Von Köln Nord nach Düsseldorf sind es nur wenige S-Bahnstationen. Trotzdem fahre ich selten nach Düsseldorf; warum sollte ich auch- dörflich ist es hier genug. Nun aber war es doch mal wieder so weit und ich pilgerte zum Bahnhof des kleinen Vorortes, in dem ich lebe, um ein Ticket zu ziehen und mich auf die Reise in die Diaspora zu machen.
Durch das Fahrschein- Automatenmenü konnte ich mich dank in Jahren erlangter Bildschirmkompetenz innerhalb von nur 6 Minuten durchfummeln. Zu zahlen, so vermeldete der Schlussbildschirm, sollten sein: 10,-€. 10,-€! Ich fragte mich natürlich sogleich: Warum nicht 20,-€? Oder 30,-€? 10,-€ zahlt niemand für ein paar Kilometer S-Bahn-Fahrt, außer er muss sie eben aus kurzfristig eintretenden Gründen machen, kennt sich nicht weiter mit den Tarifen aus (will sich wohl auch gar nicht auskennen) und sagt sich: Komm, ist egal. Das nächste Mal wieder in 3 Jahren. Solche Leute aber zahlen auch 20,-€ oder 30,-€. Die nächste Überlegung war: Du hast dich irgendwo vertippt. Da gibt es ein zweites Dorf an einer anderen Düssel; irgendwo in Rheinland-Pfalz. Also: Neustart. Ergebnis aber: Dasselbe.
Die S-Bahn dann war leer. Kaum jemand fuhr (und fährt) freiwillig von Köln nach Düsseldorf, jedenfalls nicht abends am Wochenende. Selbst die tausende Song-Contest-Gäste D´dorfs pendeln zwecks Freizeitgestaltung abends gerne andersherum, wie man hört, aber 1. ist das ein Klischee und 2. hat´s mich gefreut, denn eine stille Bahnfahrt ist 1000-mal schöner als eine hektische im Stehen.
Selten fahre ich also Bahn aber wenn, fällt mir auf (und auch diesmal wieder): Die offenbar regelmäßiger als ich auf den VRS angewiesenen Menschen verhalten sich zu geschätzt 89% irgendwie unangemessen, sozial auffällig (jedenfalls nach meinen-wahrscheinlich spießigen- Vorstellungen) und teils offen delinquent. Das reicht von einem zwanglosen Ausstrecken der beschuhten Gräten über die Sitze, rücksichtsloses Quäken in mobile Telefone ("hab doch gesach bin um 6 da."), unappetitliches Döner-Verschlingen, Konsum alkoholischer Getränke, lautes Abspielen von MP-3- Krawalllärm, Lesen im Stehen auf dem Bahnsteig, ohne auf Passanten zu achten, ungezügeltes, gieriges Anglotzen von Frauen sowie Betteln und Leergutsammeln unter dem Sitz, auf dem ich mich meines Ausblicks auf dieses Panoptikum erfreue, bis hin zum Wildpinkeln auf dem Bahnsteig, Zertrümmern der Fahrscheinautomaten und Verwüsten sowie Beschmieren anderer Bahnanlagen- von Schlimmeren wird man ja Gott sei Dank nicht täglich Zeuge. Ob die gesammelte Kundschaft schön artig die 10,-€ entrichtet hat?
Die Probleme sind aber auch hausgemacht, wie dieses Bild beweist, das ich bei Neuss geknipst habe. Die Sonne taucht um 20 nach 6 die Szenerie in gleißendes Feuer, doch die Hochleistungsbeleuchtung auf dem Bahnsteig verrichtet schon ihren stromfressenden Dienst für... ja, für wen eigentlich? Würde man das Licht tagsüber ausmachen, könnte man mein Ticket vielleicht schon um 2,-€ verbilligen.
Ich gebe zu: Nach 25 Minuten, also kurz vor meiner Ankunft, war meine Sozialisation in diesem Umfeld schon ganz gut angepasst: Unbemerkt von mir selbst sackte ich auf dem Sitz zusammen, gelangte in eine lümmelnde Haltung und setzte einen Fuß auf´s Polster.
Wieder halbwegs bei Sinnen zahlte ich im Bahnhof Düsseldorf 1,-€ für das Klo. Ein ausnehmend freundlicher Mensch dort hielt die Anlage in Schuss- das nennt man wohl Privatisierung. Auf dem Rückweg bin ich schwarz gefahren.