November 2011 |
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Die alten Landkarten zählen nicht mehr, ruft Eric Hobsbawm aus, der bald hundertjährige Marxist, Berlin-Ägypt-Amerikaner, Philosoph und Historiker. Er beschwört eine fundamentale Krise der Gegenwart, beklagt den Verlust verbindlicher Orientierungen. Gott? Tatsächlich tot. Religion und Kirchen geben keine Antworten auf die Fragen unserer postmoralischen Epoche. Kapitalismus? Wachstum? Die Konsumgesellschaft? In exakt jener katastrophalen Verfassung, die Marx vorhersagte, unwillig, sich zu erneuern, getrieben von immanenten, scheinbar geisterhaften Kräften. Die Sozialdemokratie? Immerhin ein marxistischer Verwandter? Kannibalisiert sich selbst. Wirkte erst mit an der Abschaffung der Arbeiterklasse, um heute zusehen zu müssen, dass es andere Wähler nicht gibt. Bildung? Bloß noch eine vage Idee der PISA- Globalisten und Identitätsverkäufer der Bertelsmann-Stiftung, losgelöst von jeglichem verbindlichen, humanistischen Menschenbild. Und es geht weiter!
Im Deutschland meiner Aufwachszeit gab es ein weiteres, wirkungsmächtiges Regulativ, eine moralische Richtschnur, ein Maßstab, an dem sich Denken, Handeln und Sprechen zu orientieren hatte: Das Postulat Adornos nämlich, dass Auschwitz nie mehr sei. Dies bedeutete, dass sich zum heute diffamierten Gutmenschen ausbildete, wer unter Hitler im Gepäck litt, was hieß: Militarismus ablehnen, interkulturell denken, sich also dem Fremden gegenüber offen und freundlich gegenüberstellen, moralische und menschenfreundliche Standards als Richtschnur für Politik und Ökonomie zu entwickeln und einzufordern, Kritik und Widerspruch.
Verwandt mit all dem war natürlich die geistige Regsamkeit, ohne welche das gute Menschensein nun einmal nicht zu haben war. Eine Mentalität bildete sich aus, die intellektuell befähigte und forderte. Bildung! Bildung bildete sich da.
Bildungserlebnisse in diesem Sinne, selten angenehme, übrigens, wurden mir gerne wochentags gegen 13.30 Uhr am heimischen Mittagstisch zuteil, wenn sich der Frust (und der saß tief) der elterlichen Wutbürger Bahn brach in hitzigen Debatten zwischen den Kaltkriegspolen Ost versus West und sie mich Nachwuchsdialektiker hineinzerrten in die oft genug verheerenden ideologischen Grabenkämpfe, zu denen sich unscheinbare Zeitungsimpulse zur Gesamtschuldebatte, dem THTR oder dem sogenannten NATO-Doppelbeschluss rasch auswachsen konnten. Das schärft. Den Verstand. Mittun, Eifern war heilige Kampfespflicht, denn steinig und schwer, das spürten wir Beladenen, war der Weg zum Adornodikt.
Auch diese Landkarte heute: Ausgelöscht. Zur Fußnote zerflossen unter dem herrischen Schlussstrich. An dem pinseln neoliberale Globalisten und Bequemlinge schon seit Jahren herum, vollendet haben ihn die Hedonisten; endgültig wahrscheinlich im Sommer 2006 anlässlich des märchenhaft-nationalen Kicker-Taumels. Beladen wird nicht mehr, höchstens geladen; gebrütet vorrangig über den iPhone- Support- Sites, gerungen, gezwitschert, wie man ja nun sagt, im 140-Zeichen-Takt via Twitter. Ausländer findet man vor allem dann wieder gut, wenn sie 80.000,-€ p.A. verdienen oder wenigstens Kalifornier sind. Dass C&A nun H&M heißt und weltweit operiert und jeder nach Belieben geil sagen darf, fällt da kaum noch ins Gewicht. Warum so bärbeißig? Es muss irgendwann einfach auch mal gut sein!
Layout by ichichich.