September 2011 |
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Ein paar Wochen ist es her (FAS vom 15.08.2011), dass Frank Schirrmacher die perversen Geldmarkt- Kapriolen der globalisierten Finanzgeier als wirkungsmächtiges Resoziali-sierungsprogramm für die Linke bezeichnete. Haben die Linken doch Recht gehabt? stellte er damals sein sicherlich mühevoll erkämpftes und lange Zeit gegen alle möglichen Anfechtungen verteidigtes Weltbild infrage und mit ihm zugleich die in Generationen gewachsene bürgerliche Ideologie. Suggerierte Antwort: Ja, haben sie. Erstaunlich genug für das Resümee eines FAZ-Herausgebers.
Erst recht bemerkenswert an Schirrmachers Injurien ist, dass er bei den Klagen über die ungezügelte Gier einer hemmungslosen Abzocker-Kaste mitsamt dienstfertiger Polit- Akteure nicht stehen bleibt. Er konstatiert vielmehr einen einhergehenden Verfall bürgerlich- sittlicher Grundwerte: Der Banker als ungebildeter, unmanierlicher, roher Geselle, der zum Selbstzweck erst das Gemeinwesen in seinen Grundfesten erschüttert und dann, wenn er scheitert und der Rettung bedarf, nicht einmal den Anstand (als klassischer Bürgertugend schlechthin) aufbringt, sich zu entschuldigen, Demut zu zeigen- von Dank ganz zu schweigen. Dann die Politikerin (gemeint ist in erster Linie die Kanzlerin), die weder Kraft noch Willen zeigt, moralische Verantwortung einzufordern- vielleicht sogar als notwendige Vorbedingung für jedwede Hilfe. Die also auch die psychologischen Befindlichkeiten ihrer Wählerklientel kaum kennt, kaum einschätzen kann- offenbar: Kein Wort, nichts, niemand!
Gerade diese gewissermaßen ästhetische Dimension hatte ich in der Tat in all den Kommentaren und Talks zum Thema seltsam unberücksichtigt gefunden, auch wenn ich zu eben jener angesprochenen Klientel nicht unbedingt zähle.
Ein fulminanter Text ist das jedenfalls, eine Sternstunde für die Zunft politischer Korrespondenten. Klug und ehrlich in der Analyse, Mitleid erregend im durchschimmernden Leid am Zustand einer großen Idee (meinetwegen einer Ideologie), der der Autor jahrzehntelang leidenschaftlich anhing und der die FAZ gewissermaßen ihre Existenz verdankt. Mich hat´s damals beinahe von der Sonnenliege gekegelt...
Im Schwesterblatt (FAZ am 29.09.2011; Archivartikel Die sanfte Steuerung der Bildung leider kostenpflichtig) nun aktuell eine vergleichbare linke Systemkritik und zwar in Form einer unumstößlichen, radikalen Analyse der Bedingungen, unter denen die sogenannten Reformen des Bildungswesens in den vergangenen 11 Jahren vorgenommen wurden. Jochen Krautz, Fachhochschullehrer am Fachbereich Bildungswesen der Alanus-Hochschule/Bonn, legt dar, wie unter Federführung der Bertelsmann-Stiftung Verbände und Politik die diversen Schulleistungsstudien für ihre Zwecke deuten und aus diesen Interpretationen einen utilitaristischen, auf ökonomische Verwertbarkeit gerichteten Bildungsbegriff ableiten, den sie dann mithilfe professioneller Lobbyarbeit in Politik und Verwaltung verankern. So wird, anstatt sich kritisch und konstruktiv mit den Ergebnissen der Studien zu befassen und ggf. geeignete Konsequenzen zu entwickeln, eine "neue" Wirklichkeit geschaffen, ein neues Paradigma der Bildung- umrissen mit den Begriffen Kompetenz und Flexibilität. Eine demokratische Legitimation oder auch "nur" pädagogische Notwendigkeit dafür besteht nicht.
Das geht soweit, dass Arbeitsgruppen der Stiftung Kommunikationsstrategien für den Umgang mit sogenannten Veto-Playern, also potentiellen Protestlern, ersinnen. Die Spaltung der Opposition wird zu diesem Zwecke strategisch betrieben, indem hier diffamiert und dort umschmeichelt wird. Propaganda at it´s best! Anpassung, insbesondere der Universitäten, an arbeitgeberfreundliche Bildungsstandards ist das höchste Ziel.
Die Konsequenzen eines solchen Paradigmenwechsels in der Bildung liegen offen zutage- die PISA- Reformen an den Schulen fruchten nicht, weil bloßer Kompetenzerwerb fehlendes Wissen nicht ersetzt und Verwaltung keine Pädagogik. Die Bologna-Reformen an den Universitäten können nach nur ein paar Jahren getrost als gescheitert gelten; nicht nur die Ingenieure wenden sich mit Grausen ab und verlangen ihr Prädikat "Dipl-Ing" zurück. Auch Lehrer und Juristen wehren sich gegen ein Schmalspurstudium, in dem reine Gedächtnisakrobatik betrieben wird und kein Platz mehr bleibt für argumentative Entfaltung, Dissenz und Rhetorik.
Veto-Player also allerorten. Ganz so tot wie oftmals behauptet scheint die Kulturkämpfergeneration der 60er- und 70er- Geister noch nicht zu sein. Dass ihr Zentralorgan die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist; das ist allerdings neu!
Layout by ichichich.