Iphigenie auf Tauris
Seit Jahren mal wieder diesen Klassiker unter Goethes Klassikern beackert. Trage so dies & das Anstudierte heran an den Text und sehe schon die ästhetischen Qualitäten, die in diesem durchkonzeptualisierten Stück stecken. Doch so recht berühren können mich die Figuren am mythischen Orte nicht. Das Wahre-Edle-Schöne im ehrlichen Miteinander anzulegen sowie im Einfühlen in das empfindende Gegenüber, ist ja sicherlich aller Ehren wert und mehr recht als schlecht. Aber auch ein wenig dröge eben für Leser, die weniger an Konzeptkunst, sondern mehr an attraktive Kulissen, verwickelte Ereignisse, psychologische Finessen und zeitgenössische Sorgenszenarien gewohnt sind. Zumal die Blankverse längst nicht so elegant-leichtfüßig daherkommen wie dann später etwa die Alexandriner des Mephistopheles.
Interessant aber immer wieder zu sehen, dass sich strukturell so wenig ändert: Der antike, aristotelische Dramenaufbau Exposition - Steigende Handlung - Höhepunkt - Retardation - Schluss bleibt im Prinzip erhalten über die Minnedichtungen eines Chretien de Troyes oder Eschenbachs, über Shakespeare, das Weimarer Jahrhundert bis zu den kunterbunten Plots Hollywoods, um mal einen literaturwissenschaftlich ganz unkorrekten Bogen zu spannen. Hier spätestens zeigt sich eine frappierende Aktualität dann doch wieder.
jagothello am 05. Oktober 10
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FSK 0-18
Im WDR-Interview sagt der Chef der FSK, es gebe keine Kriterien, nach denen ein Film für die Altersfreigabe bewertet werde. Genauso denke ich mir das auch seit Jahren! Reine Kaffeesatzleserei! Man diskutiere und komme, gewissermaßen im freien Dialog, zu einer Entscheidung, die "Sie ja nicht teilen müssen." Ältere James Bonds waren alle ab 16, die nun viel gewalthaltigeren sind ab 12. Das läge daran, dass die Jugendlichen heute auf dem Schulhof anders miteinander sprächen (sic). Darauf, dass sie das tun, weil der Medienkonsum immer zügelloser und die Medien selbst immer zügelloser und Medienbeschränkungen immer weniger wirksam werden, kommt der gute Mensch nicht. Van Helsing, ein echter Körper-Hacker-Splatter, ist auch ab 12- kommerzielle Gründe spielen natürlich keine Gründe; bestochen gar wird auch niemand. Einzelne Szenen seien nicht so entscheidend, sondern eher die Frage, ob sich die schädlichen Eindrücke im weiteren Verlauf des Filmes wieder verflüchtigen. Ob das nicht subjektiv ganz unterschiedlich ist? So genau will man das wohl lieber nicht wissen. Das Verfahren im Sinne professioneller Soziologie evaluieren will aber selbstverständlich auch keiner. "Keinohrhasen" war erst ab 6; eine Revisionsgruppe stufte nach Protesten wegen der Vulgärinjurien, ohne die eine deutsche Komödie ja nicht auskommt, auf 12 hinauf. Auch schön der formulierte Anspruch der Filmlaien und Familienpädagogen, danach zu entscheiden, ob Entwicklungsstörungen aufgrund des Filmkonsums zu befürchten sind. Ein wenig Entwicklungspsychologie und Pädagogik erraten kann ja auch jeder- man war schließlich selbst mal klein.
Rafael Yglesias: Glückliche Ehe
Ein Buch wie ein Keulenschlag, ein Wechselbad der Gefühle, in welches der außerordentlich begabte Autor mich Leser da tunkt. Sicher: Die Grausamkeit, mit der der Krebs die bedauernswerte Margaret jahrelang traktiert und schließlich verschlingt, löst Beklemmung aus und Mitleid(en). Der Begriff "authentisch" für eine literarische Figur und ihr äußeres wie inneres Erleben macht hier einmal Sinn; eine sonst ja absolut heikle Behauptung.
Verstärkt wird diese Beklemmung dann durch die Parallelerzählung, die ebenjene Schwerstkranke 30 Jahre früher im bankrotten New York als blühende, lockende Versprechung zeigt und zwar des ein wenig morbiden Ich-Erzählers Enrique. Von solchen Gegensätzen lebt das Buch.
30 Jahre Ehe passieren Revue, ohne Verklärung, auch nicht am Sterbebett. Wo war sie hin, diese verzweifelte, tätige Liebe, die Enrique 4 Jahre lang wachhält, um Sonden zu legen, Bettbezüge zu wechseln, Sterbebesuche am Bett seiner Frau zu organisieren, die Beerdigungspläne seiner Schwiegereltern abzuwehren, tägliche Hospizgespräche zu führen, sich als Laienmediziner auszubilden: kurz- um um seine Frau zu kämpfen- wo war sie also hin entschwunden, als er für einige Jahre eine Affäre mit Margarets bester Freundin begann? Eine Frage, die vor den neuen Notwendigkeiten verblasst, geradezu absurd-banal wird.
Umso bedrängender aber die verstörende Erkenntnis, dass es diese letzten 4 grauenerregenden Jahre zwischen Hoffen und Remission waren, die ihn als Menschen geformt haben, wie er sich selbst nun gerne im Spiegel sieht. Und auch die Ehe gewann eine vorher ganz ungeahnte Beziehungstiefe, die beide im wahrsten Sinne des Wortes mit vielem versöhnt. Der Tod als Chance. Das ist der Tenor dieses Buches.
jagothello am 02. Oktober 10
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