Besserwisser-Post
Ich habe zwei Zeitungen abonniert; eine spießiger als die andere. Zum einen den Kölner Stadt-Anzeiger, der sicherlich in Kürze Kölner Werbe- und Service-Anzeiger heißt. Ich finde in meinem Kram einfach den Abo-Vertrag nicht mehr, auf den ich meine Kündigung beziehen müsste. Geht halt immer so weiter.
Zum anderen die FAZ, die einfach hinreißend schön daherkommt. Ich liebe dieses ausgeklügelte Spiel der Linien, der Schriften, der Spalten- diesen Teint, dieses dezidiert Schwarz-Weiße. Sehr, sehr elegant, keine Frage. Alles, was dort Meinung ist, reizt mich und viel mehr kann ich über eine gute Zeitung schon gar nicht sagen- jedenfalls nichts, was ja nicht auch schon so hinlänglich bekannt ist!
Warum spießig? Weil sie natürlich auch nicht aus ihrer Haut kann und immer und immer wieder die Klischees von Wille & Leistung bedient; das ein wenig schüttere, grau melierte Haar fein nach hinten gestriegelt, ein Einstecktüchlein im dunkelblauen Sakko mit den goldenen Knöpflein, fein braun gegerbte Haut, der Sylter Typ ohne Körperschmuck (vom Siegelring mal abgesehen), E- noch lieber S- Klasse (nicht BMW!). Ein Herr, ein Mann. Ein Mann mit Vergangenheit. Ein Herr, der sich um die Zukunft nicht mehr scheren muss. Oder kennt jemand eine "weibliche" Seite der FAZ? Oder wenigstens eine Frau, die sie liest?
Doch warum auch nicht so? Seit Herausgeber Schirrmacher öffentlich vermeinte, dem entschlüsselten menschlichen Genom komme mehr Relevanz (und damit: mehr Raum) zu in seiner Zeitung als dem neusten Grass-Roman, zeigt sich hell und klar ein ganz anderes Dilemma, an dem man sich in den Redaktionsstuben zwischen Kuala Lumpur, Los Angeles und der "einzigen deutschen urban city" -FFM- abarbeitet: Zu echter Wissenschaft nicht berufen rechnet man wenigstens ab mit dem, was früher identitätsbildend wurde doch nunmehr Schmerz bereitet; der Leidenschaft zum Spielerischen, zum Hermeneutischen, zum Literarischen, zum Unklaren. Mit all dem, weshalb man vor Äonen Journalist geworden ist und nicht etwas anderes. Das ureigene Sujet wird dazu verächtlich gemacht, genussvoll beiseite gedrängt, diffamiert. Seriös der Realitätsmensch, nicht der Möglichkeitsmensch. Gestartet ist so sicherlich niemand, aber Biographie ist ja häufig schmerzlich. Ich mag diese leidenden, klugen Weltbildverkäufer, doch ich ärgere sie ab und an auch ganz gerne. Zum Beispiel so:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Heike Schmolls Leitartikel ("Der schulische Wildwuchs", FAZ v. 3. Juni 2011) bedient das weit verbreitete Klischee, die Abiturleistungen in den Bundesländern seien auch nach flächendeckender Einführung zentraler Prüfungen nicht vergleichbar und impliziert darüber hinaus, namentlich in Bayern wären die Prüfungen schwieriger zu meistern als in NRW. Leider belegt Frau Schmoll diese doch recht folgenreiche These nicht einmal im Ansatz. Auf eine vergleichende Evaluation der Prüfungen jedenfalls kann Sie sich nicht beziehen, da es eine solche Untersuchung (noch) nicht gibt. Aus diesem Grunde habe ich als erfahrener Deutsch-Fachprüfer und Entwickler zentraler Abituraufgaben in NRW den Artikel zum Anlass genommen, die Anforderungen beider Länder im Fach Deutsch (Schuljahr 2009/2010) miteinander zu vergleichen.
Die Stichprobe weist zunächst einmal weitgehende Parallelen auf, was Umfang, Stoff und erwartete Methoden- bzw. Fachkenntnisse betrifft. Anders als offenbar in Bayern aber ist es in NRW üblich, zusätzlich zu den Anforderungsbereichen "Darstellung" und "Transfer" ausdrücklich eine vertiefende Reorganisation der dargelegten Ergebnisse vorzunehmen und zwar im Sinne einer weiterführenden Kritik bzw. Reflexion. Insofern kann für das Unterrichtsfach "Deutsch" im genannten Zeitraum getrost von einem intellektuell gar höherem fachlichen Anspruch in NRW ausgegangen werden. Differenziertere Ergebnisse zu den tatsächlichen Leistungsansprüchen müsste aber ein detaillierter Vergleich der Erwartungshorizonte für die Lehrerhand erbringen; bevor der nicht vorliegt, sollte weniger suggestiv formuliert werden.
Mit freundlichen Grüßen
ja, mit freundlichen Grüßen.