Ich kann, also bin ich
"Ich denke, also bin ich" oder "Ich weiß, also bin ich" war gestern. Heutzutage "kann" man, oder man "kann" eben nicht. Dieser pädagogische Paradigmenwechsel zeigt sich für die Schule in den Kernlehrplänen der Fächer, die allesamt "kompetenzorientiert" sind. Das Kind weist Fähigkeiten nach, kein Wissen. Dem entspricht schon die Orientierung an Operatoren: Die Schüler und Schülerinnen "erläutern", "stellen dar", "analysieren", "bewerten" nach feststehenden rhetorischen Mustern. Die haben erstmal nichts zu tun mit dem Sachgegenstand, sondern müssen für sich selbst vermittelt werden. Das Wort "Umgang" ist der wohl am meisten gebrauchte Begriff in den offiziellen Lehrplänen: Umgang mit Texten, mit Sprache, mit Werkzeugen aller Art (Grammatik, geometrisch-dynamische Software, Quellen, Tabellen und und und), mit Mitschülerinnen und Lehrern. Der Unterricht muss hierauf Rücksicht nehmen. Obligatorisch etwa für Prüfungen von Revisionskandidaten oder Lehramtsanwärterinnen sind Unterrichtsverfahren, die in relevanten Kompetenzbereichen trainieren. Die Kompetenz "darstellen" floss im diesjährlichen Abitur DEUTSCH zu sage und schreibe 28% in die Gesamtnote ein. Die Kompetenzen "Texterschließen", "Untersuchen" und "Prüfen" zu ca. 65%. Wer dergleiche rhetorischen Strategien beherrscht, kann unvorbereitet das Deutsch-Abitur mit "Sehr gut" bestehen, jedenfalls das Schriftliche. Das Material, auf das sie sich dann beziehen, wird ja zur Verfügung gestellt. KENNTNISSE zu Autoren, Gattungen, Epochen, zu semantischen Qualitäten (was man mal "Stil" nannte) braucht es nicht, jedenfalls nicht für den schulischen Erfolg. Ich gebe gerne zu, dass sie wohl auch nicht schaden! Natürlich ändert sich vor diesem Hintergrund auch der Unterricht; "ökonomisiert" sich zu utilitaristischen Zwecken. Nicht "verstehen" wollen wir Faust, sondern seine jambische Sprache analysieren. So kommt Schule dann tatsächlich in der Mitte einer nach Nützlichkeit, Verwertbarkeit und natürlich Konsumierbarkeit fragenden Gesellschaft an. Wir kratzen an der Oberfläche, das aber gekonnt!
... was Sie da schreiben. Aber warum sollte die Schule besser sein als die Gesellschaft, die sie umgibt?
nicht bereits seit längerer Zeit statt? Man hört und liest doch seit langem die Ergebnisse solcher Schulung.
steht die Bertelsmann-Stiftung, massiv Einfluss zu nehmen auf die schulischen Lehrpläne und zwar auf der Grundlage eines sehr speziellen Bildungsbegriffs. Ich habe ihn oben als "utilitaristisch" bezeichnet. Es geht um die Erziehung einer Schülerschaft, die ein "liberal-ökonomisches" System trägt; nicht etwa weiter trägt. In NRW zeigen sich solche Tendenzen in den seit 4 Jahren abzulegenen Zentralen Abschlussprüfungen in Deutsch, Englisch und Mathematik. Vordergründig geht´s um die Nivellierung von Qualitätsunterschieden zwischen den Schulen. In Wahrheit geht es aber, übrigens bei einem fachlichen Niveau, das weit unterhalb dessen liegt, was vorher in diesen Fächern nach Stufe 10 obligatorisch war, darum, zu sichern, dass wirtschaftsaffine Fähigkeiten und Kompetenzen auf Schülerseite sichergestellt werden. Analog gilt das auch für die zentralen Abiturprüfungen.
Das ist auch alles erstmal gar nicht so falsch; heimlich, still und leise wird aber gesellschaftsweit ein durchaus fragwürdiger Bildungsbegriff implementiert und zwar ohne jede Mitbestimmungsmöglichkeit seitens der Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft, gesteuert von ökonomischen Interessengruppen. Keine Demokratie, nirgends. Bezeichnend: Die ehemalige Bildungsministerin Sommer hatte in diesem Zusammenhang Sprachregelungen für Lehrer erlassen und etwa kritische Äußerungen in der Presse verboten.
Aber nochmal ganz direkt auf Ihre Frage: Die neuen, oben geschilderten Tendenzen verstehen sich ausdrücklich als Antwort auf die PISA- Studie- die nominellen Ergebnisse der Jugendlichen werden sich verbessern und haben sich auch schon verbessert. Das ist ein politisch erwünschter Effekt und hängt natürlich zusammen mit einem niedrigeren Anspruchsniveau und v.a. größerer Transparenz via verbindlicher Standards. Und dies zumindest ist ausgesprochen begrüßenswert.
Als ehemaliger DDR Bürger hatte ich inn der Schule kurz nach der Wende eine erste Begegnung mit einem Bertelsmann Vertreter in unserer Schule. Abgesehen davon, dass er uns eine Ansprache von Hitler in Originalton aus seinem Lexikon vorspielte war er ein Flachwixer. Er kam später noch zu jedem Schüler nach Hause, um die Lexika vorzustellen. Ist aber sehr schnell wieder gegangen worden. Wäre die BRD jetzt DDR hätten wir vieles nicht, aber eben auch kein solches Bildungs"niveau."
... jedenfalls nicht nur. Man muss schon sehen, dass es nach 1989 diverse unerfreuliche Entwicklungen gab in D, die allesamt nicht bildungsförderlich gewesen sind. Denken Sie nur an die Liberalisierung des Fernsehmarktes, die zu regelrechten Anti-Bildungsexzessen führte. Das Freizeitverhalten der Jugendlichen, die in den 40er, 50er und 60er Jahren geboren sind, war schon gezwungenermaßen bildungsfreundlicher. Es gab schlicht nicht so derart extreme Volksverdummungsmechanismen wie heute. Es gab sie- keine Frage, aber eben nicht in solch ausgefeimter Perfektion und Attraktivität. Eine Tendenz, die anhält und zunimmt.