Bewusstseins-Nirgendwo
"Ich mag keine Russen. Ich mag keine Steuern. Ich mag keine Inflation." Ronald Reagan, dessen politische Leitthemen dieses Zitat wohl ganz gut zusammenfasst, wäre heute 100 geworden.
Ich habe ihn nicht gemocht. Er war aggressiv, chauvinistisch, verstockt, rückständig, ungebildet- unter anderem. Aus heutiger Sicht muss man aber wohl auch ergänzen: maßstabsbildend; ein viel kopiertes Original. Das enorme Staatsdefizit der USA bekämpfte seine Administration, indem sie die Steuern halbierte, um Investitionsräume zu schaffen; dies dämpfte zunächst einmal höchst wirkungsvoll die Arbeitslosigkeit und brachte andere günstige Effekte, wodurch wiederum das Steueraufkommen stieg. Flankiert wurde dies durch eine enorme Subventionierung des Rüstungssektors (man erinnere sich nur einmal an die Pläne des Hollywoodblenders für einen "Krieg der Sterne"), gewissermaßen eines staatlichen Konjunkturprogramms schwindelerregenden Ausmaßes für die gesamte heimische Wirtschaftsleistung. Das passte natürlich hervorragend zum Credo Teil 1!
Da Reagan zunächst also erfolgreich agierte und so ganz nebenbei die USA zu verschütt gegangenem Selbstbewusstsein zurückführte, avancierte er zügig zum Hohepriester der Konservativen weltweit. Sein ökonomisches Mantra beteten sie fortan alle, am lautesten vielleicht in London und Bonn. Sozialliberale, gar linksliberale Regierungen jedenfalls waren ab den frühen 80er-Jahren bis auf weiteres passé in den führenden Wirtschaftsräumen.
Wahrgenommen haben Reagan viele Menschen meiner Generation aber ganz anders, nämlich als Kriegstreiber. Ich persönlich verstand gar nicht, dass er ins Rennen ging, um eine Wirtschaftskrise zu lösen. Das war ein irgendwie vulgärer Aspekt politischen Treibens; Detailkram, nichts für uns Wohlstandsjünglinge, etwas für Freaks, kein Thema. Uns ging es schließlich um das Ganze, um den Weltfrieden, mindestens.
Was da in diesen Jahren aber in allererste Linie losgetreten wurde, verstand und verstehe ich erst Jahre später so einigermaßen: Ethisch, rechtlich und ökonomisch nicht zu vertretende Förderung der Reichen, Anhäufung von privater Kapitalmasse, die ohne jeden öffentlichen Auftrag und Nutzen die Finanzmärkte überschwemmte, Privatisierung aller relevanter Versorgungs- und Dienstleistungsbereiche wie Telekommunikation, Verkehr, Gesundheit und Energie bei selbstverständlich explodierenden Preisen und implodierenden Leistungen. An den Folgen arbeiten die Gebühren-Beitrags- und Steuerzahler sich ab, während die einst Entlasteten von Transfer- und weiteren Bonizahlungen profitieren. Wodurch das Teufelskreise zeichnende Rad wieder in Schwung kommt...
Es geht aber beileibe nicht nur um Perversitäten materieller Art wie globale Finanzcrashs oder die Abenteuerfahrten mit der DB, mir fällt krasser Mentalitätswechsel auf: Die Menschen mutieren zu Schnäppchenjägern, zu Sozialdarwinisten. Entsolidarisiert und "privatisiert" treiben und surfen sie so vor sich hin. Doch wohin? Vielleicht in ein Bewusstseins- Nirwana, das der verhinderte Jubilar selbst in seinen letzten 10 Jahren ja ausgiebig hat bereisen müssen? Welch großartige Metaphern doch das Leben schreibt!
jagothello am 06. Februar 11
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