Bye bye, Truthahn
Der Truthahn, welcher nun schon seit 1000 Tagen wächst und gedeiht, erfreut sich seiner gott- und menschengegebenen Existenz. Jeden Tag Futter, ein schön gemachtes Nest und vielleicht auch mal einen Quickie mit der Nachbarhenne. Alles das von Menschen Gnaden. Keinerlei Anzeichen dafür, dass das nicht ewig so bleiben sollte. Er wiegt sich in Sicherheit, denn von archaischen Opfer- und Fressriten seiner Versorger hat er noch nie gehört. Am 1001. Tag jedoch wird das Federvieh gemeuchelt, ausgeweidet, gebraten und vertilgt. Was ist da schief gelaufen?
Verhindern hätte es die Katastrophe wohl nicht können; auch dann nicht, wenn es Einsicht in menschliche Absichten hätte erlangen können, vielleicht wäre es beizeiten auch weggeflattert oder hätte das wenigstens versucht. Darum soll es hier aber nicht gehen.
Was mich an dem Truthahn fasziniert ist sein rigoroses Festhalten an der Induktion! An einem Denkmodus, in dem er von seinen speziellen Gegebenheiten meint, auf das Allgemeine, das Gültige, die Regel zurück schließen zu können. Bertrand Russell wies im Hinblick auf die unglückliche Hühnerbiographie auf die Gefahren solchen Denkens hin und das offenbar zurecht!
Das gegenläufige didaktische Konzept ist die Deduktion. Ein Verfahren, welches den umgekehrten Weg geht. Eine Regel wird in möglichst allgemeiner Form verinnerlicht, um so Schlüsse für spezielle Einzelfälle zu ermöglichen. Unser Hähnchen hätte sich in diesem Sinne bemühen sollen, tradierte kulturelle Gewohnheiten seiner vermeintlichen Gönner kennenzulernen, zum Beispiel aus einem Buch oder einer Erzählung vielleicht der Nachbarhenne, die da vielleicht schon einmal etwas gehört hat... Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu informieren.
Letzteres ist nicht immer attraktiv. Wir alle kennen das aus den verschiedenen Lernkontexten, zum Beispiel der Schule. Ein Sachverhalt bewegt sich, so jedenfalls die Theorie, quasi im Uploadverfahren von einer Quelle (Lehrerhirn, Buch) in das Zielverzeichnis, das eigene Köpfchen. Solch ein Verfahren hat seine Tücken, erschien mir auch immer schon erkenntnistheoretisch unsauber, da Lernen nun mal mit Erfahrung, mit Anschauung und Anwendung zu tun hat. Das wissen wir seit Piaget sicher und es entspricht auch der täglichen Erfahrung. Mit der Regel: "Eine lineare Funktion ordnet jedem Eingabewert exakt einen Ausgabewert zu" kann beispielsweise kein Mensch etwas anfangen. Dass Bildungsmedien auch im Jahre 2011 noch solches aussondern, ist nach wie vor Anlass für heftigen Verdruss, nebenbei.
Dabei geht es auch ganz anders. Wenn man Lernenden geeignetes Material gibt und intelligente Aufgabenstellungen wählt, können echte Bildungserlebnisse, in dem Sinne eben, dass ein suggestives "Bild gemacht" wird, in Gang gesetzt werden.
Ein Beispiel (über Beispiele lernen wir): Die unverfängliche Arbeitsanweisung, verschiedene Handytarife vergleichend zu visualisieren, wird unter Garantie zu einem linearen Schaubild führen und schon ist der Kern des Funktionsbegriffs gesichert; Begriffe, Konventionen und mathematische Konzepte kann man dann bequem "nachschießen"- die Lernenden gehen dem Gegenstand zunächst aber buchstäblich auf den Grund und genau das ist das Entscheidende beim Lernen.
"Induktion" also ist mein didaktisches Credo, keine Frage. Sie ist es, die uns hilft, Weltwissen aufzubauen und echtes Verständnis. Anders ist "Wahrheit" nicht zu haben.
Der arme Truthahn aber- erst totgegrillt und dann auch noch für schiefe Analogien missbraucht. Er hatte vor allem keine fähigen Lehrer! In seiner Versuchsanordnung gab es weder geeignetes Material noch eine erkenntnisleitende Aufgabenstellung- es gab nicht einmal eine Aufgabe. Nur das Vegetative. Und warum auch nicht? Er wird "seine" Welt schon gehabt haben, wenn auch nur für 1000 Tage.
jagothello am 31. Januar 11
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