November 2011 |
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Ich stehe der Bertelsmann-Stiftung ausgesprochen kritisch gegenüber. Das heißt aber nicht, dass ich ihre jüngsten Abbildungen der hiesigen Bildungslandschaft, den sogenannten Lernatlas Deutschland, nicht als alarmierend empfände, als skandalös obendrein.
Zueigen gemacht hat man sich endlich einmal den Lernbegriff der UNESCO, welcher ein lebenslanges Konzept beschreibt und weitaus differenzierter daherkommt, als diese ewige PISA- Abfragerei 15-jähriger im Multiple-Choice-Verfahren.
Zu 2/3 werden nunmehr Qualität und Quantität von Schule einerseits und Universität & Fachhochschule andererseits gewichtet. Kalkuliert wird zudem mit Bedingungen für lebenslanges, bürgerlich-soziales Engagement sowie persönliches Lernen; gemeint sind damit die regionalen Möglichkeiten sowie die Bereitschaft der Bewohner, Bildungsangebote jedweder Art (auch das gute, alte Buch) zu nutzen.
Die Studie mag methodische Schwächen aufweisen. Problematisch ist insbesondere die Verwendung von PISA- Daten, die nur für die Gesamtrepublik vorliegen bzw. für die einzelnen Bundesländer. Diese (älteren) Daten werden nun im Länderkontext gemittelt: Ein Beispiel: Ludwigsburg schneidet bei PISA sehr gut ab; Heilbronn durchschnittlich. Der Mittelwert aller Kreise und Gemeinden sowie Städte Baden- Württembergs wird nun aber zugrunde gelegt für die Beurteilung der Bedingungen schulisches Lernen in Heilbronn und allen anderen Gebieten dieses Bundeslandes. Hierbei muss es zu Verzerrungen kommen.
Umso interessanter und aufschlussreicher aber dennoch der Tenor der Studie oder besser: die Tenöre, denn es gibt mehrere folgenschwere Ergebnisse:
1. Der Süden (gedachte Nordgrenze so ungefähr von Trier bis Dresden) bietet für jedwede geistig- intellektuelle (und auch sozial-moralische) Entwicklung die besseren Möglichkeiten. Hier gibt es weitaus höhere Vereinsfrequenzen, bessere Schulen zumindest in dem Sinne, dass sie höhere Fachkompetenzen vermitteln (PISA) und mehr sowie qualitativ überlegene Hochschullehre- und forschung. Ein klassisches Nord-Süd-Gefälle tut sich da auf, wie man es bislang vor allem aus Italien zu kennen glaubte oder aus Gesamteuropa. Aber nein: Die Grenze verfestigt sich mitten im Lande!
2. Weite Teile im Norden und Nordosten des Landes sind von Bildung offenbar weitgehend abgeschnitten. Interessanterweise schneiden die südlichen der ehemals neuen Bundeslandregionen weitaus besser ab.
3. Ausgerechnet das mit 18 Millionen Einwohnern größte Bundesland, NRW, verliert weiter den Anschluss und droht vor dem Hintergrund mangelhafter Lern- und Bildungsbemühungen über kurz oder lang auch seine wirtschaftliche Potenz weiter einzubüßen. Die sehr guten Ergebnisse einzelner ländlicher Kommunen wie Coesfeld, Bonn oder Münster, fernab von den Zentren der Strukturkrise, können darüber keineswegs hinwegtäuschen.
Der Kreis, in dem ich selbst mich um das geistig-sozial- moralische Fortkommen junger Menschen bemühe und in dessen Dienste ich auch strukturelle Arbeiten leiste (offenbar nicht sehr erfolgreich), in dem außerdem zwei meiner Kinder beschult werden, sticht NRW-weit ganz besonders heraus. Zum einen nämlich gibt es hier eine enorme wirtschaftliche Kraft und eine Arbeitslosenquote unterhalb des Bayern-Durchschnitts. Der materielle Wohlstand der Menschen an der Schnittstelle zwischen den Kraftzentren Düsseldorf und Köln ist groß. Andererseits schneidet der Kreis bei besagter Studie schlecht ab! Nein, miserabel! Die Stiftung sagt ihm düstere Zeiten voraus, materiellen Abschwung, ggf. Untergang.
Nicht nur ich wirke in dieser illustren Gegend, sondern auch Heinz Hilgers, Präsident des deutschen Kinderschutzbundes. In keiner öffentlichen Veranstaltung versäumt er es, auf die skandalösen Zustände hinzuweisen: Bildungsferne auch der Mittelschicht, kaum Angebote, Wohlstandsverwahrlosung. Westerwelle sprach einmal von spätrömischer Dekadenz. Hätte er sich selbst und seinen Großindustrie-Stromkostensparverein mit einbezogen, wäre das eine soziologisch realistische Analyse des Gemeinwesens gewesen. Hier jedenfalls trifft sie meiner Beobachtung nach zu, wenn auch das Dilemma damit nur ganz vordergründig beschrieben ist. Besser: Ein Ausfluss der Quelle des Übels skizziert ist.
Was können wir lernen vom Sieger der Erhebung, dem Main-Spessart-Kreis? Gucken die da weniger RTL? Daddeln die da nicht soviel auf der Playstation? Vielleicht. Sicher ist, dass es dort bei Vollbeschäftigung und weiteren positiven Sozialindikatoren keine Universitäten gibt, keine Museen und offenbar auch keine fortwährend sich selbst reformierenden Schulen aus dem Geiste angelsächsischer Bildungsstudien. Sicher ist aber auch, dass die Provinz einen traditionellen, offenbar höchst wirksamen Familiengedanken hochhält und mir persönlich scheint dies das Entscheidende zu sein. Kinder, ganz kleine zumal, werden wenig institutionell- konzeptionell, dafür authentisch und natürlich gefördert. Sie wachsen hinein in stabile Strukturen, die emotionale und soziale Sicherheit geben- eine Position, aus der sich Selbstbewusstheit bildet sowie im Idealfall ein Gefühl der eigenen Wirksamkeit einstellt: in der Summe dem, was ich frühkindliche Bildung nenne. Ein solcherart beschriebener Zusammenhang zwischen Lernerfolg und frühkindlicher Stabilitätserfahrung geht weit hinaus über die typischen Klischees vom Proll-Migranten, der in Köln-Kalk jede Statistik verhagelt. Schön wäre es ja- dann wäre das Problem tatsächlich einzudämmen mit integrativen Maßnahmen und schulpolitischen Anpassungen. Was es aber braucht, ist ein geläutertes Kinder- und Familienbild, einen pädagogischen Paradigmenwechsel, von der Politik nicht zu verordnen, sondern bestenfalls zu begleiten und als Leitbild einer zielorientierten Gedöns- ähhh- Familienpolitik ernst zu nehmen. Weniger müßige Ablenkung, mehr aktive Hinwendung. Weniger Spielerei, mehr Spiel. Weniger Staat, weniger Ersatzeltern im Fernsehen, mehr Mütter und mehr Väter. Weniger Reformpädagogik, mehr Rousseau.
Layout by ichichich.