Denken können
Im Wintersemester 1992/1993 zwang mich der Fachbereichsleiter "Pädagogische Psychologie" der philosophischen Fakultät der Universität Köln zu zweierlei (mein Examen stand an!): Zum einen sollte ich herausfinden, wie kreative Menschen kreativ werden und kreativ wurden, sofern sie es denn aktuell wären. Zum anderen war ein Intelligenztest abzulegen und zwar ein solcher, den besagter Professor just ins Konkurrenzrennen geworfen hatte gegen all die Elaborate aus den USA und jetzt also "evaluieren", sprich: testen wollte.
Anders als bei Gage, Guilford und den anderen Kognitionspäpsten aus Übersee sollte dieser Test die kulturabhängigen Parameter hinwegfegen: "Und was, Mr. Guilford, wenn Sie im Amazonasbecken testen, wo die Menschen mit rechtwinkligen Vertikalen und Horizontalen nichts anfangen können? Wo es andere syntaktische und semantische Konventionen gibt?" So der plausible Einwand gegen die Verfahren, auf deren Grundlage Behörden und Betriebe allerorten Sozialchancen verteilten und außerdem: So ein C-4- Professor musste natürlich schon ab und an einmal das Rad neu erfinden.
Ersteres, also die Forschung, missriet mir dann jedenfalls so ziemlich und letzteres, also der Test, erst recht- zu ihm gleich.
Aufgrund meiner studienbegleitenden, mit vielen Hoffnungen und Wünschen verknüpften Tätigkeit bei einer großen hiesigen Fernsehanstalt schien es mir sinnig und stimmig, all die Producer, Art Directors, Layouter, Formatentwickler und Entscheider- also all die professionell Kreativen zu befragen: Wer oder was gibt dir all die brillanten Ideen ein? Wie kommst du auf diese grandiose Nuance der Farbgestaltung in diesem Logo, in jenem Piktogramm? Aus welchen Quellen speist sich deine Inspiration, die dir Festanstellung, 14. Jahresgehalt und Überschussbeteiligung sichert?
Wohl ganz falsch gefragt, denn rasch stellte sich heraus: Die Menschen außerhalb des Lehrbetriebs scheuen die Metaebene und die kreativen unter ihnen sowieso. Man hat wichtigeres zu tun. Rücklaufquote der Fragebögen: Mau! Und je höher der senderinterne Rang, desto mauer. Gelernt habe ich bei dieser Gelegenheit immerhin, wie gnadenlos steil hierarchisiert ein privater Fernsehsender strukturiert ist. Es war mir so gut wie unmöglich, zum Posteingangskorb federführender Redakteure & Moderatoren vorzudringen (naiv genug, hier Kreativität zu erwarten; heute weiß ich das ja auch!). Mit guten Tipps aus der Kantine gelang das dann zwar noch aber wahrscheinlich wanderte der so sorgsam ausgearbeitete und liebevoll erstellte Fragebogen ("von weeeem ist das denn? Hä? Geht`s noch?") noch zügiger im Mülleimer als die täglichen Bewerbungen um einen Praktikumsplatz.
Subalterne aber gibt es glücklicherweise überall und so konnte Einiges dann doch noch ausgewertet werden. Die Ergebnisse waren, na ja- irgendwie enttäuschend. Kreativität schien viel zu tun zu haben mit Erfahrung und bestimmten Denkmustern a lá: aktuelles TV-Layout ist horizontal ausgerichtet; Signalfarbe für den Informationsbereich ist blau oder orange oder am besten eine Kombination aus beidem usw. usf. Ich vorurteilsbehafteter Pseudowissenschaftler hatte den Eindruck gewonnen, dass da wenig Inspiration im Spiel war, wenig Leidenschaft und Spontanität. Die Jagd auf den göttlichen Funken versandete im intellektuellen Nichts des Alltagsgeschäfts der Unterhaltungsmaschinerie. Bestenfalls wurden da offenbar Studieninhalte exekutiert.
Mein Professor hatte das vorausgesehen und war dennoch recht glücklich über das Projekt. Endlich einmal keine langweilige Text-Recherchearbeit mit den immer gleichen Ergebnissen. Um den Test kam ich dennoch nicht herum- gerade jetzt nicht. Seine zugrunde liegende Maxime: Intelligenz ist die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung. Diese meine Fähigkeit musste ich nun am PC (damals galt das noch als quasi revolutionär) unter Beweis stellen und zwar mithilfe einer Art des Tetris-Spiels auf Niveau 1. Niveau 1 jedenfalls dann, wenn ich als Maßstab mein Ipod-App "Tetris" nehme- na ja, das ist von 2010- vielleicht schicke ich dem guten Emeritus mal einen Link.
Tetris jedenfalls konnte ich noch nie so gut und ich habe dem Professor gegenüber auch darauf verzichtet, anzumerken, dass Problemlösefähigkeit solcherart durchaus abhängt von kultureller Überlieferung, von Training und Gewohnheit und dass der zugrunde liegende Begriff von Kreativität recht eindimensional daherkommt. Von der gänzlich ungewohnten Computerumgebung mal ganz zu schweigen. Mein Ergebnis war so oder so unterirdisch ("Sie müssen wissen: Das ist problematisch!") und ich bin bei aller Testskepsis doch froh, dass es auch 20 Jahre danach noch Testverfahren gibt, die nicht derart einseitig Tischler, bildende Künstler oder Architekten bevorteilen und Amazonasindianer wie mich betröppelt im Regen stehen lassen! Wenn sich aber intelligentes Verhalten nun dennoch nur im gedanklichen Manipulieren von dreidimensionalen Objekten äußern sollte, muss sich wenigstens kein Mensch mehr wundern über all das irrationale Tun, das uns Tag für Tag an den Rand des Abgrunds bringt. Unintelligent jedenfalls müsste es dann noch lang nicht sein!
jagothello am 16. Oktober 10
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