Februar 2012 |
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Den diesjährigen Holocaust-Gedenktag verbrachte ich in Buchenwald oder besser: In Weimar. Beziehungsweise an beiden Orten, die an sich einer sind. Geographische Parallele, mentale Kreuzung.
Gleich neben dem Lagertor symbolisiert der ehemalige, heute noch sehr gut erhaltene Bunkertrakt den grausamen Terror, den Himmlers Sadistische Schergen hier acht Jahre lang verbreiteten.
Martin Sommer tat sich besonders hervor. Auf seinen Ruf, die gefürchtetste, meist gehasste Person des ganzen Lagers zu sein, hielt sich der Höllen- Hausherr einiges zugute. Hannah Arendts Diktum von der Banalität des Bösen gewinnt angesichts der geradezu unfassbaren Alltäglichkeit dieses Allerweltnamens eines einfachen Bauernsohnes weitere Bestätigung. Den erstklassigen Rang Sommers als Sadist dokumentieren Niederschriften von Augenzeugenberichten aber auch diverse Beurteilungen seiner Vorgesetzten, die im Ausstellungsbereich der Gedenkstätte, der ehemaligen Effektenkammer, in dem bis zur Befreiung des Lagers der durch Bruno Apitz´Nackt unter Wölfen zu Ruhm gekommene polnische Junge versteckt gehalten wurde, zu lesen sind. Kleinste Regelverstöße reizten Sommer zu grausamer Folter; legendär die Misshandlungen des Theologen Paul Schneider, der sich an Hitlers Geburtstag weigerte, die Mütze vom Kopf, quasi zum Gebet, zu nehmen.
Regelmäßig kommen Überlebende und Angehörige nach Buchenwald, um sich zu erinnern, zu trauern, um zu mahnen. Immer geschieht das am Holocaust-Gedenktag, also dem 27. Januar. Dieses Jahr reihte sich die thüringische Landtagspräsidentin ein in die Gemeinde sowie der italienische Senatspräsident Renato Schifani. Letzterer zeigte eine ganz ungewöhnliche, echte Betroffenheit, die ich von einem Berlusconi- Spaßfraktionär sicher nicht erwartet hätte. Schifani musste aber gar gestützt werden beim zeremoniellen Begucken des vorab von Lakaien drapierten Kranzes, bevor er dann zum ehemaligen Krematorium wankte, um sich auch das zu geben: Den Anblick der industriellen Verabfallungsmaschinerie, geschaffen, um die Leichen tausender Ermordeter zu entsorgen. Ein wahrhaft schockierender Schreckensort, auch 70 Jahre später. Übrigens liegt dieses suggestive Zentrum der gesamten Anlage gleich vis á vis des ehemaligen Lagerzoos, getrennt bloß durch einen meterhohen, allerdings unüberwindbaren Stacheldraht. Die hiesigen Bären hatten einen Tagesetat in Höhe von 3,- RM; die Gefangenen von unter 1,80 RM- insofern eine angemessene, verständliche Körperreaktion Schifanis.
Die Insassen kamen, zumindest in den ersten Jahren, die 8 km vom Weimarer Bahnhof heraufgelaufen auf den Ettersberg. Die letzten Meter, gleichsam ein Initiationsritual, war ein Spießrutenlauf zu absolvieren auf dem sogenannten Karachoweg; vorbei an Häme geifernden SSlern, getrieben und geschunden von scharfen Schäferhunden.
Der Bahnhof, zynisch kalkulierte Ironie der (ganzen) Geschichte, träumt auch heute noch gerade mal 1000 m entfernt von den Hochstätten der Weimarer Klassik vor sich hin: Frauenplan, Anna Amalia-Bibliothek, Stadtschloss, Schillers Bürgerhaus... Gerade im Winterschnee eine hochgradig malerische Welt. Um die Ecke das Elephant, vor dem Hitler sich feiern ließ und in dem Thomas Mann seine Lotte in Weimar Hof halten ließ. Orte von erstklassigem literarhistorischen Rang, die ihren ganz besonderen Charme im deckenden Winterschnee entfalten.
Die peinlich gepflegten Reliquien der Hochkultur beziehen einen ganz einzigartigen Reiz aber auch aus dem Kontrast mit dem benachbarten Unort. Es ist längst nicht ihr einziger Reiz, sicherlich nicht, aber doch ein ganz wesentlicher. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob es legitim ist, diese Spannung touristisch auszuschlachten, also gewissermaßen ökonomischen Gewinn zu erwirtschaften mit dem Schrecken der NS- Herrschaft. Weimar hat ja Buße getan und ein kulthafter Reisebus- Remmidemmi wie am Hitlerschen Berghof in Berchtesgaden hat hier nicht statt. Buchenwald ist schließlich eine eher akademisch-abstrakte Gedenkstätte, entkernt, die sich für derlei Mätzchen nicht so recht eignet. Sogar Wohnungen gibt es ja wieder gleich nebenan auf dem Berg. Und doch: ob im Rokokosaal der Anna-Amalia, im Gewölbetheater oder in der Fürstengruft: Die Gespenster bleiben und durchwehen Stadt und Stimmung.
Layout by ichichich.