Oktober 2011 |
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Meine Herren Idole, liebe Veteranen; so geht es nicht! Die Idee einer ökumenischen Feier im Zeichen des Mythos gefällt ja durchaus. Die Leute scheinen solche quasireligiösen Messen zu lieben, wie zuletzt noch schön zu sehen anlässlich des Besuchs des Narrenfreundes Benediktus.
Durchaus zeitgemäß also das Vorhaben, sich gegenseitig zu ergänzen, zu befruchten- eine breite Zielgruppe anzusprechen, Synergieeffekte zu nutzen. Zumal es vielen grau und schmerbäuchig gewordenen Romantikern in C&A-Lederkluft mit Igelschnitt auf dem Kopp (oder auch gleich gar keiner Frisur) willkommene Gelegenheit bietet, doch noch einmal die Kirche oder wenigstens ein Surrogat ihrer zu besuchen und die seltsamerweise oft stylishen, jedenfalls weitaus gefälliger daher kommenden Gefährtinnen auszuführen. Und zunächst mal guckt und hört man dann tatsächlich ganz gerne hin, wenn Brüder in die Arme genommen werden beim melodiösen brothers in arms und im Anschluss herzerweichend geklagt wird: so far away. Das Elegisch- Suggestiv- Katholische des schottischen Nuschel- Gitarrenakrobaten stimmt ganz hübsch ein auf die erwartete professoral- protestantische Wortkunst des verhinderten Nobelpreisträgers, des jüdischen Zuchtmeisters und wütenden Bescheidsagers, auch wenn die keltischen Einschläge erstes Befremden zeitigen und die gepflegte Lethargie, in die der virtuose aber langweilige Auftritt stürzt, empfindlich stört.
Stopp! Bescheidsagers? Ich rechne mit erboster Replik, denn genau das ist es, was ER, der nun zügig das Zepter übernimmt, vehement von sich weist: den Antrieb, irgendjemandem Bescheid sagen, über irgendetwas belehren zu wollen. Und vielleicht stimmt das auch, was die lyrics (oder sagt man heute tweets?) angeht. Bestimmt sogar. Dylan textet häufig genug über Außenseiter, Glücksritter der Straße- traurige Figuren und untauglich, frohe oder auch nur allgemeine Botschaften zu transportieren. Die missionarische Form aber spricht nun einmal eine ganz andere Sprache. Sie suggeriert in der eklatanten Vorherrschaft des Poetischen vor dem Musikalischen den hermeneutischen Anspruch, Botschaften unter das Volk zu bringen. Binnenökumene, wenn man so will!
Das deutsche, sprich sentimentale Publikum, wie gesagt, liebt Korrespondenzen zwischen dem Gegensätzlichen im selben Geiste und zeigt diese Liebe im Strömen zu Tausenden in die Mehrzweckhalle. Kommerziellen Erfolg hat, wer attraktive Identifikationsangebote macht. Daran ändern die Zeiten nichts, auch wenn sie selbst sich wandeln, wie es messianisch, oft genug zitiert, heißt. Seitdem Steve Jobs nicht mehr lebt, weiß das niemand so gut wie die Protagonisten des Pop.
A hard rain is gonna fall; gleich zu Beginn seiner Messe behält der Meister dann aber doch recht, denn schwerer Regen setzt ein und sorgt für ein sich vertiefendes Befremden. Er fällt in Form von unverdaulichem Fidel-Gefiedel, Keyboardgestampfe, E- Gitarren-Terror und stakkatomäßig- asthmatischem Silbengekrächze. Das ist nicht charmant. Beschallt wird aus unerfindlichen Gründen nur die Bühne, nicht der Zuschauerraum. Fabrikbeleuchtung.
Das Publikum nimmt all das freundlich gestimmt hin, bis auf die 300, die fluchtartig die Demontagehalle verlassen. Es guckt Legende, ich gucke es. Das ist aufschlussreich, einerseits. Es setzt aber auch weitere Beklemmungen frei: Anderen beim Erinnern und Hoffen zugucken, wie sie da, wie brave Pennäler, andächtig ihren Empfindungen nachgeben. Oder -natürlich- mit dem Eiertopf herumeiern...
Auf der Bühne passiert aber nun mal nicht viel und sie und er und die Musik und das alles: gerade vor mir und ich mittendrin aber doch seltsam bindungslos.
Zur Stimmung passt die schon legendäre, auch diesmal geradezu zelebrierte Unverbindlichkeit; die Weigerung des seit Jahrzehnten rollenden Steines, sich irgendwem im Saale einmal freundlich oder sonst wie zuzuwenden. Yet ev´ry distance is not near; nicht jede Ferne ist nah- wohl wahr. Diese Ferne jedenfalls ist fern, sehr fern und bleibt es den ganzen Abend hindurch.
David Bowie lässt vor seinen Konzerten gerne vom Publikum via Internet bestimmen, welche Stücke zum Vortrage kommen. An sich ist das konsequent bei Eintrittspreisen von 100,-€ und mehr: Art goes jukebox- der Star als Dienstleister. Dylan fechten solche marktliberalen Fisimatenten nicht an. Er ist und bleibt Herr des Verfahrens, an der Setlist gibt es auch nichts zu beanstanden, ganz im Gegenteil. Was aber treibt ihn, das eigene Werk im harten, schweren Regen derart rigoros zu kannibalisieren, dass kaum noch etwas übrig bleibt von all dem Klassischen?
Vielleicht hängt es ihm ja selbst zum Halse heraus; manche dieser Kostbarkeiten gibt er auf der Bühne bald schon zum 2.000. Mal! Vielleicht handelt es sich aber auch um wütende, selbstzerstörerische Akte der Dekonstruktion gepaart mit aggressivem Widerwillen gegen die frühvergreiste, rückwärtsgewandte Fangemeinde, die das Lebenszeitidol am liebsten festtackern würde auf der 79er-Bühne at Budokan, es festlegen möchte auf das balladesk Hübsche der Desire-Phase. Bliebe der Künstler aber auf dieser Bühne stehen, gäbe es 32 Jahre musikalischer, gesanglicher Fortentwicklung nicht, mithin ein halbes Leben wäre unnütz verstrichen. Verweht im Wind, sozusagen!
Layout by ichichich.