Guugu-Yimithirr
Deutsch ist eine komplexe Sprache. Man zähle nur einmal zusammen, für wie viele kleinste Farbnuancen es eigene Begriffe gibt, die ein kompetenter Sprecher allesamt kennt. Oder die ungezählten Konstruktionen mit "haben" und seiner 13 oder 14 Formen in den diversen Tempora, für welche dem Engländer ein einziges "had" reicht (womit nichts über die 1 Millionen Fallstricke des Englischen gesagt ist). Die aus dem Lateinischen entlehnten Modi der Verben, die überaus flexibel handhabbaren sytaktischen Regeln- von wegen Subjekt - Prädikat - Objekt.
Die US-amerikanischen Linguisten Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir ließen sich von dieser Komplexität zu der Behauptung inspirieren, die Muttersprache gebe vor, zu welchen Gedanken und Einsichten ein Mensch fähig sei. Erkenntnis abhängig von Sprache- dies war das Credo, welches ausdrücklich "Linguistische Relativität" genannt wurde- eine bewusste sprachliche Parallele zur "Allgemeinen Relativitätstheorie" und den Gegenständen, die diese behandelt.
Wie Guy Deutscher, isrealischer Sprachforscher aus Oxford in seiner Abhandlung "Im Spiegel der Sprache" nun darlegt, haben Sapir/Whorf aber weit über das Ziel hinaus geschossen mit dieser These und sich einigermaßen blamiert. Es gibt nämlich keinen Grund beispielsweise anzunehmen, dass der antike Dichter Homer die mannigfachen Azurtöne seiner mediterranen Umgebung nicht hat wahrnehmen können, obwohl seine "Odysse-Helden" allesamt keine spezifischen Farbwörter "blau" kennen (andere aber übrigens durchaus).
Vielmehr, so sagt es Deutscher, liege der Zusammenhang zwischen Denken, Erkennen, Fühlen und Sprache in den Zwängen, die die Muttersprache für uns bereithalte. Ein Beispiel ist das indigene Aborigine- Guugu-Yimithirr, das keine Richtungswörter kennt, die in Relation vom Sprecher gesagt werden, also etwa "vor mir", "geradeaus" oder "erst gehst du rechts und dann befindet sich zur Rechten der Fluss". Seine Sprecher arbeiten mit absoluten Richtungswörtern: "Nördlich von deinem Fuß krabbelt eine rote Ameise." Dies zwingt die Menschen dazu, einen inneren Kompass zu tragen, der ein jederzeitiges, spontanes Angeben von Orts- und Richtungsangaben ermöglicht und tatsächlich ist ein solches virtuelle Orientierungssystem für diese Menschen belegt.
Was aber ist der deutschen Sprache immanent? Welche Zwänge übt sie aus? Welche Erkenntnisbahnen legt sie an? Ich meine schon, dass ein differenziertes Verhältnis zur Welt erzwungen wird von dem, der z.B. all die neben- und unterordnenden Konjunktionen kennt, die das Deutsche entwickelt hat, um über die eindimensionalen Parataxen des Neuen Testaments hinwegzukommen. Man denke nur einmal an die vertrackten pragmatischen Signale, die das unscheinbare "dass" subtil aussendet von erfahrenen Sprechern (von den Schreibern mal ganz zu schweigen!).
Vielleicht liegt in den komplexen Möglichkeiten der europäischen Sprachen ja sogar der Schlüssel für die Uneinigkeit der Menschen, die ins Kleinste differenzieren müssen, um so jeden Gedanken anstößig werden zu lassen, gesättigt mit Facetten, von denen das Gegenüber nichts wissen will. "Frohe Weihnachten"! "Ja sicher, aber..."
jagothello am 23. Dezember 10
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