Von Tankern, Kardinälen und Würmern
Was eigentlich ist es wert, besprochen, berichtet, kommentiert zu werden? Eine heikle Frage scheint das zu sein; kein Konsens, nirgends. Überall scheint da Ratlosigkeit zu herrschen. Glücklicherweise hat sich immerhin schon einmal die Position durchgesetzt, dass die ewige, verkrampfte Suche nach headlines aus dem Segment "Politik" ebendies ist: verkrampft, unsexy, dröge. Doch was tritt an ihre Stelle? Welches Ressort stößt in die Lücke und nutzt die Identitätskrise des politischen Korrespondententums? Ein Flickenteppich natürlich, ein Kessel Buntes, die Panorama-Seite.
Die Printausgabe meiner Tageszeitung, nichts weniger als Leitmedium der heimatgebenden Millionenstadt, fand es heute am notwendigsten, über das Schicksal eines gekenterten Tankers auf dem Rhein aufzuklären und zwar inklusive großformatigem "Oh-Mann"- Foto, das natürlich bestenfalls illustrierende Funktion hatte, keineswegs informierende. Hier und da verstreut noch kleine Texthäppchen zum empathischen Barack O., einem an Schweinegrippe erkranktem FC-Profi und weiterem Zeugs dieser Sorte. Angenehm: Man hat das alles ruckzuck vertilgt und verdaut, so nach 4 Minuten.
Es handelt sich übrigens um eine Zeitung, deren journalistischer Anspruch noch 1990 nur im Rahmen einer dezidierten Sechsspaltigkeit umzusetzen war bei selbstredend weitaus kleinerer Typographie. Wie weiland die FAZ schwor man auf den kategorischen Verzicht eines irgendwie anrüchigen Einsatzes suggestiven Bildmaterials, zumindest auf der geheiligten Seite 1. Später gab es dann vielleicht einmal ein s/w-Bildchen von Kohl mit Gorbi am Teich, oder so. Unleserlich zwar das alles aber der "Content", wie das heute heißt, duldete keine Zugeständnisse an die billigen Komfortbedürfnisse der Leserschaft. Wem das nicht passte, empfahl man die BILD-Zeitung. Punkt.
Ja, so bemerkenswert, so exotisch, so absurd offenbar erscheint den Heutigen aber nun dieses Layout, dass man ein entsprechendes Exemplar im Kuriositätenkabinett des Hauses der deutschen Geschichte zu Bonn besichtigen kann. Richtig besichtigen. Hinter Glas in einer Vitrine, museal aufbereitet. Da staunt er, der Fachmann und der Laie wundert sich.
Dieselbe Zeitung kommt nun (wie beneide ich die Bayern für ihr universell einsetzbares "heuer", das ähnlich wie das frz. "voilá" eigentlich immer passt- aus ästhetischen Gründen muss ich aber verzichten und kann wieder nur "nun" schreiben. Ich meine aber "heuer") auf Seite 1 gerne auch mit Neuem aus der Diözese; heute: Der Ex-Papst wird heilig gesprochen. Vorgestern: Der Kardinal macht eine Audienz des aktuellen Dreigestirns (!) beim Jetzt-Papst klar. Heute außerdem in der online-Ausgabe: Eine rückwärts laufende Uhr, noch so und so lang bis Wieverfastelovend (!), sprich: karnevalistischem Brauchtums-Anstoß- neben Kirche, K(ölner)V(erkehrs)B(etriebe) und Kneipenkultur das vierte große K-Thema der hiesigen Presselandschaft.
Auch die Tagesschau tut mit beim Zelebrieren des Belanglosen. Barroso will mehr Geld, ein Bayern-Banker unterschlägt 50 Millionen, ein deutsches Madel gewinnt eine Medaille, weil sie am besten Skilaufen und dabei schießen kann, die Lottozahlen. Wozu gibt´s eigentlich Teletext und Internet? Schön auch die ZDF-Endlosschleife, was der Bürger, dies statistisch durchleuchtete Wesen, DENKT, wer gewinnt, verliert und es versuchen sollte. Also: Wie die ANDEREN wohl wählen? Ja, das wollen wir wohl wissen; was denken andere, wie wir denken!
Ich habe es da zugegebenermaßen leichter. Ich schreibe und rede einfach so vor mich hin und schere mich nicht um Relevanz und um einen Auftrag schon gar nicht. Den Auftrag allerdings, ja, mein Gott- den habe ich ja auch nicht! Und bezahlt, sagen wir mal mit 17,98 € im Monat von jedem, der einen Computer bedienen bzw. ihn besitzen KÖNNTE, werde ich schon gar nicht.
Als unbezahlter Laie fühle ich mich auch eh viel wohler- so bleib ich´s denn. Ich gebe aber aus meinem Glashaus gerne den frommen Laienratschlag, die RTLisierung des Pressewesens zu stoppen, umzukehren, sich zu besinnen. Diejenigen mit Hausverbot zu bestrafen, die die alte Thoma-Evangelium beten: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Die Menschen nämlich hassen Würmer, zumindest auf Dauer. Und bekömmlich sind sie auch nicht.
PS Und gerade heute morgen lese ich in eben jener Zeitung einen Jubiläumsartikel über Wikipedia. Dort tobt eine handfeste Auseinandersetzung um dieselbe Frage: Was ist relevant? Die "Deletionisten" sagen: Es gibt Standards: Relevanz liegt bei einem potenziellen, breiten, nicht nur lokal oder regional begrenzten Interesse vor. Was zu diesem Standard nicht passt, gehört gelöscht. Die "Inklusionisten" verweisen darauf, dass Wikipedia ohne die Begrenzungen des Mediums "Papier" funktioniere und insofern nichts gegen eine Relevanzentscheidung des einzelnen spräche.
Zeitungen funktionieren aber anders. Der Inklusionist gibt´s ja zu. Sie braucht eine kompetente, tagesaktuell arbeitende Redaktion und nicht nur die Abstimmung mit den Füßen.
der Stadtanzeiger immer vor wie ein Provinzblättchen. Die kölnische Zeitungslandschaft ohnehin. Nun ja, Hamburg sowie andere Städte sind auch nicht besser dran mit Tageszeitungen. (Bei der Gelegenheit: Was ist eigentlich aus dem mir immer etwas symathischeren kleineren Blatt geworden? Daß es ebenfalls vollends dem Konzern zugeschlagen wurde, ist mir bekannt. Aber existiert es überhaupt noch?)
Bei Wikipedia werde ich an
Im Innern des Weltwissens erinnert, das im April 2010 erschien.
Ich gehe davon aus, daß die RTLisierung der Medien nicht mehr zu stoppen ist. Der Mensch sehnt sich nach unbelasteter Lektüre, er möchte ohnehin lieber Bildchen und unter Röcke, nicht in Gehirne kucken. Wie zu Zeiten der Armenbibel. Da konnte ja auch nur die Elite lesen. Das Internet ist zwar auch schlimm, aber mit ein wenig Geduld findet man darin doch einige Rosinen.
Meinen Sie mit "kleiner" etwa die Kölnische Rundschau? Die kann ja insofern auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken, als dass Karl Marx ein Gründungsredakteur war. Davon zehrt man bis heute, soweit ich weiß. Ich weiß da aber nicht sonderlich viel- irgendwie ist das ein abwegiges Blatt, von mir jedenfalls weitgehend ignoriert. Dem Konzern zugeschlagen? Das wäre mir neu, es mag aber sein, denn DuMont ist eine Krake. Die FR hat er sich jüngst noch einverleibt.
meine ich. Aber vielleicht habe ich mich mit «sympathischere» auch ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt – denn letztlich kenne ich das Blättchen auch nur vom Überfliegen. Fest scheint mir zu stehen, daß der Verlag das Sagen übernommen hat, um einiges früher als bei FR und anderen Zeitungen wie etwa der Berliner, die mit der Frankfurter, dem Stadt-Anzeiger und der Mitteldeutschen die «DuMont-Redaktionsgemeinschaft» bildet.