Dezember 2011 |
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Mal ist das Parlament voller, mal leerer- aber immer voller Lehrer- das war hübsch gekalauert von Otto Graf Lambsdorff. Jeder halbwegs zur Selbstironie fähige Berufspädagoge nimmt solche Aperçus heiter ohne gleich seinem rasenden Herzen zum Spezialisten folgen zu müssen. Lehrer kündigen nun einmal gerne davon, wie Straßen auszusehen haben, Müll entsorgt werden soll, das Theater bespielt und so weiter. Sie haben gelernt, das Besserwissen zu integrieren in das, was Erik Erikson, Lothar Krappmann oder George Herbert Mead Identität nannten. Als grelles, markantes Selbstbild wird dieses dann mehr oder weniger selbstironisch (meist weniger!) prägend auch für all die sozialen Interaktionen; die alltäglichen großen und die kleinen, unscheinbaren. Oft genug zum Verdruss anderer- ich als Betroffener kenne mich da ganz gut aus.
Lambsdorff bediente natürlich auch das Klischee vom zeitlich unterforderten Beamten, von der Halbtageskraft am Pult, die vormittags recht und nachmittags frei hat. Diesen Typus gibt es, ich kenne ihn gut. Niemand nimmt ihn wohl so recht ernst; die Schüler nicht, auch viele Kollegen nicht. Solange die Anreize gesetzt sind wie aktuell, wird er in seinem bequemen Biotop hausen bleiben. Zwar keine großen Sprünge machen, aber eben doch existieren können. Bei beamteten Lehrkräften mit der Amtsbezeichnung Studienrat bedeutet das Unkündbarkeit, 12 Wochen unterrichtsfreie Zeit im Jahr, gesicherte Pensionsansprüche, weitgehende Arbeitsautonomie und ein A13- Gehalt, das je nach Altersstufe durchaus um 4.000,-€ vor Steuern liegt. Höhere Weihen werden ihm verbaut sein aber doch... so lässt es sich ganz gut leben. Und auch, wenn ein solcher Lehrkörper nicht auf exklusiver Laufbahn wandelt, wird er in der Regel doch mit A12 entlohnt. Insbesondere für viele Frauen bedeutet ein solches Vertragsverhältnis außerdem eine lebenslange Arbeitsplatz-Hängematte, auch bei noch so arbeitgeberfeindlicher Lebensplanung, also etwa drei Geburten in kurzer Folge und Inanspruchnahme von 9 Jahren Elternzeit. Die Stelle! Sie ist (ist sie erst einmal) und sie bleibt. In der Tat traumhaft illusionär für Ärzte, Ingenieure oder Rechtsanwälte, die nach solchen Auszeiten fachlich hoffnungslos abgehängt wären.
Und doch: Lehrer gehören zu der Berufsgruppe mit den höchsten Ausfall- und Depressionsquoten. Ausgebrannt ist der neudeutsche Euphemismus für tiefe Erschöpfung, gesundheitsschädigende Überforderung und nackte Angst davor, abermals eine Schule betreten zu müssen. Solche Fälle mehren sich und zwar ganz unabhängig von der scheinbar so komfortablen Versorgung (die selbstredend SO komfortabel gar nicht ist, wenn man bedenkt, welche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten Angehörigen anderer Berufsgruppen nach 2 Staatsexamen offen stehen).
Seit neustem bin ich qua Amt befasst mit Prävention, Schutz und Hilfe Betroffener, also des gesamten Kollegiums. Erste Gespräche und Überlegungen bringen mich auf diese Fährte: Unabhängig von einer ganzen Reihe möglicher Ursachen für die Nervenkrisen wirkt vielfach ein tradiertes, überholtes Lehrerbild belastend: Der Pädagoge als 30-facher Halter des Nürnberger Trichters, mit dessen Hilfe der Informations-Upload in die Schülerhirne versucht wird. Das sind aber völlig untaugliche Versuche und Mittel, wie Juristen sagen würden und so kommt es zu vielfachen Systemabstürzen in der Form von Unterrichtsstörungen, Renitenz und abgrundtiefes Angeödetsein. Solche Fehlermeldungen können (nach der vielzitierten Watzlawick-Doktrin) nicht ignoriert werden. Das Nicht-Ignorieren-Können bedeutet Reaktion, Gegenaktion, Diskussion, Stress, Frust. Wer in diesen Nahkampf geht, hat schon verloren. Vielleicht gelingt es sogar, sich hier zu einigen, doch geht das mit Sicherheit auf Kosten einer neuen Baustelle, die sich ganz schnell dort auftut, wo für einen Moment die Aufmerksamkeit entzogen wird. Dabei wissen Lehrer in der Regel sehr genau, dass ihre eigentliche Arbeit vor der Unterrichtsstunde stattfindet und dass erfolgreiche Schularbeit bedeutet, diese Vorarbeit so in das Stundengeschehen zu integrieren, dass sich die Lehrkraft zurückziehen kann während die Lernenden prozess- oder zielorientiert, jedenfalls geleitet reproduzieren, reorganisieren, werten. Wer seinen Unterricht konzeptionell anders anlegt, besteht in Deutschland kein Staatsexamen (mehr). Dennoch verfallen selbst Berufsanfänger nach hervorragender Ausbildung in besagtes Muster. Und wirklich: Anfänglich entlastet das, weil Vorbereitungszeit entfällt und Freizeit gewonnen wird. Der dozierende Frontalstil erfordert nämlich kaum Planung, kaum pädagogische Expertise. Dafür aber erzeugt er in aller Regel tiefe Unlust auch auf Schülerseite, denn der Zwang, still zu sitzen, auf Nahrung, Denken, und jegliche andere Form des Tuns sowie jeglichen ästhetischen Genuss stundenlang verzichten zu müssen, erzeugt auf Schülerseite von Leid bis ADS alles mögliche- sicherlich aber keinen Lernzuwachs. Die Reaktionen sind vorgezeichnet und... siehe oben!
Mir scheint dies ein Kernaspekt zu sein unseres vielbesungenen Bildungsdilemmas. Lehrer müssen tatsächlich lernen, die beschriebenen Mechanismen zu durchschauen und ihre Arbeit entsprechend umzudeuten. Das wäre wohl der Königsweg heraus aus der Krise des Berufsstandes und auch der des Heeres seelisch notleidender Berufspädagogen.
Layout by ichichich.