archaisch, repressiv, rückständig
Der 17-Jährige Schüler in China steht um 6 auf, um pünktlich in der Schule zu sein. Vorher muss er sich selbstredend durch seine Heimat-Megapolis kämpfen. Der Ganztagesbetrieb endet um 4. Nun werden Nachhilfekurse absolviert, die seine alleinerziehende Mutter finanziert und zwar von ihrem Monatsgehalt in Höhe von 270,-€, das sie als Kindergärtnerin erhält. Eine Stunde kostet 23,-€. Um 8 kommt der Adoleszent nach Hause und begibt sich schnurstracks an die Hausaufgaben, damit sie bis 0.00 Uhr erledigt sind, denn: Der Mensch braucht seinen Schlaf.
Erzählt wird hiervon in der "bürgerlich-liberalen" Zeitung und zwar in einem mehr und mehr bildungsideologisch aufgeladenen Kontext, in dem sich rückwärtsgewandte Stimmen immer stärker durchsetzen, z.B. noch einen Tag zuvor, an dem ein ominöser "Pädagoge"- offenkundig kein Praktiker- zu Protokoll gibt: "Das Gymnasium: Eine Schulform mit der größten Verheißung, für die es zu arbeiten gilt." Nachmittags, so lesen wir da weiter, drohe eh nur der allgegenwärtige Trash, dem man sich am besten in asketischer Arbeit entziehe- oder so ähnlich.
Was beklagt sich die Jugend eigentlich über G-8, über schulischen Ganztag, über überfrachtete Lehrpläne und über die 50-Stunden-Woche? Wie gut geht´s euch denn, ihr Weicheier? Guckt nach China- dort erwächst auf der Grundlage knallharter Disziplin und Auslese die Gefahr für euren künftigen Wohlstand- nehmt die Herausforderung an! So ungefähr der Tenor.
Ekelhaft! Ein derart unterentwickeltes Gesellschaftssystem als Assoziationsmodell für gestresste und oft genug überforderte Familien anzubieten, statt zu kennzeichnen als das, was es ist: archaisch, repressiv, rückständig.
daß genau das hier (europaweit?) mittlerweile unter Bildung verstanden wird? Wenn auch unter dem Aspekt: «Wir retten das Bruttolsozialprodukt.» Auf repressiv und letztendlich rückständig läuft das allerdings auch hinaus – auch wenn es sich Fortschritt nennt.
ist es, Bildung nur noch nach dem zu definieren, was wirtschaftlich gerade opportun zu sein scheint. Sie haben natürlich Recht- solches geschieht ja gerade überall. Die gleichsam stalinistischen Methoden aber, mit denen, zumindest wenn man dem SPIEGEL glauben darf, offenbar die Fließbänder in den chinesischen Fabriken organisiert werden, in den Bildungssektor zu tragen, erscheint mir völlig paradox zu sein. So nach der klassischen Watzlawickschen Doppelbindung: "Sei jetzt auf der Stelle kreativ, sonst..." Kreativität und Zwang schließen sich aber aus und so ist es auch mit (echtem) Lernerfolg und Drill. Keine Ahnung, wer oder was da gezüchtet wird; "Gebildete" sind´s wohl nicht.