Erfinde mir einen Traum
die wirklich unfassbar spießigen ZDF- Polizeibeamten des Freitag- und Samstagabends mag man mit Fug und Recht hassen und wenn es da ein wenig frischen Wind gibt- umso besser. Und dass es Klischees sind, die unsere Welt ordnen, ist ja schon eine Binse. Wir wollen in der Freizeit (und auch sonst nirgends) nunmal nicht verwirrt werden, sondern unsere Images vom ermittelnden Weichherz, Schöngeist/Weintrinker, Schürzenjäger, Misanthropen, allein erziehenden Vater und so weiter und so fort sowie von deren weiblichen Pendants gefälligst bedient wissen. Auch dass das Genre selbst, welches früher mal "Krimi" hieß und heute "Gesellschaftsdrama" oder "Film", zum 20.15- Uhr-heißes-Eisen-der-Mörder-ist-IMMER-ein-Beziehungstäter-und-die-Problematik-ist-in-der-Welt-Klischee mutiert, scheint kaum Widerspruch heraufzubeschwören. Wir sind eben deutsch und also ernsthaft durch und durch (jedenfalls insoweit wir uns zur Zielgruppe zählen dürfen) und das Unbestimmt-Leichte, das Metaphorische, das Cineastische ist eher etwas für die frivolen Bewohner des Südens. Bleiben Sie anspruchsvoll.
Gut, dass sich da dann immer gleich im Anschluss irgendeine Anne findet, die uns hilft, die fiktiv erzeugte Betroffenheit in die "Realität" hinüberzuretten, wo sie dann wenigstens bis zum Montag morgen in uns webt und wirkt.
Dass aber die Tatort-Kommissare nun aussehen wie Jon Bon Jovi, Bierdosen schwenkend, halb- oder sturzbesoffen in der Wohnung der attraktiven Gemeuchelten ein Solo-Trauer-Tänzchen zu einer bärenstarken Rock-Grölstimme hinlegen (der dekorative Langhaarpony in schönster filmischer Symbiose bedeckt den schimmernden Tränenfilm)... ja, an wen richtet sich das? An die RTL-Gucker? Aber ich habe doch gar nicht umgeschaltet? Vielleicht hätte ich´s mal besser getan. Freilich erlöst uns Zuschauer (sowie den armen Galan) im Frühvergreisten-Programm bald schon die nicht minder schöne, mütterliche (eben ein bisschen ältere) Chef-Kollegin, ruft Gott sei Dank zur Vernunft, zum Zusammenreißen (bei allem Verständnis, natürlich). Die sexualisierte Atmosphäre schwächt sich ab, ein wenig. Aber wer weiß: Geht wenigstens hier was? Man sähe es durchaus gerne, jetzt, da der verhinderte Lover ja schon mal so schön in Fahrt ist. Die Situation ist hoffnungsvoll, für alle Beteiligten, die Situation günstig. Ein Hoch auf die schöne, mütterliche Hauptkommissarin.
Nun, bald schon wird sie wenigstens geduzt werden von dem betroffenen, authentischen jungen Kollegen, das ist sicher. Der aber stolpert vorerst noch durch die Kulissen, befragt Zeugen in heftigster Erregung und dezidiert underrickhaft, gerne an der Theke, nach ihren Hobbys ("Ach, und da haben Sie sie flachgelegt, was?").
Und auch sonst und danach lädt uns der hübsche Kriminale quasi minütlich ein zum beschämten Fremdschämen. Schamgrenzen nämlich werden hier im kalkulierten Tabubruch des deutschen Ex-Krimis gerissen, jedenfalls bei denen, die noch Zeit und Gelegenheit hatten, welche zu ziehen. Und daher ja ist er mir aufgefallen, dieser flache Unsinn, dieser billige Versuch, billige Klischees aus dem Gurken-TV zu platzieren. Dieses unerträgliche Heranschmeißen, diese groteske...
jagothello am 27. April 11
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... Distanzlosigkeit
Vor noch nicht so langer Zeit gab es zwischen Zuschauern und Rasen im Stadion eine sogenannte Tartanbahn. Sinnbild einer deutschen Erfindung in der mythischen Kultstätte der Teutonen, nämlich jenes öffentlicher Distanz. Heute gibt es diese sozialdemokratischen Relikte aus der fernen Zeit, in der ein Stadion nicht "Signal-Iduna-Park", sondern "Westfalenstadion" oder "Parkstadion" hieß und ein öffentlicher Ort des Sports war statt Eigentum eines russischen Oligarchen, längst nicht mehr; nur noch Rasen gibt es. Das nackte! Keine Distanz mehr, dafür inszenierte Nähe und nicht nur im Stadion. Das Fernsehen hat den kollektiven Taumel erfunden und etabliert. Wir fallen uns nun um den Hals und bekennen frank und frei: Ich mag dich, bin dir zugewandt, find dich klasse, hab dich lieb. Simulierenderweise natürlich nur, denn mehr Sympathie empfinden wir für unser Gegenüber deshalb noch lange nicht.
Als lebte meine Kohorte in Catania wird gedrückt, geherzt, geküsst. Das Händeschütteln ist spießig, verpönt, passé, was für Nerds. Cool ist es, locker zu busseln und zu streicheln. Mich haben Kriegskinder erzogen, Akademiker, komplexe Menschen. Da war nicht viel mit Knutschen und Kuscheln, schon gar nicht mit Fremden. Wahrscheinlich aufgrund dieser Prägung ist besagter Körperkontakt mir oft ungeheuer, häufig lästig, manchmal zuwider. Aber wie sich wehren? Die soziale Konvention zu brechen ist meine Sache nicht und so ertrage ich unerträgliche Situationen. Oft vertrackte: Ihr ein Begrüßungsküsschen? Gerne! Ihrer Freundin? Ich kenne sie doch kaum. Ich will das nicht. Und sie vielleicht auch nicht? Ein flüchtiges Küsschen gar könnte sie als unpassende Indiskretion eines Fremden zurückweisen. Sooo etabliert ist das zärtliche Ritual noch nicht. Schon also wird´s ausgesprochen beklemmend. Und dann: Wie reagiert sie auf meine nun beschlossene Verweigerung der doch geforderten Geste? Wie unsere gemeinsame Freundin? Wird das zwischen uns stehen? Und vor allem: Was passiert beim Abschied? Mit Gewalt, liebe Klischee- und Normerfinder allerorten, geht da gar nichts, das steht mal fest.
PS: Die in Ehren ergrauten Beastie Boys lassen sich von mir inspirieren. Heute sagen Sie im Interview, bzw. einer von Ihnen, gegen Begrüßungsküsse sei nichts einzuwenden. Selbst Lippenküssler und Lippenküsslerinnen treffe man immer wieder gerne. Der Zwang zum Kuss, der formelle Ritus aber sei nervend. Sag ich doch.
jagothello am 27. April 11
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