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Eigentlich wollte ich hier einmal darüber nachdenken, wie es zu erklären ist, dass über 98% der Hochschulabsolventen in Biologie mit den Noten sehr gut oder gut reüssieren aber nur 7% der Juristen. Dann aber führten meine Gedanken, wie das häufig bei mir so geht, mich ganz woanders hin (ich wäre also wahrscheinlich auch ein ganz brauchbarer Experimental-Biologe geworden!) bzw. nicht ganz woanders hin, denn da, wo ich mental strandete, geht´s auch recht willkürlich zu. Mein Thema also mal wieder dies: Das deutsch-österreichische Gymnasium!
Grüne und SPD haben nicht lange gebraucht, um das von ihnen seit kurzem beherrschte Wut-Ländle auf den Bildungsrankings abwärts zu dirigieren. Der angestammte Platz 2 ist Geschichte, nach unten geht der Weg. Über die Gründe kann man vorerst nur spekulieren. Eine Rolle spielt sicherlich, dass andernorts aufgeholt wird. Die CDU aber hantiert quicker mit Erklärungen: Die Gemeinschaftsschule, die an sich eine viel zu junge Einrichtung ist, um schuldig an der fatalen Entwicklung zu sein, sei schuld. Jene Schulform, die zum einen die ungeliebten Haupt- und Realschulen ersetzen soll und ein längeres gemeinsames Lernen ungeachtet der Empfehlungen nach Klasse 4 anbietet. Die aber zum anderen auch durchaus gymnasiale Standards setzt und demzufolge ihr Heil in einer Differenzierung nach innen sucht. Binnendifferenzierung nennen die Didaktiker dies; ein pädagogisch wegen pragmatischer Hürden ausgesprochen umstrittenes Konzept, setzt es doch im Unterricht elastische Spagatkünste, sprich methodisch-didaktische Expertise voraus, um ganz unterschiedlichen Lernbedürfnissen einer durch und durch heterogenen Schülerschaft gerecht werden zu können. Es verknüpft sich hiermit so ganz nebenbei ein ganz anders gelagertes Berufsbild der Lehrerschaft (nämlich eines, welches den Pädagogen fordert, nicht den Fachexperten) und vor allem impliziert ein solches Konzept, dass es Auf- und Abstieg geben kann; kurzum: Es geht ans Eingemachte, denn nichts wühlt uns Deutschländer bekanntermaßen so sehr auf, wie das Infragestellen von lieb gewonnenen Überzeugungen. Zum Beispiel der, dass die soziale Klasse weitgehend mit der Geburt bestimmt zu sein hat.
PISA, demographischer Schwund, Fachkräftemangel, schlappe 25%- Abiturientenquote in Bayern: Alles halb so schlimm, so lange die Ideologie bezahlbar ist. Und noch ist sie das, offenbar.
Wütende Leserbriefe in FAZ bis Focus gegen jene Form des längeren gemeinsamen Lernens repräsentieren die Vorbehalte in erfrischender Klarheit: Wer das Gymnasium nicht schafft, soll fernbleiben. Leistung darf nicht dem linken Klassenkampf geopfert werden. Oder, wie es die Führerin der CDU- Opposition im BW-Landtag hübsch bündig formuliert: Es spielt ja auch nicht jeder Fußballer Championsleague.
Dies nun wiederum halte ich für eine Bemerkung, die schon aufgrund ihres intellektuellen Tiefenverzichts nicht geeignet ist, Vertrauen in die Positionen jener Dame zu gewinnen, denn ob Gemeinschaftsschule oder Bundesliga, darum geht es ja gerade: Im Wettbewerb, in der regelmäßigen Interaktion wachsen gemäß des eigenen Temperaments, der eigenen Wege, der eigenen Ressourcen. Nur wenige werden dann gegen Chelsea spielen, oder eine 1 vor dem Abiturschnitt haben (mal abgesehen davon, dass Gemeinschaftsschulen, anders als Gesamtschulen, gar keine gymnasialen Oberstufen betreiben). Die Chance aber bleibt gewahrt und vor allem gibt es keine a priori- Ausgrenzung via Selektion von 9-jährigen Pennälern, die in der Regel eben nicht leistungsstark oder leistungsschwach, sondern viel eher günstig oder eben ungünstig sozialisiert sind.
Die Wahl, oder besser: Die Zuweisung der Schulform ist typischerweise eine soziale Frage, denn Mittelschichtskinder haben eine fünfmal so hohe Chance auf einen Gymnasial- Besuch wie Arbeitersprösslinge. Und das dortige Niveau? Ist das Championsleague? Natürlich längst nicht. Es ist ja heute schon Realität: Das Gymnasium ersetzt in vielen Fällen die Gesamtschule, beschult eine leistungsheterogene Klientel, die homogen bestenfalls hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft zu nennen ist. Erstaunlich aber, wie es gerade diese Schulform im Windschatten der beharrenden Kräfte und Vertreter einer konservativ-bürgerlichen Mittelschicht es nach wie vor schafft, ihre mangelhaften Ergebnisse vor einer kritischen Evaluierung zu verbergen und wie es trotz modernisierter Lehrerausbildung im Sinne einer erprobten didaktischen Praxis immer noch gelingt, eine Unterrichtskultur von anno dazumal zu bewahren und so jegliche Verantwortung für Le(h)r(n)erfolg auf die schmalen Schultern der strampelnden Schülerschaft abzuwälzen. Das gelingt wirklich keiner Berufsgruppe! Auch den Lehrern an anderen Schulformen übrigens nicht.
Kein Mensch käme auf die Idee, die nicht ausgeleerte Mülltonne, das nicht entfernte Geschwür, das ins Meer gestürzte Flugzeug nicht auf Inkompetenz von Müllmann, Arzt oder Fluglotse zurückzuführen, sondern auf eigenes Versagen. Kann Lieschen Müller aber nach sechs Jahren Gymnasium immer noch nicht den Satz des Pythagoras oder den AcI; selbst schuld. Zu doof. Zu dumm! Nicht gymnasial; das besonders infame Verdikt nicht nur für Lieschen, sondern für ihr gesamtes soziales Umfeld, das die Bildungstauglichkeit via Genpool, Nachhilfe und Nachunterricht eben nicht hergestellt hat, auch, wenn es mal eine 1,8 Durchschnittsnote nach Klasse 4 sowie entsprechende Empfehlung gab. Skurriler kann ein Sozialsystem sich selbst nicht ad absurdum führen, nur zu merken scheint es keiner!
Und all das ist auch kein Wunder; immer noch sind Gymnasien Horte unprofessionellen Tuns, in denen Bildungserfolge abhängen von persönlicher Lust und Laune der Lehrkraft, in denen der Bildungsertrag in einem krassen Missverhältnis zu den aufgewendeten Ressourcen steht; anders als beispielsweise an Gesamtschulen gibt es außer einem heillos überforderten Schulleiter als Dienstvorgesetzten niemanden, der die Qualität von Unterricht, Leistungsbewertung und Beratungsarbeit einfordert und evaluiert. So bleibt alles weitgehend glücklicher Fügung überlassen. Eltern sind aufgrund häufig selbst durchlittener Traumatisierungen und mangelnder Vernetzung mit den vielen anderen Gefrusteten seelisch-moralisch-rational kaum in der Lage, aufzubegehren. Oder finden das alles ganz in Ordnung so, denn ich musste da ja auch durch.
Das Gymnasium wird von einem Kartell aus Bezirksregierungs-Dezernenten, Journalisten, Lehrern (natürlich) und bürgerlichen Politikern jedweder Coleur aus der Schusslinie genommen, wenn anderswo der überfällige, von den Leistungsstudien, der UN (Inklusion) oder schnöder Bevölkerungsstatistik sowie einem dramatischen Fachkräftemangel gesellschaftliche Umbau nahegelegt und eingefordert wird. Und exakt diese Kreise argumentieren dazu mit einem seltsam schiefen Muster:
Schief: Die Mär von der Einheitsschule
Links, kommunistisch und falsch sei es, die Menschen nicht nach Begabungen und Interessen zu sondern und in unterschiedliche Schulformen zu zwängen. Eine Denklinie, die zeigt, dass die Protagonisten der öffentlichen Debatte keinen Schimmer vom Funktionieren eines integrativen Schulsystems haben. Denn es ist gerade die Verschiedenheit der Schülerschaft, welche die äußere Struktur einer solchen Landschaft prägt. Die täglichen Dienstbesprechungen, Teamsitzungen, Konferenzen und Fortbildungsveranstaltungen. Die immer und immer wieder reflektiert wird, wenn es um binnendifferenzierende Maßnahmen geht, die so weit gehen können, dass in einer Lerngruppe Arbeiten auf drei Anspruchniveaus geschrieben werden, dass unterschiedliche Materialien eingesetzt und Aufgaben qualitativ und quantitativ stark variieren. Nein, nein, es ist der deutsche Sonderweg, der Versuch, Lerngruppen in Schubladen in homogene Päckchen einzusortieren, der die Schülerschaft über einen Kamm schert. Hier wird so getan, als gebe es nur einen IQ, nur einen Lerntyp (nämlich den auditiven), nur ein affektives Muster (ehrgeizig, willig). Und als gebe es neben all dem Wollen, Glauben, Meinen keine belastbare Wissenschaft von dem, was nützt und dem, was schadet. John Hattie, neuseeländischer Bildungsforscher, stellt nach 20 Jahren Meta-Meta-Analyse auf der Basis von tausenden Einzelstudien fest, dass homogenisierende Maßnahmen nicht helfen; jedenfalls dann nicht, wenn es um die Herstellung von Bildungs- und Lernerfolg auf Schülerseite geht.
Eine Championsleague also. Das ja. Aber viele Wege dorthin.
Layout by ichichich.