Mai 2013 |
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Mathematiker haben es leicht bei der Beantwortung der sie interessierenden Fragen. Sie müssen sich um moralische, ökonomische, soziale oder philosophische Aspekte von Verteilungen keinen Stress machen- dem Distributionsgesetz sei Dank bzw. seiner zentralen Regel: Jeder Onkel tanzt mit jeder Tante. Ob sie sich mögen, oder nicht.
Doch wie sieht es aus, wenn ein knappes Gut unters Volk gebracht werden soll wie ein neuer iPod, Eintrittskarten für das Shakespeare-Festival in Neuss, die BvB-Bayern-Schlacht am Samstag oder eine Microsoft-Stammaktie? Wenn es nichts zu rechnen aber trotzdem etwas zu verteilen gibt? Welche Kriterien gelten für die Vergabe einer Ware, wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot? Im Einzelfall ist das eine schwierig zu beantwortende Frage, die das NSU-Gericht München dennoch eindeutig beantwortet wissen wollte: Es zähle nämlich grundsätzlich und ganz einfach das Prinzip Windhund.
Doch ganz so einfach ist das offenbar nicht, sonst hätte es in dieser Angelegenheit keinen europaweiten Sturm der Entrüstung gegeben und auch kein BGH-Urteil. Vielleicht hätten die Herrschaften vom Landgericht Michael Sandel lesen sollen: Was man für Geld nicht kaufen kann.
Aus einigermaßen auf der Hand liegenden Gründen würde Sandel dem Gericht beipflichten, den Eintritt zu den begehrten Plätzen nicht über das Prinzip Warteschlange zu regeln und schon gar nicht über Eintrittspreise. Obgleich: In den USA wird das so gemacht, wenn der Kongress über Gesetzesvorlagen berät. Lobbyisten beauftragen gerne Studenten, Arbeitslose, Hausfrauen, die sich einreihen und kurz vor dem Einlass die Auftraggeber informieren, die dann herbeieilen, um den Platz einzunehmen. Mit Rederecht ausgestattet versuchen sie dann die Gesetze in ihrem Sinne zu beeinflussen, die Schlangenplatzhalter bekommen 10 $ pro Stunde und gedient ist allen. Allen? Wohl nicht- die Demokratie leidet ja wohl bei solchen Verfahren. Darauf will ich jetzt aber nicht weiter eingehen, denn mir geht es um die Frage, wie begehrte Güter verwaltet und verteilt werden, nicht zu welchem Zweck.
Sandel plädiert jedenfalls in Fällen, in denen es um Zuweisung eines demokratisch-moralisch-rechtlich relevanten Gutes geht, und Teilhabe an parlamentarischer oder verfassungsrechtlicher Entscheidungsfindung zählt hierzu, für ein ganz anderes Verfahren: Das Kontingent. Eine moralisch möglichst unantastbare Instanz, unbestechlich und autark, vergibt Teilhabe und Recht.
Doch leben wir mittlerweile in einem Gemeinwesen, das ideologisch zerfressen ist von einer Ideologie der Selbstverantwortung, in der Forderungen nach Relevanz, nach Fairness, nach Gerechtigkeit im Mindesten als verdächtig gelten, jedenfalls als naiv, sozialdemokratisch und die Freiheit des einzelnen bedrohend. Versteckt wird diese brutale Entfremdung, das Herausschälen des Individuums aus beschützender, verantwortlicher Gemeinschaft hinter immer derselben Vokabeln: liberal!
Verwunderlich, dass Sandel in diesem Klima einen Nobelpreis bekommen konnte, wahrscheinlich war das vor Erscheinen des besagten Buchs.
Das Kontingent ermöglicht Vernunft. Ökonomische Vernunft, soziale Vernunft, moralische und politische. Ein vernünftiges Gremium, meinetwegen bestehend aus Richtern und Verwaltungsfachleuten, vergibt den Zugang zum Gerichtssaal nach übergeordneten, differenzierenden Gesichtspunkten. Nach Gesichtspunkten jedenfalls, die die Prinzipien Windhund, Warteschlange, Preis vollständig negieren. Zum Beispiel die Frage, ob es ein legitimes Informationsbedürfnis nach dem Umgang der deutschen Justiz mit der Täterin in Ostanatolien, der Heimat einiger der Opfer, in der Landessprache gibt. Oder wie dieses Bedürfnis im Vergleich mit den Marketinginteressen des Dudelfunks zu bewerten ist. Letztendlich geht es aber um tiefer liegende Fragen, nämlich, ob eine rein ökonomisch-kommerzielle Betrachtungsweise dieser und natürlich ähnlicher Angelegenheiten nicht völlig ausreicht? Es ist wichtig, den Bejahern, den Ausverkäufen ein deutliches Nein entgegenzuschleudern!
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