Hurra, ich lebe noch!
Akt 1: Frau Doktor verabreicht ihre bitteren Pillen: 1.- eine unerfreuliche, dringend zu behandelnde Epithelschädigung liegt vor. 2.- die operative Prozedur mittels Lasertechnik ist schmerzhaft aber alternativlos. 3.- die Krankenkasse zahlt nicht. Die Krankenkasse zahlt nicht? Wie bitte? Wozu bin ich Mitglied einer Krankenkasse, wenn sie wichtige Operationen nicht bezahlt? Das weiß Frau Doktor nicht. Frau Doktor weiß nur: Die Krankenkasse zahlt nicht. Besagte Leistung ist nicht enthalten im Katalog meiner speziellen Kasse. Sie ist sehr wohl enthalten im Katalog anderer Kassen, aber nicht in dem der meinen. IGEL ist somit angesagt. IGEL bedeutet "Individualisierte Gesundheitsleistung", ist also nichts weiter als ein stacheliger Euphemismus für "Krankenkasse zahlt nicht- mach´s doch selbst!". Unterschreiben Sie hier, bitte. Übrigens: Haben Sie schon 10,-€ Maut entrichtet?
Akt 2: Hören Sie, das kostet 312,-€. Ich bezahle als freiwillig Versicherter bei Ihnen 600,-€ jeden Monat- und zwar seit Jahren. Warum sollte ich das länger tun, wenn ich dann im Ernstfalle doch alles alleine übernehmen muss? Man wird nun technisch, umlullt den verärgerten Kunden mit pseudomedizinischem Gequatsche: Die Leistung ist bei uns nicht im Leistungskatalog enthalten, weil das zu entfernende Gewebe mittels Laser zerstört wird und einer histologischen Nachuntersuchung nicht mehr zur Verfügung steht. Warum arbeitet Frau Doktor nicht mit dem Skalpell? Ich begleite das Fräulein von der Talkline auf dieses rutschige Eis. Schließlich bin ich gutwillig, kooperationsbereit. Und motiviert! Wenn zwei keine Ahnung vom selben Gesprächsgegenstand haben, kann schließlich doch noch etwas dabei herauskommen. Also tief Luft geholt: Es drohen in der sensiblen Gesichtsregion kosmetische Komplikationen, wenn da mit Messern gefuhrwerkt wird. Und: Eine Gewebeprobe ist bereits entnommen, ja, sogar bereits analysiert! Und: Die von Ihnen vorgeschlagene Methode ist TEURER als die Laser- Operation. Und schließlich: Frau Doktor verweigert sich ihrer! Resignation bei so geballter Renitenz: Ich verbinde mit meinem Chef. Der Chef braucht jeden Depp, der ohne nennenswerte Gegenleistung freiwillig aufkommt für das Riesenheer der zuspruchbedürftigen Viertel- Halb- und Dreiviertelkranken, das sich jeden Morgen und jeden Nachmittag tummelt in den muffigen Praxiszimmern (was machen all diese Leute eigentlich mittwochs?), kurzum: er zeigt sich kompromissbereit für den Fall, dass Frau Doktor ihre medizinischen Argumente kurz aufschreibt. Gerade noch mal die Kurve bekommen, mein Freund- die DKV- Gangster residieren schließlich gleich nebenan. Die können privat noch besser! Alles wird gut. Alles wird gut?
Akt 3: Ich darf Ihnen das nicht aufschreiben. Das würde bedeuten, dass ich aus einer IGEL durch die Hintertür eine Kassenleistung konstruiere. Das ist durch Vertrag mit der ... Nein, nein, liebe Frau Doktor: IGEL ist perfekt! Ich zahle bar. Für meine private Kassenabrechnung wäre es aber hilfreich, wenn Sie kurz niederschrieben, warum in diesem besonderen Fall eine Laserbehandlung das Mittel der Wahl ist. Nein, ich schreibe das nicht auf. Sie können privat mit der Krankenkasse abrechnen. Ja, genau, darum geht es ja. Ich ... Das Schaltergirlie kommt maulend zuhilfe (aber nicht mir): Ihre Krankenkasse zahlt nicht! Vielleicht zu früh, aber ich gebe auf. Frau Doktor, bitte lasern Sie. Später dann (sediert von selbst verordneten Schmerzmitteln, selbstverständlich selbst bezahlt!): Ich formuliere mir die Seele aus dem Leib für die Granden des medizinischen Dienstes. Es sind ja Ferien und ich bin mittlerweile- nun ja, medizinisch durchaus vorgebildet!
Intermezzo: Ohrenentzündung. Ganz, ganz seltene Sache bei mir. Zuletzt so vor 34 Jahren. Das App schickt mich gleich ums Eck zum Ohrenspezialisten (Seltsame Lebensentscheidung: "Nun, werde ich doch mal Fachmann für die Hörkanäle der Leute..."). Auch hier denkt man durch und durch pragmatisch, das Elend der zahlenden Kundschaft bleibt zu allererst einmal... Nebensache: 10,-€ Praxisgebühr, bitte sehr. Ja, die habe ich aber schon bei Frau Doktor entrichtet. Einmal im Quartal reicht doch? Ich lege die Quittung vor. Das reicht NICHT. Da brauchen Sie (nicht etwa "wir") eine Überweisung. 10,-€, bitte.
Akt 4: Ich darf Ihnen die Salbe nicht geben, weil Frau Doktor per Rezept auf Reimport dieses speziellen Firmenproduktes besteht. Hier, sehen Sie? Dieses Kreuz auf dem Rezept bedeutet: Nur von dieser Firma. Wann die aber liefert? Das weiß kein Mensch. Die produziert im Ausland. Ja, und jetzt muss ich sterben, oder wie? HiHiHi- ich ruf da mal an. 20 Minuten später: Also, die Praxis sagt, sie schickt ein neues Rezept. Mit dem kommen Sie dann wieder, ja? Ja!
Akt 5: Also, ich hab Frau Doktor noch einmal gefragt. Ich darf Ihnen kein neues Rezept ausstellen. Die Apotheke kann Ihnen aber einfach das Medikament vom Originalhersteller geben. Sie bezahlen dann einfach die Differenz. Nun, die Apotheke besteht aber darauf, mir die Originalsalbe nicht verkaufen zu dürfen, weil das von Ihnen auf dem Rezept vermerkte Kreuzchen die Wirkung hat, dass sie sich andernfalls strafbar mache. Drucken Sie es doch einfach ohne dieses vermaledeite Kreuz aus und alle sind glücklich. Sehen Sie, das ist genau andersherum...
Sonst selten gegebene Akte 6 & 7 folgen auch noch und zwar spätestens dann, wenn eine belastbare Entscheidung der Krankenkasse vorliegt und ein zweiter Arzt wegen medikamentöser Unterversorgung der Wundstelle den Behandlungserfolg bedroht sieht. Aber es hat ja auch niemand behauptet, dass es sich um ein normales Drama handelt!