Genießen & Erleben
Weniges nervt so sehr wie Werbung im TV; mich jedenfalls. Sie ist immer irgendwie deplatziert, kommt zur Unzeit. Wenig aber auch ist so aufschlussreich, gibt Auskunft über die Befindlichkeit der Zielgruppe (und wer wäre nicht Zielgruppe?)- ihre Neigungen, Neurosen, Ängste, Klischees, Hoffnungen und Wünsche. Die waren noch bis vor kurzem greifbar; fassbar im Produkt. Der Audi als Chiffre für einen Lebensentwurf, das Waschmittel als Vehikel guter, deutscher Bürgerlichkeit (gibt`s eigentlich TV-Werbung mit Ausländern?). Irgendwie war das logisch und einleuchtend- der Materialismus macht Sinn, wenn es um den Absatz von Produkten geht.
Nun aber hat sich die Verkaufsstrategie geändert. Es geht gar nicht mehr so sehr um das Produkt- um die Zahncreme, die Versicherung, das Fertiggericht. Im Vordergrund stehen die "user", all die Leute wie du und ich, die da erleben und genießen. Ihr Erleben und Genießen zu inszenieren: darum geht es in der TV-Werbung anno 2010. Es blitzen die Zähnchen und die Kinderaugen leuchten (und die der Ehefrau: "erst die Frau verwöhnt, jetzt ist meine Haut dran"- Sexismus geht immer!).
Sicher- immer schon gab es Konsumierer im TV-Spot. Attraktive Konsumierer allerdings mit relativ geringem Identifikationspotential. Wer kann sich schon wie eine ewig junge Tennisprinzessin baden im dolce vita und nachts den Lieblingsitaliener wecken? Wer sieht schon aus wie das D&G Modell und lümmelt den lieben langen Tag im südlichen Gefilde? Eben- und deshalb ist`s ein gestriges Konzept.
Die neuen Werbehelden sind immer noch jung, natürlich. Sie sind aber wesentlich weniger attraktiv, kaum privilegiert, schon gar nicht prominent- Distinktionsmerkmale deutlich zurückgenommen. Sie setzen materielle Standards, das schon (man (!) hat Auto, Haus, Freunde usw.). Neid ist aber ganz fehl am Platze, denn grundsätzlich unterscheidet sich der Nokia-Telefonierer, der Ergo-Versicherte, der Maggi-Köchling nicht mehr vom genormten Mittelstands-Kleinbürger westdeutscher Prägung (den natürlich Werbung auch wieder erst definiert)- abgesehen davon eben, dass er auf das spezifische Produkt zurückgreift. Und das können wir Umworbenen ja auch.
jagothello am 23. Juli 10
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