Geliebte Tochter
Ein mich ungemein packendes, berührendes Bild:
Gerhard Richters "Betty" Das 12-jährige Kind-Mädchen entzieht sich dem liebevollen, unendlich zärtlichen Blick und wendet sich ab, denn er überfordert sie. Zumindest nun und fortan immer öfter. Das ist keineswegs kindliche Scheu. Hier ist kein flüchtiger Augenblick eingefangen. Das ist eine fundamentale Distanz, die weiter wachsen wird, ein durch nichts und niemand zu überbrückendes, schmerzliches Fremdeln, gemalte Vater-Tochter- Anthropologie.
Von Tankern, Kardinälen und Würmern
Was eigentlich ist es wert, besprochen, berichtet, kommentiert zu werden? Eine heikle Frage scheint das zu sein; kein Konsens, nirgends. Überall scheint da Ratlosigkeit zu herrschen. Glücklicherweise hat sich immerhin schon einmal die Position durchgesetzt, dass die ewige, verkrampfte Suche nach headlines aus dem Segment "Politik" ebendies ist: verkrampft, unsexy, dröge. Doch was tritt an ihre Stelle? Welches Ressort stößt in die Lücke und nutzt die Identitätskrise des politischen Korrespondententums? Ein Flickenteppich natürlich, ein Kessel Buntes, die Panorama-Seite.
Die Printausgabe meiner Tageszeitung, nichts weniger als Leitmedium der heimatgebenden Millionenstadt, fand es heute am notwendigsten, über das Schicksal eines gekenterten Tankers auf dem Rhein aufzuklären und zwar inklusive großformatigem "Oh-Mann"- Foto, das natürlich bestenfalls illustrierende Funktion hatte, keineswegs informierende. Hier und da verstreut noch kleine Texthäppchen zum empathischen Barack O., einem an Schweinegrippe erkranktem FC-Profi und weiterem Zeugs dieser Sorte. Angenehm: Man hat das alles ruckzuck vertilgt und verdaut, so nach 4 Minuten.
Es handelt sich übrigens um eine Zeitung, deren journalistischer Anspruch noch 1990 nur im Rahmen einer dezidierten Sechsspaltigkeit umzusetzen war bei selbstredend weitaus kleinerer Typographie. Wie weiland die FAZ schwor man auf den kategorischen Verzicht eines irgendwie anrüchigen Einsatzes suggestiven Bildmaterials, zumindest auf der geheiligten Seite 1. Später gab es dann vielleicht einmal ein s/w-Bildchen von Kohl mit Gorbi am Teich, oder so. Unleserlich zwar das alles aber der "Content", wie das heute heißt, duldete keine Zugeständnisse an die billigen Komfortbedürfnisse der Leserschaft. Wem das nicht passte, empfahl man die BILD-Zeitung. Punkt.
Ja, so bemerkenswert, so exotisch, so absurd offenbar erscheint den Heutigen aber nun dieses Layout, dass man ein entsprechendes Exemplar im Kuriositätenkabinett des Hauses der deutschen Geschichte zu Bonn besichtigen kann. Richtig besichtigen. Hinter Glas in einer Vitrine, museal aufbereitet. Da staunt er, der Fachmann und der Laie wundert sich.
Dieselbe Zeitung kommt nun (wie beneide ich die Bayern für ihr universell einsetzbares "heuer", das ähnlich wie das frz. "voilá" eigentlich immer passt- aus ästhetischen Gründen muss ich aber verzichten und kann wieder nur "nun" schreiben. Ich meine aber "heuer") auf Seite 1 gerne auch mit Neuem aus der Diözese; heute: Der Ex-Papst wird heilig gesprochen. Vorgestern: Der Kardinal macht eine Audienz des aktuellen Dreigestirns (!) beim Jetzt-Papst klar. Heute außerdem in der online-Ausgabe: Eine rückwärts laufende Uhr, noch so und so lang bis Wieverfastelovend (!), sprich: karnevalistischem Brauchtums-Anstoß- neben Kirche, K(ölner)V(erkehrs)B(etriebe) und Kneipenkultur das vierte große K-Thema der hiesigen Presselandschaft.
Auch die Tagesschau tut mit beim Zelebrieren des Belanglosen. Barroso will mehr Geld, ein Bayern-Banker unterschlägt 50 Millionen, ein deutsches Madel gewinnt eine Medaille, weil sie am besten Skilaufen und dabei schießen kann, die Lottozahlen. Wozu gibt´s eigentlich Teletext und Internet? Schön auch die ZDF-Endlosschleife, was der Bürger, dies statistisch durchleuchtete Wesen, DENKT, wer gewinnt, verliert und es versuchen sollte. Also: Wie die ANDEREN wohl wählen? Ja, das wollen wir wohl wissen; was denken andere, wie wir denken!
Ich habe es da zugegebenermaßen leichter. Ich schreibe und rede einfach so vor mich hin und schere mich nicht um Relevanz und um einen Auftrag schon gar nicht. Den Auftrag allerdings, ja, mein Gott- den habe ich ja auch nicht! Und bezahlt, sagen wir mal mit 17,98 € im Monat von jedem, der einen Computer bedienen bzw. ihn besitzen KÖNNTE, werde ich schon gar nicht.
Als unbezahlter Laie fühle ich mich auch eh viel wohler- so bleib ich´s denn. Ich gebe aber aus meinem Glashaus gerne den frommen Laienratschlag, die RTLisierung des Pressewesens zu stoppen, umzukehren, sich zu besinnen. Diejenigen mit Hausverbot zu bestrafen, die die alte Thoma-Evangelium beten: "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Die Menschen nämlich hassen Würmer, zumindest auf Dauer. Und bekömmlich sind sie auch nicht.
PS Und gerade heute morgen lese ich in eben jener Zeitung einen Jubiläumsartikel über Wikipedia. Dort tobt eine handfeste Auseinandersetzung um dieselbe Frage: Was ist relevant? Die "Deletionisten" sagen: Es gibt Standards: Relevanz liegt bei einem potenziellen, breiten, nicht nur lokal oder regional begrenzten Interesse vor. Was zu diesem Standard nicht passt, gehört gelöscht. Die "Inklusionisten" verweisen darauf, dass Wikipedia ohne die Begrenzungen des Mediums "Papier" funktioniere und insofern nichts gegen eine Relevanzentscheidung des einzelnen spräche.
Zeitungen funktionieren aber anders. Der Inklusionist gibt´s ja zu. Sie braucht eine kompetente, tagesaktuell arbeitende Redaktion und nicht nur die Abstimmung mit den Füßen.
Vor dem Elefantengehege
Mütter in Köln, die Transferzahlungen, sprich Hartz IV, beziehen, haben Anspruch auf eine neue Babyausstattung. Insbesondere ein neuer Kinderwagen schlägt zu Buche, schnell mit 1000,-€. Sie werden nicht gezwungen, bei Ebay gebrauchte, preisgünstige Ware anzuschaffen; die Klientel soll schließlich, so die zuständige Dezernentin Klein, nicht "stigmatisiert" werden.
Die institutionelle Betreuung der lieben Kleinen bleibt selbstverständlich ebenfalls Kostenposten der öffentlichen Hand, so dass etwa der Ganztagesplatz in der KiTa gesichert wird. Soziale Teilhabe und vielfältige Bildungserlebnisse sind ja wichtig. Museums- Schwimmbad- oder Zoobesuche machen viel Spaß, zumal sie für "Köln-Pass"- Inhaber ausgesprochen günstig sind.
Die Eltern einer durchschnittlichen Arbeitnehmerfamilie mit 1,5 Einkommen, sagen wir mal: Er Studienrat in Vollbeschäftigung, sie Assistenzärztin im Halbtag, und zwei Kinderchen, können oder werden sich bei den hohen Lebenshaltungskosten in der Großstadt nun weder einen nagelneuen Kinderwagen noch Zoobesuche für 50,-€ leisten. Ganztagesplätze im Kindergarten schon gar nicht, denn die verschlingen bei Steuerklasse V rasch einmal 25% ihres (also jenes der Mutter) Nettoeinkommens. Da quält sich die müde Doktorin nach dem Nachtdienst und 4 Stunden Schlaf lieber verschlafen aus den Federn, um die kleinen Racker schon mittags abzuholen. Das ist dann nicht so teuer und irgendwas kochen: Das geht auch noch.
Vielleicht einmal begibt sich unsere Musterfamilie samstags nach Krefeld in den Tierpark, der die Familienkasse nur mit 25,-€ belastet und gondelt dann dort die lieben Kleinen mit einem älteren Modell (wahrscheinlich bei Ebay ersteigert für 285,-€ von Hartz IV-Beziehern, deren Fittis aus dem "Gröbsten raus" sind) am Elefantengehege vorbei.
Und so geben dann doch wieder alle ihre soziale Identität preis- Dezernentin hin, Dezernentin her; stigmatisieren sich hinter dem edlen Teutonia-Kombi am Mittwoch nach 5 im Zoo oder im Spaßbad als Empfänger der berühmten "Sätze", während der beitragszahlende Otto-Normalverbraucher zu erkennen ist am K-Kennzeichen vor dem Park in der Diaspora, seinem altmodischen Kinderwagen sowie den tiefen, schwarzen Ringen unter den Augen.
Alles bleibt also letztlich schön im Gleichgewicht und darauf kommt´s doch wohl an!