Daten-Burka
Die Welt verändert sich. Das ist der Grund dafür, dass Menschen über 40 so oft "früher" sagen. Mit diesem früher verbunden ist sicherlich Wehmut. Früher: Das ist die Zeit, in der wir noch bei uns waren, die wir kannten und kennen, die wir verstanden und verstehen. Wahrscheinlich sagten die über 40-Jährigen aller Generationen schon immer gerne "früher", denn Fortschritt gibt es immer und also genügend Grund, sich über den Weltenwandel zu beklagen und den Blick verklärend zurück zu wenden.
Googles-neustes Elaborat, Straßen-Gucken im Internet, gibt Anlass, mal wieder an früher zu denken, als all das noch nicht möglich war; vor allem technologisch nicht. Als aber die Menschen auch ganz allgemein noch keinen Blog-Account und digitale sozialen Netzwerke kannten, sondern ihre Weltanschauung mittels Buttom am Jackenrevers und Autoaufkleber zu Markte trugen. Als man noch zu Hunderttausenden auf die Straße ging, weil ein Volkszähler wissen wollte, ob man mit Öl oder mit Gas heize.
Zum Auf-die-Straße-gehen freilich hat man heute keine Zeit mehr, die stiehlt das Netz. Und aktuell zumindest gibt´s auch gar keinen Grund dafür, jedenfalls nicht wegen dieses Surrogats einer Volkszählung. Street-View ist nämlich wirklich so dürftig! So langweilig! So wenig paradigmenbildend! So wenig bedrohlich! Hausfassaden sind zu sehen aus der Nachbarschaft, banal wie in der analogen Realität. Jedenfalls, sofern Mieter/Eigentümer nicht auf der "Datenburka" (SZ vom 20.11.2010) bestanden und ihren Besitz haben verpixeln lassen, auf dass er jetzt, wenn schon nicht die reale, so doch die virtuelle Umgebung verschandele. Als ob der Blick auf Häuser ein zu privatisierender sei. Auf solch eine Idee kommt man auch nur in einer mit dem Beamtentum sozialisierten Gesellschaft.
In den meisten Fällen hat das "dritte Auge", an das Virtuelle gut gewöhnt, sowieso keine Mühe damit, die Verschleierung zu entpixeln und sich auch das sechste Reihenhaus nebenan recht zuverlässig vorzustellen. Ich frage mich also vielmehr: Wogegen wehrt er sich denn da wieder, der deutsche Michel, dem doch auch sonst das Gemeinwesen, die gesellschaftliche Frage, das bürgerliche Recht so von Herzen gleichgültig sind? Warum will er seine Facebook-, Amazon- und Ebay-Konten hinter anonymisierten Hausfassaden pflegen? Warum sieht er im Zusammenwachsen seiner Umgebung keine Chancen, sondern Bedrohung? Was quält ihn eigentlich so sehr?
Verstehe einer die Menschen!
Kein Fünkchen Ironie? Das verblüfft mich hier dann doch ein wenig. Denn ich habe unterm Strich den Eindruck, Sie meinen das ernst: es seien die «Facebook-, Amazon- und Ebay»-Liebhaber, die ihre Freundschaften bevorzugt «hinter anonymisierten Hausfassaden» pflegen würden. Letztere dürften es jedoch vermutlich eher sein, die den
Antiverpixlungskommandos angehören. Meines Erachtens setzen sich die über diese Sachverhalte tatsächlich nachdenkenden, also weniger von medialer Wirklichkeitsverzerrung beeinflußten
Gegner eher aus Menschen zusammen, denen es in erster Linie darum geht, sich nicht ausschlachten zu lassen, schon gar nicht von denen, die nur eines anvisieren: möglichst hohe privatwirtschaftliche Gewinne zu erzielen.
Und auch die Auftraggeber des Volkszählers der Achtziger hatten einen doch etwas weniger oberflächlichen Anlaß als den, wissen zu wollen, «ob man mit Öl oder mit Gas heize». Das Recht auf «informationelle Selbstbestimmung» war schließlich die Begründung, mit der das deutsche Bundesverfassungsgericht dieser Aktion Einhalt gebot. Und bis in jüngster Zeit folgten weitere Urteile dieser Richtung. Aber wenn weiterhin so aufweichend argumentiert wird wie bei Ihnen, dann werden auch die nicht mehr zustandekommen.
habe ich da wohl verdient. Ganz so reaktionär, wie es scheint, bin ich aber nicht! Vielleicht etwas lax in der Darstellung der Position gewesen. Tatsächlich existiert ja gewissermaßen auch eine Verantwortung für die Entwicklung einer öffentlichen Meinung, wenn man sich öffentlich äußert. Um mal zur Verteidigung meiner selbst zu kommen: Natürlich gibt es gute Gründe, sich für den Datenschutz einzusetzen und sicherlich ist es nichts weniger als skandalös, wie erst Terrorangst geschürt wird, um dann durch die Hintertüre Monster wie die "Vorratsdatenspeicherung" hereinzuholen. Und auch google muss man nicht mögen. Verstehen aber kann ich Menschen nicht, die sonst so lax mit ihren Daten umgehen und ihre Signaturen, Kaufvorlieben und Kreditkartennummern hier und dort hinterlegen, einem Bilderdienst aber die Hausfassade verweigern. Vielleicht sogar veröffentlicht man via facebook sexuelle Vorlieben und private Post, um ein Forum weiter auf den bösen Big Brother zu schimpfen. Solches fällt mir auf, im Sinne hatte ich zwei, drei reale Vorbilder und dagegen richtete sich meine Injurie. Ich vermute: Es liegen einfach ganz andere Motive der google-Verweigerung zugrunde, denn anders kann ich mir derlei Unstimmigkeiten einfach nicht erklären.
daß viele pixelige Burkaträger gar nicht wissen, um was es eigentlich geht, und ebensowenig, daß sie sich vor einen Karren haben spannen lassen, den sie, wären sie besser über den tatsächlichen Sachverhalt informiert, nie und nimmer ziehen würden. Einschlägige Medien wie die großbuchstäbige Zeitung schlachten das eben auflagenwirksam aus. Und die eingeschworene Gefolgschaft merkt nicht, das damit obendrein vom eigentlichen Problem Datenschutz, sprich Vorratsdatenspeicherung et cetera abgelenkt wird. Das sind dieselben, denen gerade mal wieder erfolgreich Al-Qaida-Angst eingeflößt wird – wie weiland zu RAF-Zeiten, als es auf diese Weise – wir nannten das seinerzeit
sechzig Millionen jagen sechs Deutsche (ich weiß nicht, ob Sie wissen, was damals abging in der Bundesrepublik Deutschland; das derzeitige Szenario erinnert extrem daran) – gelang, an der Gesetzgebung herumzuschrauben. Ebenso bin ich der Überzeugung, daß die meisten überhaupt nicht mitbekommen, was im Web 2.0 los ist in Sachen
Terror, da sie, wenn überhaupt, überwiegend wohl im Internetz gefangen sind von den wunderbaren Angeboten, die ihnen offeriert werden – und, ja, dabei «ihre Signaturen, Kaufvorlieben und Kreditkartennummern hier und dort hinterlegen». So sehe ich das – als Verweigerungsgeübter. Und was die Aktivitäten dieser Krake aus Montain View betrifft, die habe ich, soweit es meine anfänglichen Kenntnisse zuließen, seit Beginn meiner Elektrotagebuchaktivitäten eingedämmt, so gut es nur irgend ging. Ich gehöre zu deren praktizierenden Gegner. Seinen Anfang nahm das nicht erst mit den geradezu unfaßbaren Verletzungen des Urheberrechts.
So, und nun sind wir wieder lieb.