlt werden kann- jedenfalls in bedeutenden Teilen. Zentral-London wird bereits, wie man hört, gar nicht mehr bewohnt, sondern nur noch "bearbeitet".

Am Verständnis aber gerade hapert es so oft! Vor allem natürlich auch dortselbst. Wie sonst ist zu erklären, dass die Londoner Stadtväter als Olympia-Hymne ausgerechnet den London-Hasssong London calling von The Clash auswählten, in dem gleichsam Boylsche Wut-Zombies die Stadt entern- eines fernen Tages? 2011? Vielleicht zu Olympia?
jagothello am 10. August 11  |  Permalink  |  6 Kommentare  |  kommentieren




jean stubenzweig am 10.Aug 11  |  Permalink
Nichts zu verzeihen
gibt es da. Kreativ befindet sich schließlich dort, wo es hingehört.

Auch sonst schließe ich mich an und danke für die treffenden Worte. Ergänzend möchte ich an 2005 erinnern, dem Jahr, in dem Nicolas Sarkozy es schaffte, eine deutsche Maschine in die französische Sprache zu integrieren, während der bessergestellte Ungarnstämmige es ansonsten nicht so mit der Integration hat, jedenfalls nicht mit den nach unten Durchgereichten, sondern er dieses ganze Kroppzeugs lieber wegkarchern würde. Das, was in England gerade geschieht, gab es auf dem Kontinent bereits: Sogenannt konservative Politiker gerieren sich liberal und gewähren großzügig denjenigen die Staatsbürgerschaft, die sie in den Kolonien geschlagen, getreten und ausgeplündert haben. Und es ist ihnen offensichtlich völlig egal, was aus den Nachgeborenen wird.

Mich wundert, daß es in den Niederlanden noch nicht gekracht hat. Auch die haben schließlich ihre politisch inkorrekte oder zunehmend als korrekt anerkannte politisch schwerwiegende Szenerie.
«[...] auf der Haut, von Kleidern mit passendem Schnitt, von einem Beefsteak statt Sardinen, von Filmen, die kein verlogenes Bild einer Vergangenheit, sondern ein ehrliches Bild der Gegenwart lieferten, von einer Welt ohne Gewalt und rassistisch begründetem Abscheu. Auf dem Lyceum wurden wir buchstäblich getriezt für die Reise in die andere Welt. Uns wäre nicht im Traum eingefallen, bei unserem Charles, dem Vaterland Surinam, zu bleiben.[...]»
(Anil Ramdas: Madame Bovary)

Nachtrag: Vom geplanten Einsatz von Wasserwerfern höre ich gerade in den Nachrichten. Von diesen Gerätschaften sprach heute früh ein führender deutscher Polizeifunktionär, man wisse in England sehr wohl, weshalb man die nicht einsetze, denn das seien schließlich Waffen – auf der Insel Water Weapons genannt. An deutschen ... genesen und so.

jagothello am 10.Aug 11  |  Permalink
Liebe aber doch auch?
Selbstverständlich ist das auch ein kontinentales Problem- ein Traditionsproblem, sozusagen. Die sog. 1.- Mai-Demonstrationen in Berlin stehen in diesem Kontext und auch die Unruhen in den Pariser Trabentenstädten 2005 & 2007. Wenn es mal nur nicht weitaus rauher wird anno 2011 zwischen Athen und Lissabon, Madrid und London. Gründe genügend für flächendeckendes Aufbegehren könnte es auch in Italien geben, wohin es mich in Kürze verschlägt- wenn auch eher ins Ländliche. Vielleicht finde ich dort Gelegenheit, die "Langeweile-Enttäuschung"- Hypothese zur Madame B. unter die Lupe zu nehmen.

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jagothello am 11.Aug 11  |  Permalink
Tagesthemen
Postscriptum: Dreimal beharrte der Tagesthemenbericht vom 10.08. auf der Version "jugendliche Horden". Da kämpft ein Korrespondent um sein Weltbild, da spürt zumindest der bedarftere Zuseher den Manipulationsauftrag.

jean stubenzweig am 11.Aug 11  |  Permalink
Seither
höre und sehe ich ständig nicht nur öffentlich-rechtlich, man müsse nach den Ursachen suchen, wobei das Schwergewicht dieser Willenskundgebungen in der Forderung gelagert ist, solche Gewalt in Zukunft zu verhindern. Jetzt Arbeitsplätze bei der Polizei zu vernichten, das ginge dann doch wohl zu weit. Also: Erstmal alle in den Knast, die ersten sind bereits verurteilt. Ursachenforschung? In Frankreich hat sich seit 2005 und auch nach 2007 nichts geändert. Zweifel am Willen, solche extremen sozialen Unterschiede zu nivellieren, dürfen angemeldet werden. Also wird auch in England alles bleiben wie's ist. Von Water Weapons und Gummigeschossen abgesehen. Und da wundern sich die meisten über Randale. Klar gibt's die, und schrecklich ist sie auch. Aber davon zu reden, die Jugend wisse nicht mehr, was «Sitte und Anstand» sei, das stellt mir dann doch die Zehennägel auf. Wer hat sie das je gelehrt? Und was wäre das? Weitere Kürzungen der Sozialetats zugunsten aller erdenklichen Rettungsschirme? Irgendwie komme ich in Italien an, wo beispielsweise französische Banken das meiste Geld stecken haben, vor allem aber beim dortigen Präsidenten, der via seiner Tanzmädchenmedien einem Großteil seines Volkes jedwede Kritikfähigkeit weggezüchtet hat. In was die britische Finanzwelt überwiegend investiert hat, ist mir gerade nicht geläufig.

jagothello am 11.Aug 11  |  Permalink
AAA? AA+?
Tja, Ursachenforschung! Vor ein paar Wochen noch hielt man AAA für eine Batteriegröße und dachte, eine Rating-Agentur würde Weine bepunkten. Man dachte freilich auch, der amerikanische Präsident, der britische Premier, die deutsche Kanzlerin seien mächtige, gestaltungsfähige Leute und keine Hampelmännchen- und frauchen der globalen Finanzindustrie. Es zeigt sich einmal mehr ganz deutlich, dass es ohne Werte (und damit meine ich keine der Finanzen!) einfach nicht geht und wer anderes sollte die in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Interaktion tragen als die Politik? Sie muss zu ihrem Primat zurückfinden und den Partikular-Lobbyisten jeglicher Provenienz die rote Karte zeigen. Kurzum: Sie muss sich zurückgraben zu ihren demokratischen Wurzeln! Allerdings wäre ein aktiveres, engagiertes Bürgertum hilfreich, welches entsprechende Anstöße gibt und, ja, auch Zwang ausübt. Stuttgart 21 zeigt, was bewirkt werden kann (und muss). Die weitverbreitete Gleichmut jeglicher öffentlichen Fragestellung gegenüber, die so häufig zu beobachten ist bei gar zu vielen, wenn sie nicht unmittelbar betroffen sind, zeigt deutlich die Unsouveränität des Souveräns.

einemaria am 17.Aug 11  |  Permalink
Wunderschön
dieser Bezug zu den kleinen Batterien. Und das Zurückgraben zu den Wurzel, blinder als ein Maulwurf. Aber in Italien? Die spielen gerne Theater, das hat aber hinten raus kein verwertbares Ergebnis, sondern man geht nach dem Schlußakt einfach nachhause und macht weiter wie bisher.

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